Der Misanthrop No. 8
Skandalliteratur, die heiligeGleich zwei Neuerscheinung am
heimischen Büchermarkt bringen zur Zeit des anständigen Bürgers Gemüt in Wallungen.
Das eine mit dem Titel "Das Leben des Jesus" von Gerhard Haderer handelt in ein wenig
frevelhafter Manier das Leben Jesu Christi ab, indem es den Gottessohn ohne
Rücksicht auf die Erhabenheit des Trinitätsdogmas und unter Missachtung nervöser
religiöser Empfindlichkeiten in allzu menschlicher, obgleich liebenswürdiger
Weise karikiert, wobei sich die unterschwellig mitschwingende Kritik nicht
gegen die Person des Gottessohnes richtet, sondern gegen alle jene, welche
aus seiner Menschwerdung für sich Kapital geschlagen haben und ihn bis heute
zum Zwecke der Verwertbarkeit in viel geschmackloserer Art und Weise verkitschen.
Das andere Buch von Ernst Hofbauer mit dem Titel "Unsere Klestils" verfährt in ungleich unschicklicherer
Weise mit dem moralischen Charakter des österreichischen Bundespräsidenten
Thomas Klestil, indem es den Staatspräsidenten an sich als sittliche Person
in Frage stellt, eine Infragestellung, die der Autor bereits in seinem kurz
zuvor veröffentlichen Buch "Der Verrat", welches sich mit den EU-Sanktionen gegen die Regierungsbeteiligung
der rechtsgerichteten Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) befasste, anklingen
ließ. Und was sich da als kritische Literatur gebärdet, ist in der Tat nichts
anderes als eine billige, wenn auch recht kurzweilig zu lesende, Polit-Society-Schnulze,
wie die Politologin Gerda Silvestri aus Wien in ihrer Buchbesprechung trefflich
feststellt, ein Spiel mit den Gefühlen des kleinen Mannes, dem Klatsch-Wissen
statt ermittelte Tatsachen und schundige Klischeebilder statt kritische Reflexion
zum Tatsachenbereich aufgetischt werden. Wie immer, wenn des Volkes Seele
in Aufregung gerät, schwillt das Stimmengewirr heimischer Intelligenzija in
allen Gazetten hörbar an, und während die einen zu Besonnenheit und, gegen
jede Wirklichkeitswahrnehmung, gar zu Ignoranz gegenüber der Provokation raten,
poltern die anderen schon munter drauf los. Zugegeben, beide Bücher sind mir
keineswegs egal, doch würde ich ihnen nicht jene Bedeutung beimessen, die
ihnen von der veröffentlichten Meinung zugestanden bzw. zugedacht wird. Gerhard
Haderers Bilderbuch könnte Anstoß zu anregenden Diskussionen über Leben, Werk
und Benutzbarkeit Jesu sein, hingegen Ernst Hofbauers Machwerk sich hoffentlich
schon bald in den Tiefen österreichischen Grandlertums verflüchtigen wird.
Wenig schmeichelhaft, doch äußerst trefflich ist Haderers Karikatur des Gottessohnes.
Die in den Kirchen ausgestellten kitschigen Heiligenbildnisse sind an Peinlichkeit
oft kaum zu überbieten (wie wohltuend das Bilderverbot im Islam doch ist)
und stellen jede gewollte Karikatur a priori in den Schatten ihrer gestalterischen
Bigotterie. Darf man den Berichten der Evangelisten vertrauen, so war der historische Jesus vermutlich ein
zorniger Eiferer ("Heiliger Zorn") und lange nicht so liebenswürdig, wie
von Haderer dargestellt, der sich um einen freundlichen und gar menschlichen
Jesus bemüht, dessen Gedenken von kirchlichen wie weltlichen Interessensverbänden
machtpolitisch korrumpiert wird. Und - theologisch betrachtet - menschlich
darf nicht sein, was Teil der heiligen Dreifaltigkeit sein soll. Darin ist
ein ernsthafter Frevel Haderers am sakrosankten Glaubensgut zu erblicken:
Seine Karikatur Jesu schändet das Trinitätsdogma, indem es den Fleisch gewordenen
Gott als bedürftige Kreatur allzu sehr vermenschlicht. Christliche Empfindung
erbost sich darüber, doch befremdend ist es noch allemal, wenn christliche
Leidensmystik (Dornenkrone, Geißelung, Kreuzigung, Märtyrerkult) ihrer selbst vergisst und in unduldsamer
Manier auf jeden auch noch so freundlichen Frevel an ihrem Glaubensinventar
mit hysterischer Wehleidigkeit reagiert. So forderte einst schon der tiefreligiöse
Existenzialphilosoph Sören
Kierkegaard eingedenk christlicher Leidensmystik und im Bewusstsein
der Korrumpierung gesellschaftlich integrierter Glaubenswaltung zur Elitenherrschaft
eine neuerliche Christenverfolgung herbei, hingegen Christen der Gegenwart
bei jeder Gelegenheit die strafrechtliche Verfolgung ihrer Kritiker begehren,
was gewissermaßen in Umkehrung historischer Verhältnisse den Kritiker christlicher
Unduldsamkeit zum Märtyrer des Glaubens stilisiert. Es ist eine gar sonderbar
autokratische Praxis christlicher Toleranzübung, wenn man nur bedenkt, dass
doch Jesus selbst geradezu die Nähe schlechter Gesellschaft wie von Zöllnern und Huren suchte, also
die Größe seiner Moral in direkter liebender Konfrontation mit gelebter oder
auch nur gesellschaftlich zugeschriebener Unmoral bewies und nichts ihm ferner
lag als der Gedanke obrigkeitlicher Drangsalierung nonkonformer Praxis. (der er selbst frönte)
Judentum, Christentum und Islam gehen auf einen Stamm zurück und sind Geschwister
im Geiste. Nach ihrem gemeinsamen Stammvater Abraham werden sie auch abrahamitische Religionen genannt. Alle
drei haben den Glauben an den einen Gott gemeinsam. Und was vereint, das trennt
gleichermaßen. So glauben die Christen an den einen
dreifaltigen Gott (Trinitätslehre),
doch steht dazu im Koran geschrieben: "Ungläubig sind diejenigen, die sagen:
Gott ist einer von dreien (oder: dreifältig in Dreiheit)! Es gibt keinen Gott
außer einem einzigen Gott." (Sure 5,73) Ist die Trinität ein unüberwindliches
Hindernis? Für Jesus war zentral die Erfüllung des
Willens Gottes in Liebe.
Für die christliche Kirche verlagert sich die zentrale Problematik auf die
Person Jesu und seine Beziehung zu Gott (als Sohn Gottes). Der Islam bestreitet
die beiden miteinander zusammenhängenden Zentraldogmen des Christentums: Dreieinigkeit
(Trinität) und Menschwerdung Gottes in Jesus Christus (Inkarnation). So werden
die Christen im Koran wie folgt angeredet: "Ihr Leute der Schrift! Treibt
es in eurer Religion nicht zu weit ... Christus Jesus, ... ist nur der Gesandte
Gottes und sein Wort, ... Darum glaubt an Gott und seine Gesandten und sagt
nicht (von Gott, dass er in einem) drei (sei)! Hört auf (so etwas zu sagen)!
Das ist besser für euch. Gott ist nur ein einziger Gott. Gepriesen sei er!
(Er ist darüber erhaben) ein Kind zu haben" (Sure 4,171). Wie man sieht, ist
die Dreieinigkeit, basierend auf der Überhöhung der Person Jesu Christi im
Christentum, eine ständige Quelle für Hader und Zank zwischen den Weltreligionen.
Ist demnach Haderers Buch nicht als ein gar zweckdienlicher Beitrag zum interkonfessionellen
Dialog zu erachten, als ein Versuch das Dogma strenger Trinität in heiteres
Lächeln aufzulösen, ohne es deswegen gänzlich zu verwerfen? Haderers Buch
sollte richtig verstanden Frieden zwischen den Menschen stiften, hingegen
Hofbauers Flegeleien gegen den Bundespräsidenten einfach nur noch mehr Zank
und Hader in die Welt setzen und für mich nichts anderes repräsentieren als
die Frustration von Funktionären der Österreichischen Volkspartei über die
eigenwillige und keineswegs seiner Herkunftspartei dienliche Linie des Bundespräsidenten
Klestil. Diese beiden Neuerscheinungen am österreichischen Buchmarkt könnten
also unterschiedlicher nicht sein. Und doch haben die beiden so unterschiedlichen
Bücher eines gemeinsam: Sie sind Aufreger, Skandalliteratur, welche die Wogen
der Empörung hochgehen lassen. Und es ist des Menschen Elend, dass er in dem
einen nicht die wahrhaftige Anstrengung zum irdischen Frieden wie im anderen
nicht den Willen zu Hader und Zank erkennt. Ersteres würde vorsichtige Beachtung,
zweiteres schroffe Missachtung verdienen, was verabsäumt wurde. Doch will
des Menschen Achtsamkeit nicht zwischen tugendhafter Bemühung und lasterhaftem
Schund unterscheiden, und er missachtet das Achtbare und schenkt dem Belanglosen
das geifernde Interesse, wie es typisch ist für sensationslüsterne Gier nach
derbem Amüsement. Sein Blick auf die Dinge ist und bleibt oberflächlich, ergo
ohne Erkenntnis bringende Gesinnung. Und so wird der wohlmeinenden Kritik
gelästert, wie der übelmeinenden Nachrede applaudiert oder auch umgekehrt;
beides Ausdruck der Nichtbefassung mit Meinungen, denn zweiteres Buch sollte
meines Erachtens nur ob seiner protzigen Wichtigtuerei Aufmerksamkeit erregen.
Vollkommenes Bemühen um Sachverständnis und aufrichtige Gesittung ist dem
Menschen offenbar fremd, der in seinem Naturzustand der materiellen Oberfläche
und nicht der geistweltlichen Tiefe verhaftet ist, der aus Neigung zur Lüsternheit
die sündige Aufreizung von Sinnlichkeit
und Gemüt jedem Streben nach tiefsichtiger Vollkommenheit und schöpferischer
Triebhaftigkeit (Eros) vorzieht, der - freilich praxiswidrigen - Auffassung von Schönheit (als Erkenntnis
der Wirklichkeit von Wahrheit) die Wirklichkeit des Hässlichen entgegenlebt und Schönheit nur als hehres Ideal
im Munde führt, welches als gelebter Begriff der Oberfläche tatsächlich zerstörerischer
Gebrauch der Vorstellung vom Schönen ist und dem Gedanken ihrer Verwirklichung
auf Erden höhnt. In jener Vollkommenheit, die sich als philosophisches Streben
nach der Schönheit der Erkenntnisse geriert, wäre das sittlich und dinglich
Schöne angelegt, der wahrhaftige Eros, dessen der Mensch nur in seltensten Ausnahmefällen
willig und fähig ist. Dass nur zu viele Menschen sich gerne an heißem Gekläff
ergötzen, ist ein Ungemach, das sie verachten lehrt.
(Misanthropos; 21. April 2002)