Der Misanthrop No. 6

Vom ökologischen Desaster
der viel zu Vielen - Entvölkert Österreich!



Wann immer ein Gerede verfällt auf das viel zu abgedroschene Thema Umweltschutz klopft sich der Gesprächspartner - vorausgesetzt er ist Österreicher - stolz den Brustkorb und gleich brüstet er sich der Kraftwerksruine bei Zwentendorf und bezeugt sich vor aller Welt als Nuklearenergie-Hysteriker mit Hang zur ökologisch geläuterten Energielehre. Giftige Blicke bekommt er von mir ab und dann schweigt er verwundert; - setzt sich in sein Auto und fährt ab ins Grüne, in die vermeintliche Natur. Selten sonst, wie in solchen Augenblicken bebt der Misanthrop vor Hass auf alles Menschliche, das nie und nimmer einsichtig jeden Forst mit Wald verwechselt! Er - der aufrecht kriechende Hinterpfotler - er spricht von Wild - ha, ha! - und meint jenes Getier, welches ist Fleisch- und Trophäenzucht im Forste. Gut, also soll er mit seiner Seele baumeln wo immer er will, und vermeinen dies und das zu sehen; es ist und bleibt doch alles Staffage. Das Wirkliche, das ist das Tödliche, der Blutfleck auf grauer Fahrbahn. Die Todeszonen, welche das Land zerschneiden, erkennbar an den Kraftfahrzeugen, die darauf rollen und den blutigen Tierkadavern, welche den aller sinnlosesten Tod zu Tausenden auf unseren Straßen sterben. Alleine diese Vorstellung des unermesslichen tausendfachen Verblutens auf hartem Asphalt, macht mich verzweifelt. Die gebrochenen Glieder, welch sich in gepresstes Fleisch spießen, die zerquetschten Innereien, der bestialische Schmerz der zerfahrenen Kreatur, welche auf keine Rettung hoffend ihren Todeskampf erfährt, ohne zu schreien, nur zuckend, sich in stiller Qual wälzend, mit austretenden Augen die kleine Tierseele aushauchend. Wer verdrängt dies nicht? Doch sehe ich dieses Sterben immerfort vor meinem inneren Auge und es ist ein Sterben der Randexistenzen, die neben dem schon allzu fetten und feisten Menschengeschlecht gerade noch geduldet sind. Ja, nebst dem Menschen ist kein Platz mehr auf Erden für würdigere Existenzen.

Sagen wir´s doch glatt heraus: Die eigentliche Ursache der ökologischen Krise ist die Überbevölkerung der industrialisierten Welt. Machen wir uns doch nichts vor. Jeder zusätzliche Europäer bedeutet zugleich einen zusätzlichen Energieverschwender und einen zusätzlichen Müllproduzenten mit einem zusätzlichen überzähligen Pkw. Österreich ist ein mit Menschen voll gerammeltes Terrain, ohne Restraum für biosphärische Abläufe. In Schwellenländern schrumpfen die Urwälder, in Österreich sind sie längst schon sterilen Holzplantagen und Agrarwüsten gewichen. Die schöne blaue Donau ist ein trauriges Gerinne im Dienste der Transportwirtschaft. Und im Himmel lärmen und kondensieren die Aeroplanes. Nicht ein Wolf, den der Grenzübertritt nach Österreich nicht noch sein Leben gekostet hätte. Wo zu viele Menschen leben, sind Raubtiere und Wildwüchsigkeit als Konkurrenten um den verknappten Lebensraum ausgesperrt. Lebenswert ist diese Umwelt nur für Menschen ohne Vorstellung von der Schönheit wildwüchsiger Landschaft. Ja, die ästhetische Landschafts-Norm ist die Norm des verkümmerten Geschmacks.

Österreich ist - so wie alle europäischen Regionen - maßlos übervölkert, was die eigentliche Ursache für die unbewältigte ökologische und für die soziale Krise ist. Wohin man auch immer blickt, Menschenschwärze färbt den Kolorit des Weltkörpers. Für Wildtiere und für urwüchsige Natur findet sich in diesen mit Menschentum überwucherten Landstrichen kein freier Siedlungsraum mehr. Alles wurde dem Menschen zweckdienlich gemacht. Und so ist auch Österreich ein Land ohne (Ur)Wälder (lächerliche 2%), doch mit Holzplantagen (Forste); ein Land ohne Wildtierbestand, doch mit Fleischtierhaltung und Trophäenzucht im Forst. Alle größeren Raubtiere wurden als Schädlinge definiert und folgerichtig ausgerottet. Die ökologische Bilanz ist eine Bankrotterklärung und unserem Bewusstsein so gewöhnlich, dass nicht einmal die politisch organisierten Grünen das Desaster als solches bezeichnen. Und alles dies ist Folge einer fetischisierten Wachstumspolitik, deren archaischer Charakter den Allerwenigsten auch nur dämmert. Denn so denken Primitive, die sich stark meinen, wenn ihre Zahl und all ihr Haben und Produzieren immerzu nur mehr wird. Dass zugleich aber Ressourcen verbraucht werden, was Vermögensminderung bedeutet, entgeht der wachstumsfetischistischen Haltung komplett. Wachstum ist Verzehr und jeder Zugewinn bedingt eine Verknappung von Daseins-Vermögen. Ist die große Zahl der Köpfe, die wabbelige Masse anonymer Leiber, ein Selbstwert? Ist nicht weniger mehr? Und die kleinere Zahl, die, dafür vom ersten Tag an, der Gesellschaft ihr zentrales Anliegen ist, kann sie nicht eine höhere Kultur schaffen (wo weniger Knappheit herrscht), in der man mehr Ansprache findet als in der Gegenwartskultur der Vielen und allzu Vielen? Weniger Österreicher wären besser für Österreich.

Dieses ökologische Desaster ist nur durch einen maßvollen Fortpflanzungsverzicht in den Griff zu bekommen, der sich als Schrumpfungspolitik gegen das Gewimmel von Menschenleibern versteht. Entvölkert Österreich, müsste die Parole lauten. Es ist umweltpolitischer Wahnsinn und anthropozentrische Unvermessenheit, wenn in unseren Tagen unbedachte Kinderwünsche auch noch mit Kindergeldverlockungen ermutigt werden. Wohin soll denn unentwegtes Bevölkerungswachstum führen? Was bezweckt dieser Wachstumsfetischismus? Der durch die Köpfe der Menschen spuckt. Ist´s ein archaischer Zug, der viele so denken lässt als ob sie noch viele sein müssten um zu überleben? Fürchten sie um ihr Existenzrecht, wenn sich in den Nachbarvölkern eine Mehrzahl von Menschenleibern tummelt? Das Problem des Gegenwartsmenschen: Sein Denken ist gefühlsmäßig das eines Stammesangehörigen der Frühzeit (Völkerwanderung ...) und für so einen Stamm bedeutete Bevölkerungswachstum einfach sehr viel (vor allem die aus der Zahl erwachsende Kriegsstärke). Schrumpft die Volkszahl so greift Panik um sich, weil das Schrumpfen der Empfindung nach mit Machtverlust gleichgesetzt wird. Archetypisch betrachtet droht dem volksarmen Stamm Vernichtung durch volksreichere Nachbarstämme. Nicht Bevölkerungswachstum, sondern Bevölkerungsreduktion sollte jedoch Anliegen einer ökologisch und sozial verantwortlichen Bevölkerungspolitik sein, eine Politik der Einsicht in das Geringfügige menschlicher Wertigkeit angesichts der Erhabenheit geringschätziger Schöpfungspoesie. Die Pensionen - des Menschen größte Sorge - lassen sich bei einiger Phantasie auch anders als über das gängige Umlageverfahren (Generationenvertrag) finanzieren; beispielsweise über eine sogenannte Maschinensteuer (in Zeiten technologisierter Arbeitswelten keine unlogische Maßnahme). Oder - um nicht investitionshemmend zu wirken - finanziert man eben die Altersversorgung über das reguläre Budget. Was soll´s, ist´s nicht wurscht wo das Geld herkommt? Fortpflanzungsverzicht sollte jedoch als verantwortliche Unterlassung gewürdigt werden. Jeder weitere Mensch ist Müllproduzent und Energieverschwender in einem. Und verpestet sein Leben lang die Atemluft aller. Warum also, sollte das Sittengesetz nicht die Auslöschung, doch zumindest Dezimierung der Menschenzahl wollen? Ist denn allein schon die Übereinstimmung mit dem menschlich bestimmten Kosten-Nutzen-Kalkül sittlich konform? O nein, die Sittlichkeit des Lebens beginnt dort, wo der Mensch in Demut verharrt und Tränen heißer Bitternis seine Tierseele erwecken. Ich weiß, mein Text ist verbittert und man fragt nach dem Motiv für so viel Zorn? Zur Klarstellung: Mein Motiv ist ökologischer Zorn. - eine Sonderform des heiligen Zorns. Gewiss, so ist es.

Ihr M.

(misanthropos; Mrz 2002)