(...)
Denn dies ist der rechte Weg, zur Sphäre des Eros zu gelangen oder sich von
einem anderen dahin leiten zu lassen: dass man, bei dem vielerlei Schönen hier
beginnend, um jenes Schönen willen immer weiter emporsteigt wie auf Stufen -
von einem schönen Leib zu zweien und von zweien zur
Leibesschönheit
allgemein, und von den schönen Leibern zu den schönen Handlungen,
und von den Handlungen zu den schönen Erkenntnissen, bis man von den Erkenntnissen
endlich zu jener Erkenntnis gelangt, die keine andere ist als die Erkenntnis
jenes Schönen selbst, und man am Ende gewahr werde, was das Schöne an sich ist.
An diesem Punkt des Lebens, lieber Sokrates, sprach die Fremde aus Mantineia,
lohnt sich, wenn überhaupt irgendwo, das Dasein für den Menschen: im Schauen
des Schönen an sich. Hast du dieses einmal gesehen, dann wähnst du nicht mehr,
es sei etwas wie Goldgerät und Gewänder oder die schönen Knaben und Jünglinge,
bei deren Anblick du jetzt außer dir gerätst und wie so viele andere bereit
bist, vor lauter Anschauen des Geliebten und im steten Zusammensein mit ihm
womöglich essen und Trinken zu vergessen, um ihn nur immer
zu betrachten und mit ihm vereint zu sein. Was erst sollen wir uns vorstellen,
sprach sie, wenn es gelänge, das Schöne an sich zu schauen: sonnenklar, rein,
unvermischt - ohne menschliche Körperlichkeit und Farben und all den übrigen
irdischen Tand, wenn man also das Göttlich-Schöne an sich als das Eine Urbildhafte
zu erschauen vermöchte? Glaubst du, fuhr sie fort, ein nichtiges Leben sei noch
möglich für einen Menschen, der dorthin blickt und jenes Göttlich-Schöne mit
dem dafür notwendigen Auge betrachtet und sich mit ihm eins weiß? Oder denkst
du nicht, sprach sie, dass allein wer das Schöne mit dem Auge sieht, mit dem
es zu sehen ist, nicht
Schattenbilder
der Vollkommenheit entwirft - weil er ja nicht
ein Schattenbild ins Auge fasst - sondern wahre Vollkommenheit
zum Vorschein bringt, da er ja das Wahre erfasst; und dass, wenn er wahre Vollkommenheit
hervorgebracht und herangebildet hat, es ihm beschieden sei, gottgeliebt und
- so dies einem Menschen je zuteil wird - gar unsterblich zu sein.
(...)
(aus Platons "Symposion")