Das Gute und das Schöne sind die hehren Werte des Menschen, die ihn über das Gewimmel der niederen Dinge erheben mögen, die da sind von Natur aus weder schön noch gut. Das Schöne ist unpraktischer Selbstzweck, in einer praktischen Welt; genauso wie das Gute unpraktisch ist, da es sich selbst aufzehrt, während sich andere mästen. Beides sind keine Merkmale eines natürlichen Daseins, in dem die Praktiker überleben und die Versponnenen untergehen. Schon wollte ich also dem Menschen für seine Hingabe an das Gute und Schöne Ehre erbieten, da erkannte ich gerade noch rechtzeitig, dass auch diese Hingabe wiederum nur eine blamable Unart des Glatzhäutigen ist. Bei dem Guten und dem Schönen handelt es sich nämlich weniger um geflügelte Ideale, als um merkmalsbezogene Betrachtungsweisen ohne Willen zur Tiefe. Schön, so ist die Oberfläche, die man nicht näher untersucht; und nicht anders steht es um das Gute. Ich möchte in diesem Zusammenhang einmal - dem naheliegenden Klischee folgend - von Frauen und von Priestern sprechen, und verstehe sie hierbei eher als Opfer denn als Täter. Die einen gelten als das schöne Geschlecht, die anderen als die guten Menschen, doch sind nach meiner Erfahrung weder die einen schön, noch die anderen gut. Das Schöne und das Gute sind keine Merkmale der Wirklichkeit, die man erfahren könnte, sondern einfach nur Zuschreibungen. Frauen nehmen die ästhetische Zuschreibung ernst und putzen sich heraus, doch nur der flüchtige Blick lässt sich davon betören. Auch Priester wissen um ihr Stereotyp und gebärden sich danach, solange nicht sündige Versuchungen mit ihnen durchgehen. Keine Schönheit ist bei genauerer Betrachtung frei von Hässlichkeit und kein Heiliger ist frei von Sünde. Es mag Tendenzen zum Schönen und zum Guten geben, aber die Schönen und die Guten, die schlechthin schön und die schlechthin gut sind, gibt es nicht. Tiefe Denker haben um diesen Umstand immer schon gewusst. So wird der schöne Narziss in der griechischen Mythologie als eine Schönheit beschrieben, der auch Züge des Hässlichen anhaften. Warum gibt es dann noch diese Begriffe aus Ästhetik und Ethik? Weil es einige wirklichkeitsferne Metaphysiker so wollen? Ich halte diese Leute für nicht so einflussreich und auch gar nicht für schädlich. Ihre Verdienste um die Reinigung und Findung von Begriffen ist unschätzbar. Das Gute und das Schöne sind vor allem auch Alltagsbegriffe, nach deren Maßgabe jedermann wertet und einteilt. Tatsächlich sind sie keine hehren Werte, sondern praktische Instrumente um die Welt der Erscheinungen und Taten rasch in Ordnung zu setzen, ohne sich dabei anzustrengen. Sie dienen in der lebensweltlichen Praxis der Entwertung von Wert, weil die platte Kategorie des Schönen blind macht für echte Anmut und Erhabenheit und weil die ebenso platte Kategorie des Guten unempfindlich macht für ernsthafte Verantwortlichkeit im Umgang mit dem Dasein. Wann immer Erscheinungen danach beurteilt werden, dass sie schön oder gut sind, werden in der Tat überhaupt keine ästhetischen oder ethischen Aussagen getroffen, da die Beurteilung als schön oder gut immer nur unter Missachtung der vollen Wirklichkeit der Erscheinungen getroffen werden kann. Das Gute und das Schöne sind, als im praktischen Lebensvollzug dominierende Wertkategorien, untrügliche Indikatoren für ihre eigene Belanglosigkeit im Alltagsgetriebe. Sie dienen der Entwertung des Wahrhaftigen und der Unterdrückung der vollen Wirklichkeit jener Personen, die, wegen ihres Geschlechts oder ihrer gesellschaftlichen Stellung, schön oder gut zu sein haben. Sohin erhebe ich persönlich weder den Anspruch nach Schönheit noch nach dem Guten. Blendende Schönheit ist mir allemal sowieso nicht geschenkt und dass mir als bekennender Misanthrop das Gute nicht unbedingt als Wesensmerkmal anhängt, braucht hier nicht weiter diskutiert werden. Auch werde ich primär nicht danach fragen, ob jemand schön oder gut ist, sondern, ich werde seine Vorzüge mit Sorgfalt erachten und würdigen.
Wie gesagt, so ist es. Herzlichst, Ihr M.