Der
Misanthrop No. 9
"Prinz
Eugen, der edle Ritter!" Biographischer Essay über den österreichischen Nationalhelden,
der "edler Ritter", Misanthrop und Europäer in einer Person war und dem Gerüchte
nach eine erotische Neigung zu Jünglingen hatte.
Plädoyer für die Umbenennung
des Wiener Heldenplatzes
in Misanthropenplatz.
"Prinz Eugen, der edle Ritter!"
Hei, das
klang wie Ungewitter
Weit in's Türkenlager hin.
Der Trompeter tät den Schurrbart streichen
Und sich auf die
Seite schleichen
Zu der Marketenderin.
(aus der Textfassung von Ferdinand
Freiligrath, 1838)
Die Weltgeschichte der großen historischen
Persönlichkeiten ist zugleich die Weltgeschichte der Misanthropie, da kaum einer
von diesen an die sittliche Sendung des Menschen glaubte. Eine in diesem Sinne
herausragende und für uns Österreicher besonders bedeutsame Person ist die des
Prinzen Eugen, welche somit Gegenstand näherer Betrachtung sein soll.
Prinz
Eugen ist einer der raren Kriegshelden der zwar mit großen Söhnen gesegneten,
doch an - allemal zweifelhaften - Kriegshelden armen österreichischen Nation (ad
hoc fällt mir kein Name eines weiteren Kriegshelden ein (Wilhelm von Tegetthoff?
Held?)). Und ausgerechnet einer der seltenen Heroen, dessen Reiterstandbild am
geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Wiener Innenstadt zu bewundern ist, war
nicht einmal Österreicher von Geburt. So entstammte Eugen dem norditalienischen
Herrscherhaus von Savoyen und wurde 1635 in Frankreich geboren, in dessen Hauptstadt
Paris er seine Jugendjahre verbrachte. Selbst verstand er sich sein Lebtag lang
wohl eher noch als Europäer, der als Eugenio von Savoye dreisprachig (italienisch,
deutsch, französisch) unterzeichnete, und er fühlte sich keineswegs österreichischen
Nationalinteressen (der Begriff der Nation war zu jener Zeit gerade einmal ein
zart keimendes Pflänzchen), sondern, als sein treuer Vasall, dem Hause Habsburg verpflichtet, dem
der einst gewissermaßen "mittellose" und im feindlichen Frankreich verschmähte
Aristokrat die Grundsteinlegung für seinen Aufstieg zum heimlichen Souverän der
Monarchie zu verdanken hatte. Die Berufung zum Kriegshelden war Eugen nicht gerade
in die Wiege gelegt, denn etwas schmächtig von Gestalt und etwas weibisch - um
nicht zu sagen tuntig - in seinem Gehaben, reichte er eben nicht an das Idealbild
eines Kriegers von Gottes Gnaden heran. Viel mehr, der Ruf des feminin Lasterhaften
eilte dem jungen Eugen voran, für dessen Erziehung zum Mann sich niemand zuständig
fühlte und dem man nachsagte, er benehme sich wie eine Nutte und tue auch dergleichen
mit Männern, weshalb er, laut seriösen Berichten aus seiner Umgebung, in Assoziation
zu einer stadtbekannten Pariser Dirne "Madame Lancienne" genannt worden sei. Nicht
nur von zügelloser wie gleichsam ungezogener Gemütsart sondern auch unhübsch,
wenn nicht sogar hässlich, war der junge Mann, den es gerne in die Dienste des
französischen Königs Ludwig XIV. (1643-1715) gezogen hätte, wäre dieser nicht
in seiner ästhetischen Empfindung von der wenig einnehmenden und schon gar nicht
kriegstauglich wirkenden Erscheinung des Savoyers angewidert gewesen, dessen Ruf
- wie schon angedeutet - zumindest nicht der erhabendste war. Und so trat Eugen
1683 in die Dienste des deutschen Kaiser Leopold I., gegen dessen Residenzstadt Wien die Horden der Ungläubigen brandeten.
In höchste Bedrängnis geraten rief der von der Reichshauptstadt Wien nach Passau
entwichene Habsburger die Christenheit gegen die Türkengefahr zu den Waffen. Selbst
nicht mit äußerlicher Schönheit gesegnet und vor allem in der Not nicht wählerisch
bei der Rekrutierung seiner Mannen nahm er den angebotenen Degen des Prinzen gerne
an und stellte diesen zuerst als Volontär in die Dienste des Oberbefehlshabers
der kaiserlichen Truppen, Karl von Lothringen. Wie und ob sich der junge Prinz
in der Entsatzschlacht zu Wien am Kahlenberg bewährte, ist nirgendwo nachzulesen.
Auf jeden Fall war der 12. September 1683 sein erstes Treffen mit den Türken, und die große Kriegsbeute,
welcher er bei dieser Gelegenheit gewahr wurde, mag seinen Appetit auf Feldherrenruhm
gehörig angeregt haben. Eine Rückkehr nach Frankreich schien jetzt nicht mehr
möglich, war König Ludwig XIV. doch mit den Türken im Bündnis, deren Feind Eugen
nun war. Und so verblieb Eugen gerne im Heer des Habsburger Kaisers um sich an
der Zurückdrängung der Türken zu beteiligen. Im Stabe seines Vetters Ludwig Wilhelm
von Baden zeichnete er sich bei der Erstürmung Parkanys und der Einnahme von Gran
aus, und so überantwortete man dem gerade erst Zwanzigjährigen den Befehl über
das Regiment der Savoyen-Dragoner, welche bis zum Ende der Habsburgermonarchie
stolz den Namen des Prinzen für sich beibehalten sollten. Sein militärisches Talent
wurde in jenen kriegerischen Tagen nicht übersehen, und so gelang Eugen ein rasanter
Aufstieg zum Heerführer, dessen Sieg in der Schlacht bei Zenta 1697 gegen die
Türken den Grundstein zu seinem späteren Ruhm als Nationalheld legen sollte. Und
nicht nur gegen die Türken, auch gegen die Franzosen - eine besondere Ironie der
Geschichte - erwies sich Prinz Eugen als fast unüberwindlicher Gegner, den es
zu fürchten galt. Sein Feldherrentalent ließ die alles in allem deutlich überlegenen
französischen Heerscharen immer wieder schlecht aussehen, und - wer weiß - vielleicht
hätte Eugen seinem Kaiser ganz Europa gewonnen, hätte es wegen der anhaltenden Finanzmisere der Habsburger nicht immerzu an allem gefehlt. So misslang es den Habsburgern selbst
noch in allerhöchster Not (als Wien von den Türken belagert wurde), den Adel ihrer
Kernländerein auch nur zur vorübergehenden Entrichtung von Steuern zu bewegen
(ganz zu schweigen von den deutschen Fürsten, die sich jede Unterstützung teuer
bezahlen ließen), hingegen Frankreich zu jener Zeit bereits ein straff organisierter
Zentralstaat ("l'État c'est moi" - "der Staat bin ich", pflegte der französische
König zu sagen) mit überreichem Steueraufkommen war, zumal der französische König
nicht davor zurückscheute, auch die feudalen Stände zu besteuern. Und so verfügte
der französische König über die nötigen Mittel um ein für jene Zeit riesiges und
vorzüglich ausgestattetes Heer mit einer Sollstärke von bis zu 400.000 Mann zu
unterhalten, hingegen Eugen nicht nur einmal vor dem Problem stand nicht mehr
zu wissen, mit welchen Mitteln er Sold und Ernährung seiner zahlenmäßig meistens
weit unterlegenen Truppen finanzieren sollte. An einem Zukauf von Waffen und Munition
und dergleichen Kriegsgeräten, also an Kriegsrüstung, war bei solcher Lage überhaupt
nicht zu denken. Und trotzdem eilte der Prinz von Sieg zu Sieg, demütigte seine
türkischen und französischen Gegenüber mit Husarenstücken, die zuweilen - doch
zu übermütig - negative Folgen hatten; etwa wenn er solcherart einen unbrauchbaren
französischen Heerführer ausschaltete, welcher sodann durch einen talentierteren
und dem Prinzen ebenbürtigen Nachfolger ersetzt wurde. Seinen ständigen Finanzierungssorgen
wurde der Prinz nur zeitweilig enthoben, nämlich wenn der reiche römisch-katholische
Papst gerade einmal die Finanzierung des Krieges der Christenheit gegen die ungläubigen
Türken übernahm, oder die durch Seehandel und Kolonien zu unermesslichem Reichtum
gelangten Holländer und Engländer aus Sorge um das Kräftegleichgewicht in Europa
an seine Seite traten. Gemeinsam mit einem genialen englischen Feldherrn, dem
Herzog von Marlborough, rettete Eugen Österreich vor dem militärischen Zusammenbruch,
als starke französische Heeresverbände gemeinsam mit den unter Kurfürst Max Emanuel
- ein Vetter Prinz Eugens - gewendeten Bayern gegen Wien marschierten. In der
gigantischen Reiterschlacht von Höchstädt wurden die vereinten Heere der Franzosen
und Bayern in einem furchtbaren Ringen vernichtend geschlagen, was vor allem ein
Verdienst des Herzogs von Marlborough war, der im entscheidenden Augenblick mit
einer gewaltigen Kavallerieattacke die französische Front zerbrach. Prinz Eugens
Anteil am strategischen Geschehen war gering, doch hatte er mit heldenhaftem Einsatz
seine Front gegen den furchtbaren Ansturm der Bayern gehalten, von deren Todesmut
er nach der Schlacht mit Hochachtung sprach. Die Bilanz der Schlacht war grauenhaft
und die Schrecknisse des Gemetzels lassen sich nach heutigem Ermessen kaum auch
nur erahnen (kriegerische Gefechte unserer Tage wirken im Vergleich geradezu steril).
Innerhalb eines Tages waren von den rund 100.000 am Ringen beteiligten Kriegern
ganze 38.000 tot oder zerschossen, zerschlagen und für den Rest ihres Lebens in
Stücke gehauen. Die Klosterchronik der Franziskanerinnen der nahen Donaustadt
Günzburg beschreibt das Elendsfinale der Überlebenden:
"Es ist erbärmlich anzusehen
gewesen, wie die Trümmer der bayrisch-französischen Armee durch Günzburg flüchteten,
denn viele Vornehme sind dahergelaufen nur in den Hosen ohne Rock und ohne Schuhe,
viele sind geritten ohne Hand oder Arm oder Fuß. Man hat hier diese alle verbunden,
und es war ein erbärmliches Jammergeschrei ..."
Hingegen wenig Seelengröße
bewies der französische König Ludwig XIV., als er vom Untergang seiner Armee erfuhr.
Er suchte nach Sündenböcken, verstieß Offiziere aus der Armee, doch ließ er die
Geburt eines Prinzen in pompöser Manier mit großem Feuerwerk feiern, während tausende
Franzosen den Tod oder die Verstümmelung ihrer Angehörigen in stiller Verzweiflung
betrauerten.
Dank Prinz Eugens militärischem und diplomatischem Geschick stieg Österreich
in den Rang einer europäischen Großmacht auf, und es lag allein am finanziellen
Unvermögen der Habsburger Herrscher und am Egoismus des österreichischen Adels,
dass Österreich zu jener Zeit nicht zur Hegemonialmacht Europas wurde. Prinz
Eugens Schlachtenglück war zugleich sein Pech, denn meinten Holländer und Engländer,
das Kräftegleichgewicht in Europa kippe zugunsten des Kaisers in Wien, wichen
sie auch schon von dessen Seite, und ohne die Zuwendungen der reichen Verbündeten,
allein angewiesen auf die leeren Schatztruhen des Hauses Österreich, konnte
auch der begabteste Feldherr jener Zeit keine Kriege gewinnen. Und so blieb
dem Prinzen der höchste Triumph verwehrt, als Führer eines siegreichen Heeres
in jenes Paris einzumarschieren, in dem er einst als junger Mann seiner Unansehnlichkeit
und Schmächtigkeit wegen bittere Ablehnung erfahren hatte. Doch war Paris mittlerweile
ferne Vergangenheit und Mittelpunkt seines Lebens war längst schon die Kaiserstadt
Wien geworden. Hier bezog der Prinz sein Palais in der Himmelpfortgasse,
in dem sich seit 1848 ausgerechnet - eine weitere Ironie der Geschichte - das
österreichische Bundesministerium für Finanzen befindet, also die Nachfolgeeinrichtung
jener Institution, die ihn in seinem Kampf um Sein oder Nichtsein der Habsburgermonarchie
so oft und so schmählich im Stich gelassen hatte. Der
selbst hingegen zu unermesslichem Reichtum gelangte Prinz entfaltete eine rege
Bautätigkeit, wobei die Mär wissen will, dass er dies aus sozialem Empfinden
heraus tat, um dem notleidenden Volk wie auch seinen Kriegsveteranen Arbeit
und Einkommen zu verschaffen. Zu Lebzeiten noch nannte der Prinz mehrere Schlösser
sein Eigen, wobei die Krönung seiner fast schon närrisch emsigen Bauherrentätigkeit
die beiden herrlichen Schlösser des Belvedere in Wien sind, deren barocker Prunk
den Besucher noch heute erfreut. Im oberen Belvedere befindet sich heute die
weltberühmte Kunstsammlung der Österreichischen Galerie
mit zur Schau gestellten Werken von Gustav Klimt, Egon Schiele und Oskar Kokoschka,
was in sinnengefälliger Weise die Liebe des Prinzen zu den schönen Künsten in
Erinnerung ruft und der Kunst der Moderne ein angemessenes Ambiente verleiht.
Vor allem das, der Repräsentation dienende, obere größere Schloss symbolisiert
den kriegerischen Werdegang des Prinzen, so die Dachbedeckung ein türkisches
Feldlager darstellt und die Zierung der Gebäudegemäuer Schlachtenmüll zeigt.
Eine großangelegte Glasfront am oberen Schloss spiegelt die Weite des Himmels
wider. Dieses Schloss, welches in erhöhter Position thronend auf das historische
Zentrum von Wien hinabblickt und den antiken Götterolymp symbolisiert, diente
tatsächlich der profanen Abwicklung von Amtshandlungen und dem Empfang von Staatsgästen.
Auf die Stilisierung des Gebäudes nahm der Prinz offenbar gewichtigen Einfluss,
denn es atmet den Geist des Apollinischen, also jener Haltung der Selbstzucht, Besonnenheit und sittlichen Klugheit,
welche die Mensch gewordene Verkörperung des "edlen Ritters" auszeichnete. Steigt
man vom Olymp - oder Feldherrenhügel, wie manche Interpreten meinen - den künstlich
angelegten Wasserfällen folgend in die Tiefen der Menschenwelt hinab, so trifft
man auf das untere Schloss, welches des Prinzen Sommersitz war und heute ein
Barockmuseum und ein Museum mittelalterlicher Kunst beherbergt. Alles in allem
ist das Belvedere ein faszinierendes Gesamtkunstwerk barocker Baukunst und Dokument
für den Schönheitssinn eines Menschen, der selbst bar jeder rein äußerlichen
Schönheit war. Zu jener Zeit waren die Schlösser des Belvedere auch eine sinnfällige
Botschaft an die Wiener, welchen der Prinz mit der Errichtung zweier Prunkschlösser
außerhalb der schützenden Stadtbefestigung seine Zuversicht ins Verständnis
setzte, dass nach seinen Siegen alle Feinde des Kaisers für immer von den Mauern
Wiens ferngehalten seien. Fürderhin brauche man sich nicht mehr hinter den mächtigen
Mauern des Glacis zu verschanzen, denn nie wieder werde ein brandschatzendes
Türkenheer vor den Toren der Stadt stehen.
Im fortgeschrittenen Alter hatte sich der ehemalige
Wüstling, der sich auf seinen Feldzügen dem Vernehmen nach mit Lustknaben vergnügt
haben soll, zum sittenstrengen "edlen Ritter" gewandelt, welcher mit seiner ungeselligen
Art und seiner Abneigung gegenüber Ehrerbietungen die höfische Gesellschaft düpierte
und doch Kraft seiner Autorität und tatsächlichen Macht seinen Zeitgenossen als
der "heimliche Kaiser" am Wiener Hof galt. Er liebte es, seine Zeit in menschenscheuer
Manier mit Literatur zuzubringen, war überhaupt wählerisch in der Auswahl von
Gesprächspartnern, holte als glühender Literat den Philosophen Leibniz und den
in Frankreich wegen seiner spöttischen Dichtkunst verfolgten Poeten Jean-Paptiste
Rousseau in seinen Salon nach Wien und gab sich ansonsten gegenüber der feinen
Gesellschaft - und nicht nur gegenüber dieser - misanthropisch (einsilbig und
wortkarg, wie Montesquieu berichtete). Über seine - von Rousseau vermittelten
- Kontakte zu dem Philosophen und Dichter Voltaire lernte Eugen die Gedankenwelt
der Aufklärung kennen, konnte jedoch an insbesondere gegen die römisch-katholische
Kirche gerichteten Schlachtrufen wie "Écrasez l`infame - Rottet die Schändliche
aus" keinen Gefallen finden. Weit davon entfernt in religiösen oder weltlichen
Belangen Extrempositionen einzunehmen beschritt Prinz Eugen in seiner Lebensführung
wie auch in der von ihm geprägten Politik einen Weg der Mitte. Als Generalgouverneur
der Niederlande bemühte sich Prinz Eugen um Toleranz und um den Schutz religiöser
Minderheiten - wie jener der Jansenisten - vor den Angriffen der römisch katholischen
Amtskirche, welche unter der Ägide des am Wiener Hof allmächtigen Jesuitenordens einen aggressiven
Kurs der Re-Katholisierung steuerte. Schließlich geriet der theologisch versierte
Prinz selbst in den Geruch Jansenist zu sein, worauf er sich mit folgenden Worten
rechtfertigte: " ... dass man in diesen Dingen mit weniger Aufsehen und mit mehr
Liebe vorgehe und nicht in einer Art, die dem Geist des Christentums widerspricht".
Eines "edlen Ritters" würdige Worte, die gleichermaßen ein Bekenntnis zu seiner
römisch-katholischen Kirche wie auch zum liebenden Geist der Bergpredigt enthalten.
Der "Homme de lettres", wie ihn der französische Staatsphilosoph Montesquieu nach
einem persönlichen Gespräch im Jahre 1728 in Wien mit unverhohlener Begeisterung
charakterisierte, welcher als Mann des Krieges den Menschen wiederholt als mörderische
Bestie erfahren hatte und welchen der eitle Frohsinn höfischer Gesellschaft anekelte,
erwartete für das Menschengeschlecht eine düstere Zukunft und blieb insofern gegenüber
dem Optimismus der Aufklärer auch im persönlichen Gespräch reserviert. Sein persönlicher
Anstand ließ ihn für das Gute eintreten (für Toleranz gegenüber Andersdenkenden),
doch fehlte ihm der Glaube an das Gute im Menschen,
wie es ihm die Aufklärer weismachen wollten.
Auch der eigenbrötlerische
Prinz blieb von der Hinfälligkeit des Leibes nicht verschont. Am 21. April 1736
schied er aus dem Leben. Geleitet von den Veteranen seiner zweiunddreißig Feldzüge
wurden die sterblichen Überreste in den Wiener Stephansdom überführt, sein Herz
wurde in der Grabkirche des königlichen Hauses Savoyen bestattet. Das prachtvolle
Vermögen des unverheiratet und kinderlos gebliebenen Prinzen (Schlösser, wertvolle
Bibliotheken und Gemäldesammlungen) fiel an eine in der Ferne lebende Verwandte,
an Eugens Nichte Victoria, die mangels unmittelbaren Bezugs zur Welt ihres Onkels
bemüht war, die Hinterlassenschaft möglichst schnell für ihre Zwecke nutzbar zu
machen und nichts davon zu bewahren. Vieles ging bei diesem Ausverkauf verloren,
wenn auch Kaiserin Maria Theresia das Stadtpalais und das Belvedere der Erbin
abkaufen konnte und somit diese Kulturgüter für die Nachwelt erhalten blieben.
Prinz Eugen war ganz gewiss nicht jener glänzende Nationalheld, als den
man ihn in Österreich heute gerne sehen würde. Er war ja nicht einmal geborener
Österreicher gewesen, der Zufall kriegerischer Zeitumstände hatten ihn nach Österreich
geführt und in Österreich gehalten. Sein Motiv war das eines Karrieristen und
so schielte sein Blick in jüngeren Jahren auch nach Spanien oder Italien, wo sich
kurzzeitig die scheinbar besseren Chancen für einen raschen Aufstieg boten. Im
Krieg kannte er mit Feind und Freund keine Gnade und als Politiker wie Diplomat
verstand er es auf der Orgel der Macht zu spielen. Nicht zuletzt verdankte er
seinen unermesslichen Reichtum den von ihm geführten Kriegen, die ihm nicht nur
Siege und reiche Kriegsbeute bescherten, sondern auch profitable Einkünfte aus
der von ihm kontrollierten Kriegswirtschaft. Prinz Eugen war im wahrsten Sinne
des Wortes Kriegsgewinnler. Über seine vermutliche Homosexualität schweigt sich
der Nationalmythos genauso beharrlich aus, wie über die Tatsache, dass der Bauherr
Eugen zwar ganz gewiss tausende Tagelöhner auf seinen Baustellen beschäftigte,
doch, während er zum Zwecke der bloßen Repräsentation und Selbstergötzung Paläste
bauen ließ, keinen Blick für die armseligen Unterkünfte seiner Bauarbeiter hatte.
Der Staatsmann Prinz Eugen glänzte eben nicht durch eine für seine Zeit fortschrittliche
Sozialpolitik. Vielmehr verschloss er vor den in die Zukunft weisenden Ideen der
Aufklärer seinen Blick und zog sich auf ein viel bequemeres pessimistisches Menschenbild
zurück. Seine oft geradezu schroffe und stets hochmütig gestimmte Misanthropie
im Umgang mit Angehörigen der höfischen Gesellschaft nötigt hingegen Respekt ab
und lässt Genugtuung empfinden. Er wusste offenbar, wer - ungesehen seines Standes
und seiner Herkunft - Respekt verdiente und wer nicht. Prinz Eugen - obgleich
schon zu Lebzeiten geehrt - wurde erst etwa hundert Jahre nach seinem Tod zum
Nationalhelden der Österreicher hochstilisiert. Aus dieser Zeit stammt auch das
von Ferdinand Freiligrath (1810-1876) im Jahre 1838 getextete bzw. nachgedichtete
(Text und Melodie sind eigentlich schon um 1719 aus unbekannter Feder entstanden)
und von Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869) neu vertonte und bis in unsere
Tage hinein populäre Volkslied "Prinz Eugen, der edle Ritter". Josef Strauß komponierte den dem Vergessen anheim gefallenen Prinz
Eugen-Marsch. Und aus jener Zeit der Verklärung stammt auch das heroische Reiterdenkmal
am geschichtsträchtigen Wiener Heldenplatz, wo der Prinz aus dem Geschlecht der
Savoyen als erster Nicht-Habsburger, gegenüber gestellt dem angeblichen Bezwinger
Napoleons in der Schlacht bei Aspern, Erzherzog Karl, im Zentrum Habsburgischer
Macht ein Denkmal erhielt (Apropos Erzherzog Karl: Karl sah sich selbst nicht
als Sieger der Schlacht bei Aspern; - tatsächlich verhielt es sich wohl so, dass
die Schlacht nach blutigem Ringen in den Wiener Donauauen, wegen des die Heranführung
von französischen Heeresverbänden behindernden hohen Wasserstands der Donau, von
Napoleon vorsichtshalber
abgebrochen wurde). Somit war der Heldenstatus des Prinzen ein für allemal festgelegt
und keiner weiteren Reflexion mehr zugänglich. Der Missbrauch seiner Verklärung
zum Helden sollte nicht lange auf sich warten lassen, denn wohl gar nicht im Sinne
des toleranten und übernationalen Charakters des Prinzen war seine Verfügbarmachung
im Dritten Reich des Adolf Hitler, wo nicht nur
einer der Schlachtkreuzer der deutschen Kriegsmarine auf "Prinz Eugen" getauft
wurde (was noch begründbar ist), sondern auch eine SS-Freiwilligen-Gebirgsjäger-Division,
die sich aus kriegsfreiwilligen Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen rekrutierte,
und welche im Partisanenkrieg am Balkan als 7. SS-Freiwilligen-Gebirgsjäger Division
Prinz Eugen traurige Berühmtheit erlangte, schmückte sich mit dem Namen des Nationalhelden,
dem das Gefühl nationaler Verbundenheit selbst noch etwas Fremdes gewesen war.
Vorgebliches Motiv der Namensfindung für diese SS-Division war, dass Prinz Eugen
den Nationalsozialisten als einer der größten Soldaten aller Zeiten galt, dessen
militärische Erfolge gegen die Türken dem Deutschtum die Besiedelung des Balkans
erst ermöglicht hatten. Also eine ein wenig kümmerliche Begründung für diese weitreichende
Art der Vereinnahmung eines prominenten Toten (immerhin erfolgten unter der Patronanz
seines schillernden Namens unentschuldbare Kriegsverbrechen), der - spätestens
in vorgerückten Lebensjahren selbst von edlem Charakter -, hätte er den Nationalsozialismus
erleben können, sich wohl angewidert abgewandt hätte. War Prinz Eugen doch bei
aller pessimistischer Weltsicht ein Mann der Toleranz gegenüber Andersdenkenden,
der selbst dann, wenn ihm eine Meinung missfiel, nicht ausfällig wurde, sondern
in besonnener Manier kund tat, das ihn der präsentierte Gedanke leider nicht in
dem erhofften Maße befriedigt hätte. Es ist einfach undenkbar, dass dieser Mann,
der selbst mit seinem Namenszug dreisprachig unterschrieb, der also offenbar übernational
europäisch dachte oder negativ ausgelegt (und nicht untypisch für Aristokraten
dieser Tage) zumindest ein vaterlandsloser Geselle war, aus innerer Überzeugung
mit dem jeder Selbstmäßigung verlustigen Nationalsozialismus sympathisiert hätte.
Fühlte er sich doch als private wie als öffentliche Person dem apollinischen Prinzip
verpflichtet und achtete derart auf Contenance wie Mäßigung in allen Lebenslagen
(die klare, fast militärische Ausrichtung der Grünanlagen im Schlossgarten des
Belvedere veranschaulicht den ethischen Ordnungsbegriff des Prinzen in wohlgefälliger
Weise). Gegen Vereinnahmung durch hysterische Ideologien ist leider niemand gefeit
und überhaupt wehrlos, wenn er längst schon verstorben ist. Seine Sehnsucht nach
dem ansehnlich Schönen und nach sittlicher Ordnung mag seinen fast schon närrischen
Hang zur Errichtung von, geometrisch korrekte Schönheit verkörpernden, Schlossanlagen
erklären, war er doch selbst sein Lebtag lang von hässlicher Gestalt und deswegen
am Hofe des geselligen, nur das Schöne und Betörende liebenden, König Ludwig
XIV. als junger
Mann nicht willkommen geheißen worden. In dem Bemühen, seine Hässlichkeit und
seine unerzogene Liederlichkeit aus eigener Willensanstrengung zu überwinden und
dabei Zeitloses zu schaffen, verwirklichte sich Prinz Eugen tatsächlich zur heroischen
Statur, zu einem Helden der Freiheit, der sein Leben innerhalb existenziell vorgezeichneter
Grenzen selbst bestimmte und dabei über seine körperliche Niedrigkeit hinweg zu
wahrer übermenschlicher Größe hinauswuchs. Darum er es wohl verdient, ein Held
genannt zu werden. Und nicht zuletzt ist Prinz Eugen von Savoyen gerade deswegen
nach Kriterien der Misanthropologie als ein großer Misanthrop zu würdigen, der
vermittels seiner eigenen Person das ihm anhaftende Menschenwesen transzendierte,
an dessen sittliche Sendung er aus eigenem Erfahren ganz allgemein wohl nie glauben
konnte. Nicht als zweifelhafter Kriegsheld, doch als Held der Misanthropie sollte
er uns im Gedächtnis bleiben und dafür gebührt ihm auch sein Denkmal am Heldenplatz,
den man somit bedenkenlos in "Misanthropenplatz" umbenennen könnte, zumal Erzherzog
Karl - der andere Held am Platz - nicht der Kriegsheld (Bezwinger Napoleons) war,
welcher er angeblich sein sollte, womit der einzig denkbare Widerspruch gegen
eine Umbenennung des Platzes wegfällt. Wie auch immer diesem Anspruch entsprochen
wird, in der Ehrengalerie großer Misanthropen ist dem Prinzen Eugen von Savoyen
jedenfalls ein besonderer Platz gewiss.
(Misanthropos;
11. Mai 2002)
Quellenverweis:
Die beiden Meister der Biographie historischer Persönlichkeiten Ernst Trost und
Franz Herre haben zur Person des Prinzen Eugen je ein wunderbares Buch mit den
gleichlautenden Titeln "Prinz Eugen" geschrieben. Die bei Amalthea (Trost) und
bei DVA (Herre) erschienenen Bücher dürften leider vergriffen sein und lassen
sich aus Restbeständen zur Zeit noch im Belvedere-Shop erstehen, wo auch ich sie
erworben habe. Franz Herres Werk wurde hingegen im Jahre 2000 bei Lübbe neu als
Taschenbuch verlegt und dieses kann übrigens über amazone.de bequem bestellt werden.
Biographische und historische Daten sind großteils aus diesen beiden Büchern entnommen
und in den obigen Aufsatz über Prinz Eugens Leben und Wirken eingeflossen. Zu
erwähnen ist auch, dass Ernst Trost einer Auffassung mit mir ist, in Prinz Eugen
von Savoyen einen großen Europäer erblickt und dazu schreibt:
Er - Prinz Eugen
- war aber (nicht nur Feldherr dreier Kaiser sondern) auch ein Schöngeist und
Mäzen und ein Mensch zwischen den Nationen, den man einen wahren Europäer hätte
nennen können, wenn dieser Begriff damals schon gebräuchlich gewesen wäre.
Dem
ist nichts mehr hinzufügen, als die Hoffnung, dass diese beiden wunderbaren Bücher
bei Zeiten wieder mit Sondereinband bzw., im Fall von Ernst Trosts Biographie,
überhaupt den Weg in den Buchhandel finden.
Franz
Herre: "Prinz Eugen"
Europas heimlicher Herrscher.
Lübbe,
Berg.-Gladb. 2000.
Taschenbuch. 397 Seiten.
ISBN 3-4046-1451-8.
ca.
EUR 8,45. Buch bestellen