Ian Kershaw: "Hitler 1889-1936" und "Hitler 1936-1945"
Vom Leben eines Bohemiens, dem die Deutschen in ihr Verderben folgten
Biografien sind meist autorenbezogen
und bringen daher die Einstellung und Ansicht des Autors in einseitiger Weise
zum Ausdruck. Bei Dr. Ian Kershaw, obwohl Engländer und noch während des Krieges
1943 geboren, sodass er in der Kindheit noch die Ausläufer des Krieges selbst
erleben konnte, kann man dies nicht feststellen.
Sein umfangreiches zweibändiges
Werk über Adolf Hitler, eingeteilt in die Zeit von 1886 bis 1936 und 1936
bis 1945, bringt in ruhiger sachlicher Weise nicht nur die vorgegebene Chronologie,
sondern gibt eine Erklärung, wie es kommen konnte, dass eine Person, die für
ein hohes Staatsamt ein untauglicher Anwärter war, die Machtfülle eines
absoluten Herrschers erlangen konnte. Eine Machtfülle, die so absolut und übermenschlich
war, dass Feldmarschälle von aristokratischer Herkunft bereit waren, die Befehle
eines ehemaligen Gefreiten und Bürgersohnes ohne viel Hinterfragen zu befolgen,
und kluge Köpfe aus allen Milieus sich bereit fanden, unkritisch einem Autodiktaten
zu gehorchen, dessen einzige unumstrittene Begabung darin bestand, die niedrigen
Empfindungen der Massen aufzupeitschen. Dennoch, Hitler war kein Tyrann, der
Deutschland aufgezwungen wurde, er war wie seine Vorgänger legal zum Reichskanzler
ernannt worden und wurde zwischen 1933 und 1940 zum unbestritten beliebtesten
Staatsoberhaupt der Welt.
Von den zahlreichen Glücksfällen, die das Leben Hitlers bestimmten, ereignete
sich das erste bereits dreizehn Jahre vor seiner Geburt. Sein Vater, Alois Schickelgruber,
nahm 1876 eine Namensänderung auf Alois Hitler vor. Die Familie Hitler kam aus
ärmlichen Verhältnissen und wohnte in der Gemeinde Döllersheim, einem kleinen
Ort im niederösterreichischen Waldviertel. Dem Vater gelang ein bescheidener
Aufstieg in der Hierarchie der österreichischen Finanzwache, und er
war letztlich
als Zollamtsoffizial in Braunau am Inn tätig. Dies war auch der Geburtsort des
späteren Reichskanzlers, der als viertes Kind aus der dritten Ehe seines Vaters
am 20. April 1889 zur Welt kam und auf den Namen Adolf getauft wurde. Seine
Mutter Klara, geborene Pölzl, war eine sehr weiche und zartfühlende Person, während
sein Vater mit seiner rigorosen Betonung von Disziplin und Ordnung gewiss zu
streng war und mit der Forderung, der Sohn möge ihm beruflich nachfolgen, dessen
Wunsch nach einer Künstlerlaufbahn missachtete. Der
junge Adolf war sehr lebhaft und bezog
wegen übergroßen Ungehorsams fast täglich eine richtige Tracht Prügel. In der
Kindheit kam es infolge von Dienstortversetzungen des Vaters zu zahlreichen
Wohnsitzwechseln, letztlich lebte die Familie am Rande von
Linz
in Leonding. Da Hitler mit Linz die besten Kindheitserinnerungen verband und
seine geliebte Mutter dort bis zuletzt lebte, betrachtete er Linz
als seine eigentliche Heimatstadt.
Die schulischen Erfolge ließen zumeist zu wünschen übrig. Hitler hasste die
Lehrer, musste in der Realschule Klassen wiederholen und des Öfteren Nachprüfungen
bestehen. Letztlich verließ er mit 16 Jahren die Schule mit der bezeugten Befähigung,
eine höhere Realschule oder technische Schule zu besuchen, was er jedoch nicht
tat. Der Schulabbrecher Hitler blieb ohne höheren Schulabschluss. Insgesamt
wurde der pubertierende Hitler als "aufgeweckter, lebhafter und offenbar begabter
junger Mann" charakterisiert, dessen positive Eigenschaften jedoch von seinem
"Unvermögen zur geregelten und intensiven Arbeit" zunichte gemacht wurden.
Die Jahre zwischen Schulabgang und dem Tod der Mutter im Jahr 1907 verbrachte
er als Müßiggänger bzw. schmarotzender Faulenzer. Finanziell wurde er
durch die Mutter abgesichert, welche nach dem Tod ihres Mannes etwas Geld erbte
und ihren einzigen Sohn abgöttisch liebte.
Nachdem Hitler einmal kurz Wien besucht hatte, überredete er seine Mutter, dass
sie ihn zwecks eines Studiums an der Kunstakademie nach Wien gehen lassen
müsse. Bekanntlich bestand der Pinselkünstler Adolf Hitler die Aufnahmeprüfung
in eine der Meisterklassen der Akademie nicht, da sein schöpferisches Können
vor den gestrengen Augen der Professorenschaft keine Gnade fand. Mangels eines
Abiturs konnte er auch nicht das von ihm später angestrebte Architekturstudium
belegen. Nach dem Tod der Mutter zog er 1908 mit einem Freund aus Linz, dem
Musikstudenten August Kubizek, endgültig nach Wien, wo sie in der Stumpergasse
in Untermiete logierten und Hitler die weltfremde Existenz eines Bohemiens führte,
welche er jedoch großspurig als "Studium" bezeichnete. Die
Wohngemeinschaft
mit Kubizek dauerte etwa vier Monate und war durch Hitlers
dominantes Wesen bestimmt. Beide schwärmten sie für die Musik
Richard
Wagners, für nordische Mythologie, und wie verschworene Brüder trugen
sie die gleichen Wintermäntel und "breitrandige schwarze Hüte", die sie wohl
als Brüder im Geiste ausweisen sollten. Bekannt ist eine Aussage gegenüber dem
devoten Freund, mit welcher Hitler selbstbewusst feststellt: "Du brauchst natürlich
Lehrer, das sehe ich ein. Für mich sind sie überflüssig."
Obwohl er nur ein geringes Erbe von der Mutter erhielt, unternahm er weiter
nichts, um seine Lage zu verbessern. Er lungerte in
Cafés
herum und verschlang Unmengen von Büchern und von Zeitungen. Abends frönte
der kulturinteressierte junge Mann seiner Neigung zum ernsthaften Gesangspiel
und war gemeinsam mit Kubizek fast täglich Teil des Stammpublikums der Wiener
Hofoper, wenn er auch aus Geldnot den langwierigen Aufführungen auf billigen
Stehplätzen beiwohnen musste.
Die vorhandenen sozialen, kulturellen und politischen
Spannungen in Wien formten den jungen Hitler. Gleichzeitig machte er erste
Bekanntschaft mit dem Marxismus und dem Judentum. Von Georg Ritter von Schönerer
hatte er schon im nationalistischen Linz dessen Bekenntnis aufgesaugt. Schönerers
"Heil-Gruß" und seine Intoleranz gegenüber jeder demokratischer Beschlussfassung
in seiner Bewegung übernahm Hitler später in seine NSDAP.
Sein zweiter Held
war der Wiener Volkstribun und Bürgermeister Dr. Karl Lueger, der jene
Massen anzog, deren Dasein bedroht war. Um die unterschiedlichen Gruppen
zu gewinnen, bedienten sich sowohl Schönerer als auch Lueger antisemitischer
Vorurteile. In Wien wurde Hitler auch mit dem Marxismus bzw. der Sozialistischen
Partei und deren Thesen konfrontiert. Doch diese Partei und ihre Ansichten liefen
ihm in jeder Hinsicht zuwider. Er hasste die Sozialdemokraten mit buchstäblich
jeder Faser seines Körpers. Als im November 1905 nahezu eine Million Arbeiter mit
roten Armbinden durch Wien und über vier Stunden lang am Parlament
vorbei zogen, erregte diese Manifestation in ihm nur leidenschaftliche Abscheu.
Hierzu soll aber angemerkt werden, dass er später die Massenveranstaltungen,
wie die Nürnberger Parteitage etc., sehr liebte, ja geradezu in der Masse badete,
und Massenauftriebe von Parteigenossen - ihrer Suggestivkraft wegen - generalstabsmäßig
geplant und inszeniert wurden.
Nachdem sein Freund Kubizek im Sommer 1908 wieder
nach Linz zurückging und Hitlers Ersparnisse zur Neige gingen, blieben ihm
monatlich nur noch 25 Kronen Waisenrente zur Bestreitung seiner Lebenshaltungskosten,
ein Taschengeld, welches ihm sein Vormund regelmäßig schickte. Finanziell
konnte er sich folglich keine ständige Bleibe leisten. So führte er während
seiner restlichen Wiener Jahre 1909 bis 1913 ein Vagabundenleben, übernachtete im
Freien oder in billigen Unterkünften und schlug sich mit dem Verkauf von Aquarellen
und Zeichnungen zur Architektur notdürftig durch. Dünn, ungepflegt und in verschmutzte
und verlauste Kleider gewandet, sowie mit vom ständigen Herumlaufen wunden Füßen,
landete er letztlich zu Weihnachten 1909 in dem neu eingerichteten Obdachlosenheim
in Meidling. Im Heim durften die Insassen jedoch nur schlafen, duschen und Körperpflege
üben, tagsüber mussten sie das Heim verlassen und selbst für ihr Auskommen
sorgen.
Im Februar 1910 konnte Hitler in das Männerheim in der Meldemannstrasse im Norden
der Stadt übersiedeln, wohin auch ein gewisser aus dem Sudetenland
stammender
Herr Hainisch zog, mit dem sich Hitler angefreundet hatte. Auch in der neuen
Logis ging Hitler keiner geregelten Erwerbsarbeit nach und lebte von fallweisen
Zuwendungen großzügiger Verwandter. Zögerlich begann er sich seiner Malerei
zu erinnern und malte kleine Postkarten, welche Hainisch in Geschäften zum Verkauf
anbot. In diesem Zusammenhang ist als Hitlers engster Geschäftspartner ein Jude
namens Josef Neumann zu erwähnen. Mit Neumann hatte er anscheinend auch freundschaftlich
verkehrt. Im Männerheim gewann Hitlers Leben an Stabilität. Bei den diversen
stundenlangen Diskussionen mit anderen Insassen entdeckte Hitler seine rednerische
Begabung. Sein politisches Wissen bezog er nach wie vor aus Zeitungen und Büchern,
und vor allem nahm er alle Erzählungen und Aussagen, die Deutschland (sein Traumland)
betrafen, nimmersatt in sich auf. Für den seiner Ansicht nach konservativen,
verkommenen, dekadenten österreichischen Staat, der ihm nur Böses antat, hatte
er kein Verständnis, sondern empfand nichts als Hassgefühle für den Völkerkerker,
der er in Hitlers Augen war. Er war daher bestrebt diesen verhassten Staat so
schnell wie möglich hinter sich zu lassen.
Nachdem er das väterliche Erbe zum 24. Geburtstag in Höhe von 819 Kronen und
98 Hellern ausbezahlt erhielt, fuhr er mit dem arbeitslosen Verkäufer Rudolf
Häusler, der ebenfalls im Männerheim logierte, seine ganze Habe in einem Koffer
verpackt, am 24.Mai 1913 nach München. Dadurch entzog er sich gleichzeitig dem
österreichischen Militärdienst. Seine Wiener Zeit war damit für immer beendet,
doch sollte der ehemalige Obdachlose und Tunichtgut Jahre später, im März 1938,
im Triumph wiederkehren.
In München fühlte er sich frei und konnte wieder atmen. Zusammen mit Häusler
bezog er nahe Schwabing ein kleines Zimmer. So wie in Wien ging Hitler auch
hier keiner geregelten Arbeit nach. Er malte wieder Karten für den Verkauf
und verbrachte ansonsten seine Zeit mit dem Lesen von Büchern aus der nahen
Bibliothek bzw. Zeitungen in Cafés. Als der
Erste Weltkrieg ausbrach, kam ihm
dies sehr gelegen. Er meldete sich freiwillig zum Kriegsdienst und fand
im Heer, wo er als Meldegänger im Range eines Gefreiten tätig war, das Gefühl
der Zugehörigkeit. Er hatte gute Beziehungen zu den nächsten Kameraden, obwohl
er sich eigenbrötlerisch vom Rest der Gruppe absonderte. 1916 wurde er verwundet,
und im Oktober 1918 wäre er infolge eines Senfgasangriffes fast erblindet.
Nachdem
der Krieg verloren war, suchte man Sündenböcke und fand sie zuletzt bei den
Juden. Sie wurden von den deutschen Politikern und dem Volk als rassisch minderwertige
Einwanderer, als Kriegsgewinnler und Drückeberger bezeichnet. Im Zuge der Turbulenzen
nach dem Kriegsverlust und nach der Zerschlagung der anarchistisch inspirierten
Münchner Räterepublik begann seine Zeit, als er von einem höheren Offizier der
Reichswehr, wegen seiner Begabung als geborener Volksredner, entdeckt wurde.
Er arbeitete folglich als Informant für die Armee. Gleichzeitig aber, obwohl
er noch immer im Dienst der Armee stand, betätigte er sich als populistischer
Agitator bei der winzigen Deutschen Arbeiterpartei. Er hatte die Gabe, bei seinen
Reden die Zuhörer zum Mitdenken anzuregen. In dieser Zeit gehörte bereits der
Antisemitismus zu seinen demagogischen Themen.
Im September 1919 trat Hitler der Deutschen Arbeiterpartei bei. Obwohl
er der geborene Redner war, muss festgehalten werden, dass Hitler ohne
das außergewöhnliche politische Klima im
Nachkriegsdeutschland auf keinen Fall ein empfängliches Publikum
gefunden hätte. Bisher hatte er hauptsächlich im Rahmen der
Reichswehr als Informant der abrüstenden Soldaten gesprochen.
Erstmals öffentlich sprach er bei einer Versammlung der Deutschen
Arbeiterpartei (DAP) am 16. Oktober 1919 im
"Hofbräukeller". In der Folge kam es laufend zu
öffentlichen Versammlungen, die Massen strömten
letztlich zu seinen Reden, die zumeist in Bierkellern
gehalten wurden. So viel Lärm er auch mit seinen Reden machte, war
er doch nur eine lokale Größe. Verglichen mit
den etablierten Parteien war die nun so genannte NSDAP
unbedeutend. In der Parteiführung war er, wie auch andere
spätere politische Größen (etwa Röhm) Mitglied des
zentralen Ausschusses. Röhm hatte die Kontakte zu den wichtigen
anderen vaterländischen Verbänden und war für die
Erschließung von Geldquellen zuständig. Die Parteikasse
hatte ohnedies notorischen Geldmangel. Das Organ der Partei war der
"Völkische Beobachter". Nach der Reform der Statuten
erfolgte die Umwandlung der NSDAP in eine Führerpartei, deren
Führung Hitler im Jahre
1921 übernahm. Als Parteiführer stieg er in den folgenden
Jahren vom örtlichen Bierkelleragitator zum Trommler der
nationalistischen Rechten auf. Die ursprünglich als
Saalschutz gegründete SA, wo Ernst Röhm als Vertreter der
Frontgeneration das Sagen hatte, erhielt nach der innerparteilichen
Machtergreifung Hitlers neben diesem eine Schlüsselrolle. Ab etwa
1922 begann sich die Partei aus Bayern auf die anderen deutschen
Bundesländer zu verbreiten. Im gleichen Ausmaß
stieg die Mitgliederzahl. Die Agitation Hitlers gegen die Regierung war
1923 so heftig geführt, dass bereits Gerüchte
kursierten, wonach Hitler einen Putsch plane. Durch die
französische Ruhrgebietsbesetzung - die deutsche Regierung war mit
den Reparationszahlungen im Rückstand - wurde die nationale
Einheit geweckt. Deutschland wurde von einer Welle des nationalen Zorns
erfasst, die alle sozialen und politischen Schranken
überwand. Politisch lebte Hitler von Krisen; sie waren sein
Elixier.
Im November 1923 führte Hitler mit seinen Genossen einen Putsch durch, der jedoch
fehlschlug. Die Anführer einschließlich Hitlers wurden verhaftet,
und es wurde ihnen wegen
Hochverrates im Jahr 1924 der Prozess gemacht. Hitler wurde zu einer Geldstrafe
sowie zusätzlich zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Haft wurde in Landsberg
vollzogen. Während dieser Zeit verfasste er das Buch "Mein Kampf", welches später
zu einem der meistgelesenen Bücher wurde. Die Hakenkreuzfahne, die Sturmtrupps
und auch Hitler fielen während dieser Zeit in die Bedeutungslosigkeit zurück.
Die Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) und die NSDAP wurden vorübergehend
verboten. Sie wurden im Untergrund jedoch weitergeführt.
Nach der Haftentlassung begann Hitler die Partei neu aufzubauen. Seine Agitationen
gegen die Regierung, den Marxismus, den Bolschewismus sowie die demagogische
Thematisierung der "Judenfrage", die er als Existenzfrage für alle Völker bezeichnete,
wurden zunehmend intensiviert. Vom Parlamentarismus hielt er nichts, sah ihn
jedoch als nützliches Mittel, um an die Macht zu kommen. Bis zum Parteitag im
Jahr 1926 festigte er die Partei und hatte sie nun als Führer unumwunden
in seiner Hand. Auch außerhalb Bayerns war sie nun präsent. Sie beteiligte sich
bei den diversen Wahlgängen der
Weimarer
Republik, zumeist ohne wesentlichen
Erfolg. Erst nach dem großen Börsenkrach 1929 in New York und
der folgenden
Wirtschaftskrise konnte Hitler punkten. Die Partei erhielt nun großen Zulauf,
und nach wiederholten erdrutschartigen Zugewinnen bei Wahlgängen im Verlauf
des Jahres 1932 war das Ende der siechen Demokratie von Weimar bereits abzusehen.
Bei der folgenden landesweiten Wahl zum nationalen Parlament wurde die NSDAP
die stärkste Fraktion, sodass, nach längerem Zögern, der greise Reichspräsident
Hindenburg den siegreichen Hitler mit der Regierungsbildung betrauen musste.
Nunmehr an die Macht gelangt, mobilisierte er die Massen und seine Partei. Es
kam zum Reichstagbrand, Verbot von Parteien und Verhaftungen von missliebigen
Personen. Nach dem Tod von Hindenburg integrierte er die Funktion des Reichspräsidenten
in das durch seine Person verkörperte Führerprinzip. Die drückende Arbeitslosigkeit
bekämpfte er durch Aufbau einer Rüstungsindustrie. Gegenüber dem Ausland zeigte
er Behauptungswillen, indem er die Reparationszahlungen einstellte und auf Expansion
und Eroberungspolitik setzte. Als erstes Land geriet Österreich massiv unter
Druck. Hitler zwang letztlich die Regierung Schuschnigg im März 1938 zum Rücktritt,
und der neue österreichische Bundeskanzler Seyss-Inquart musste Deutschland
um die Entsendung von Truppen ersuchen, damit der innere Friede wieder hergestellt
werden könne. Nachdem Österreich von den deutschen Truppen besetzt war, kam
Hitler am 12. März 1938 über die enge Innbrücke in seinen Geburtsort Braunau
am Inn. Im Triumph ging es in den folgenden Tagen über Linz nach Wien.
Große
Teile des österreichischen Volkes jubelten ihm zu und erhofften eine Besserung
der Lebensbedingungen. An führender Stelle waren natürlich die in Österreich
bereits vorhandenen NS-Anhänger. Es gab aber auch führende österreichische Politiker
ohne Nähe zur NS, welche schon 1918 für einen Anschluss an Deutschland eingetreten
waren, die nun den immer schon ersehnten Anschluss begrüßten. In diesem
Zusammenhang soll der Ausspruch eines Mannes angeführt werden, der in Österreich
als einer der großen Söhne bezeichnet wird - Karl Renner. Er meinte im April
1938 zum Anschluss, es sei "die glücklichste Stunde seines
Lebens"; gleichzeitig
rief er ohne Druck oder Drohung dazu auf, am 10. April 1938 bei der Abstimmung
für Großdeutschland und Adolf Hitler zu stimmen. Weiter meinte er, dass er mit
all seiner Kraft den Anschluss herbeisehnte. Vermutlich rettete ihn seine Meinung
und Haltung vor der Inhaftierung und dem Konzentrationslager, was seinen gleichgestellten
und weniger opportunistischen Politikerkollegen nicht erspart blieb.
Des Einen Freud ist jedoch gleichzeitig des Anderen Leid. Schon 1936 erklärte
Hitler, dass die "Judenfrage"
einer Lösung zugeführt werden müsse. Nach der
Machtergreifung setzte auch die Verhaftung der politisch andersgesinnten Personen
ein. Ihr folgendes Leid
braucht nicht beschrieben zu werden, zumal eine nur flüchtige und ganz beiläufige
Erwähnung der Ungeheuerlichkeit des an ihnen begangenen Verbrechens keinesfalls
gerecht werden könnte und die Gefahr einer Verharmlosung in sich birgt.
Nach der Okkupation von Österreich löste Hitler den Reichstag auf. Bei der folgenden
letzten Wahl erhielt seine Partei, sowohl im Reich als auch in Österreich, über
99 Prozent Zustimmung.
Deutschland, mittlerweile bereits hochgerüstet, setzte das Ausland nun noch
mehr unter Druck. Es folgte das Münchner Abkommen, wo die Westmächte der Okkupation
des Sudetenlandes notgedrungen zustimmten. Der deutsche Eroberungsdrang
beließ es jedoch nicht bei der bloßen Heimholung der Sudetendeutschen Gebiete
ins Reich, sondern schluckte in der Folge sogleich die ganze Tschechei. Als
stellvertretender Reichsprotektor für Böhmen und Mähren wurde ein gewisser Heydrich
eingesetzt. Heydrich sollte später Anlass für eines der
grauenvollsten - doch für jene Zeit so bezeichnenden - Verbrechen an der Menschheit
werden. Nach dessen Ermordung wurde als Rache das gesamte Dorf Lidice bei Kladno
nahe Prag dem Erdboden gleichgemacht, da man vermutete, dass Lidice jene Freischärler
schütze, denen das Attentat angelastet wurde. Die Frauen und Kinder aus Lidice
kamen in Konzentrationslager bzw. Internierungslager, die männliche Bevölkerung,
fast 200 Personen, wurde einfach erschossen. Gleichzeitig
mit der Einverleibung der Tschechei rückte auch Polen in das Blickfeld deutscher
Begehrlichkeit. Man provozierte Grenzzwischenfälle und unterstellte, dass
Polen Angriffshandlungen gegen das deutsche Reich vornehme. Dies war letztlich
der Vorwand, mit dem Polen im September 1938 überfallen wurde. Da England
und Frankreich mit Polen einen Beistandspakt hatten, griffen diese Mächte, wenn
anfangs auch nur auffällig zögerlich, in die Kampfhandlungen ein, und der
Zweite Weltkrieg nahm seinen Lauf.
Der Verlauf des Krieges wird von Kershaw genauso umfassend beschrieben wie
die Rassenverfolgung und das menschliche Elend in den Konzentrationslagern.
Durch die spätere Kriegserklärung an Russland, wodurch der mit Stalin
geschlossene Nichtangriffspakt gebrochen wurde, und das Scheitern der Blitzkriegsstrategie
gegen die Sowjetunion sowie letztlich den Kriegseintritt
Amerikas, infolge des strategisch verfehlten U-Bootkrieges der deutschen
Seestreitkräfte, schwand die Wahrscheinlichkeit, den Krieg zu gewinnen, auf ein
Minimum. Nach dem Verlust der Paulusarmee in
Stalingrad und der späteren Landung
der Westalliierten in der Normandie geriet die deutsche Wehrmacht immer mehr
in Bedrängnis. Die späteren großflächigen Bombardierungen zerstörten die Produktion
und die Infrastruktur des Reiches. Der letzte herzhafte
Versuch eines Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 in der Wolfsschanze, (einem
Bunkerkomplex in Polen), sollte Deutschland vor völliger Zerstörung retten.
Die Verschwörung schlug fehl, und die handelnden Personen unter Führung des
Grafen
Claus Schenk von Stauffenberg wurden standrechtlich erschossen, oder so wie der
populäre Kriegsheld General
Erwin Rommel in den Freitod getrieben. Hitler, letztlich militärisch
und moralisch in die Enge getrieben, Oberbefehlshaber einer vernichteten Wehrmacht,
Herrscher in einem Reich, das bis auf wenige Straßen und Landstriche vom Feind
erobert und vom Bombenkrieg vernarbt war, sah nach langer Wirklichkeitsverweigerung
keinen Ausweg aus seinem Verderbnis mehr und verübte am 30. April 1945 zusammen
mit seiner langjährigen Lebensgefährtin
Eva Braun
Selbstmord.
Der von ihm bestimmte Nachfolger, Admiral Dönitz, setzte wenige Tage später
neben den anderen Heerführern der geschlagenen Wehrmacht seine Unterschrift
auf die von den Alliierten vorgelegte Urkunde über die bedingungslose Kapitulation
des Großdeutschen Reichs.
Im Nürnberger Prozess wurden alle
wesentlichen
NS-Größen, soweit sie am Leben waren, verurteilt und zumeist durch
den Strang hingerichtet, obwohl diese versuchten, alle kollektive und persönliche
Schuld auf das eine Ungeheuer namens Hitler abzuwälzen, dessen ungebremste Stilisierung
zum schlechthin Bösen sich gerade für Mitschuldige am Menschheitsverbrechen
jener Jahre auch in der Nachkriegszeit bis zum heutigen Tage als eine sehr nützliche
Strategie erwies.
Damit ging eine unglückselige und finstere Phase deutscher Geschichte zu Ende.
Hitler war ein demagogischer Volksredner gewesen, der vermittels seines Charismas
und der Kraft seiner Ausdrucksweise die Menschen jener Tage faszinierte, denen
er als überweltlich verklärte Führergestalt geschickt Trugbilder
vorgaukelte, die er niemals einzulösen imstande war. Hitler war schon zu Lebzeiten
mehr Mythos als Realität, und so war er auch weder Stratege noch Staatsmann noch
Vernunftmensch. Wegen seiner verqueren Ansichten, (die zu jener Zeit allerdings
nicht so verquer waren, wie man heute meinen könnte), wegen seiner menschenverachtenden
Kriegs- und Eroberungspolitik (Krieg um Lebensraum) und wegen seines rassistischen
Mordregimes (Holocaust) geht Hitler als Schänder aller Humanität in die Annalen
der Geschichte ein, so wie es keinem historischen Frevler von Menschenrechten
- vor ihm wie auch nach ihm - je widerfahren ist.
Sein Name wird im allgemeinen
Empfinden unserer Tage mit einem Unmaß an krimineller Energie in Verbindung
gebracht, wie es nicht einmal dem Bösen in Person zustehen möchte, eine Praxis
der Dämonisierung, welche alle moralische Schuld in einer, nämlich in seiner,
Person fokussiert und die Mitverantwortung seiner Helfershelfer und Mitläufer
und seines Volkes unbeachtet lässt. Die hingegen allzu menschlichen und gar
exzentrischen Wesenszüge dieser sich historisch inszenierenden, tragisch-komischen
Figur auf akribische Weise und ohne unangebrachte Aufgeregtheit dargestellt
zu haben, ist das große und bleibende Verdienst des Historikers Ian Kershaw,
dessen umfassende zweibändige Hitler-Biografie auch hinsichtlich ihrer Lesbarkeit
zum Besten ihres Genres gehört.
Mit Fug und Recht darf die zweibändige Biografie
des Ian Kershaw als unübertreffliches Meisterwerk historischer Literatur weiterempfohlen
werden, welcher der Nimbus zeitloser Klassiker anhaftet.
(Dr. Hans Schulz)
Ian
Kershaw: "Hitler 1889-1936"
Übersetzt von Jürgen Peter Krause und Jörg W. Rademacher.
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Übersetzt von Klaus Kochmann.
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Noch ein Buchtipp:
Wolfram Pyta: "Hitler. Der Künstler als Politiker und Feldherr. Eine
Herrschaftsanalyse"
Der Diktator und die Macht der Inszenierung. Dieses Buch gewährt einen völlig
neuen Blick auf Herrschaft und Persönlichkeit Adolf Hitlers. Sein Aufstieg und
sein mörderisches Regime, so zeigt Wolfram Pyta, beruhten vor allem auf der
radikalen Anwendung ästhetischer Prinzipien, welche sich der selbsternannte
Künstler Hitler vor seinem Eintritt in die Politik im Jahre 1919 zu eigen
gemacht hatte.
Wolfram Pyta, renommierter Neuzeithistoriker und Direktor der Forschungsstelle
Ludwigsburg zur NS-Verbrechensgeschichte, untersucht aus ebenso erhellender wie
ungewöhnlicher Perspektive den Aufstieg des brotlosen Künstlers Hitler zum
allmächtigen Politiker und Feldherrn. Der Historiker zeigt, wie Hitler durch
raffinierte Ästhetisierung der Politik seine Massengefolgschaft fand - dem
verhinderten Theaterarchitekt und passionierten Wagnerianer half dabei vor allem
die konsequente Inszenierung seiner politischen Auftritte. In dem von ihm
entfesselten Weltkrieg erlangte Hitler zudem die totale militärische Herrschaft,
weil ihm der Geniekult die nötige Legitimation verlieh. So wird auf
überraschende Weise deutlich, dass der Diktator und militärische Führer Hitler
ohne sein reklamiertes Künstlertum nicht zu verstehen sind. (Siedler)
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