Claudiu M. Florian: "Zweieinhalb Störche"
Roman einer Kindheit in Siebenbürgen
Kaugummi
und eiserne Autochens
"Ausdeutschland"
Wenn der Name Siebenbürgen fällt, denkt jeder
sogleich an das sagenumwobene
Transsilvanien mit seinen Schlössern, Burgen,
Werwölfen, Vampiren und seinem
bekanntesten Vertreter, Graf Dracula. Auch der Wirtschaft ist diese
rumänische
Region ein Begriff.
Einen ganz anderen, noch dörflich geprägten
Landstrich erweckt Claudiu Mihail
Florian in seinem Debütroman "Zweieinhalb Störche"
zum Leben - das
Siebenbürgen seiner Kindheit. Dazu versetzt er den Leser in
die 1970er-Jahre.
"Storch,
Storch, guter, |
Dieses kleine Liedchen trällert der sechsjährige Ich-Erzähler auf der Dorfstraße mehrmals laut vor sich her. Er ist gerade mit seinem Vater zu Besuch bei seinen "anderen" Großeltern in der Walachei und löst damit allgemeines Erstaunen im Ort aus, denn er hat dieses Lied auf Deutsch gesungen. In dieser Region Rumäniens ist es eine Sensation, dass so ein kleiner Bub eine "Fremdsprache" schon derart gut beherrscht. |
Doch
Mutter und Großmutter des
Knaben gehören zur Volksgruppe der Siebenbürger
Sachsen, und das deutsche
Brauchtum ist fester Bestandteil ihres Lebens. Es gibt das
Weihnachtsfest nebst
Weihnachtsmann, man geht in die christliche Kirche, liest deutsche
Märchen,
singt deutsche Volkslieder und erwartet voller Spannung von Zeit zu
Zeit Besuch "Ausdeutschland".
Überreichen doch die Onkel dann immer gut riechende Kaugummis,
bunt und
knisternd verpackte Süßigkeiten und Blechautochens.
Mehrerlei
"Storch, Storch, guter, bring mir einen Bruder! ...",
wird der
Knirps noch des Öfteren singen, in der Hoffnung, dass sein
"Einerlei"
beendet und ihm ein Geschwisterchen gebracht wird. Aber so richtig
Verlass ist
auf den Vogel nicht. Vielleicht, weil in seiner Heimat alles
"Mehrerlei" ist. Angefangen bei der Sprache (Rumänisch,
Deutsch,
Ungarisch und Sächsisch), dem Feuer in den verschiedenen
Öfen des Hauses oder
den Glockentönen der "Rumänenkirche" und der
"Ungarnkirche" im Ort. Auch die Großeltern des Buben sind
für ihn
mehrerlei. Denn komischerweise erzählt man ihm, dass sie nicht
seine richtigen
Eltern sind, denn das "sollen die beiden fröhlichen
Leute sein, die uns
hin und wieder besuchen und sich dabei wie zu Hause fühlen."
Sein
Vater, ein Regisseur, und die Klavier spielende Mutter leben in
Bukarest.
Mehrerlei sind auch der Fernseher und das Radio, allein schon wegen des
unterschiedlichen Informationsgehalts. In Ersterem sieht man
hauptsächlich die
offiziellen, lautstarken rumänischen Propagandasendungen, in
denen meistens der
Genosse Nicolae mit "Diesen" zu sehen ist - wie der
Großvater,
ein von den Kommunisten seines Dienstes enthobener rumänischer
Gendarm, verächtlich
meint. "Die Großmutter und der Großvater
kucken auch nur ganz flüchtig
hin und drehen ihn leiser und immer leiser." Mit dem Radio
hingegen
verhält es sich ganz anders. Seinem nur leise
gehörten Kanal "Freies
Europa" lauscht man - nicht nur zu Weihnachten, wenn das
Glockengeläut "Indeutschland"
übertragen wird - andächtig.
Dieses Mehrerlei kann sich der kleine Ich-Erzähler noch nicht
ganz allein erklären.
Also löchert er seine Umgebung mit vielfältigsten
Fragen. Ärgerlich, wenn ihm
die Beantwortung selbiger mit einem "Später"
verwehrt bleibt. "Was
ist es denn, das sich erst später begreifen lässt?
Das 'Später' hasse ich
manchmal geradezu (...) Obwohl dessen Reiz eigentlich im hier und jetzt
liegt.
Denn alles, was ich jetzt haben und wissen möchte, wird
bestimmt überholt und
vergessen sein, eh das Später erreicht ist."
Originelle Geschichtsvermittlung und Landeskunde
Claudiu M. Florian, der als Presseattaché in der
Rumänischen Botschaft in
Berlin arbeitet, hat aus der Sicht eines kleinen Jungen - seines Alter
Ego - das
Siebenbürgen der 1970er-Jahre auferstehen lassen. In
detailreichen
Umgebungsbeschreibungen, mit wunderbaren Berichten aus dem Alltag der
Familie
des Buben - mit Lokalkolorit gewürzt - und durch ihn
belauschten und eigenständig
gedeuteten Gesprächen der Erwachsenen ist ein humorvoller und
detailreicher
geschichtlicher Abriss Rumäniens und seiner "Enklave"
Siebenbürgen
seit den großen Kriegen entstanden.
In klaren Sätzen, ohne Schnörkel und Beiwerk, schafft
der rumänische Autor,
der sich bereits während seiner Studienzeit mit
Übersetzungen mehrerer
deutscher und englischer Autoren - u. a. Herman Hesse
- ins
Rumänische einen
Namen machte, eine wunderbare Aura und originelle Geschichtsvermittlung
und
Landeskunde. Humorvoll tapst der Bub durch die Zeit und wirft einen
staunenden
Blick in eine alte und einstmals hochangesehenen Kultur - die der
"Siebenbürger
Sachsen" - welche durch den Eisernen Vorhang und die
großangelegten
Zwangskollektivierungs- und Enteignungsmaßnahmen der
Kommunisten und durch
gezielte Diskriminierung dieser Volksgruppe durch den
rumänischen Staat nahezu
zum Erliegen gekommen ist.
Letztendlich stellt er fest, dass es leichter ist, Jahre zu sammeln als
Geschwister. "Die Jahre scheinen irgendwie von allein zu
kommen und sich
zu vermehren, die Geschwister nicht."
Die beschauliche Kindheit des kleinen Ich-Erzählers ist mit
einem Mal viel zu
schnell zu Ende.
Fazit:
"Zweieinhalb Störche" ist ein kurzweiliger und beeindruckender
Ausflug in eine andere Welt mitten in Europa
- das deutschsprachige
Siebenbürgen
in Rumänien. Es sind Geschichten aus der Erinnerung des
Autors. Geschichten,
die er selbst erlebt oder gehört oder aber erzählt
bekommen hat. Schön, dass
Claudiu M. Florian daraus diese Geschichte gemacht und sie dadurch der
Nachwelt
erhalten hat.
"Keine Lektüre, kein Studium kann später das
ersetzen, was man als
Kind am Familientisch verpasste." (Lorenz Jäger)
(Heike Geilen; 09/2008)
Claudiu
M. Florian: "Zweieinhalb Störche. Roman einer Kindheit in
Siebenbürgen"
Transit Buchverlag, 2008. 240 Seiten.
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Claudiu
M. Florian wurde 1969 in
Rupea/Reps (Rumänien) geboren, ging mit elf Jahren aus seinem
Heimatort in Siebenbürgen nach Bukarest. Nach dem Abitur 1988
leistete er den rumänischen Militärdienst ab, wo er
im Dezember 1989 den Umbruch seines Landes miterlebte. Später
studierte er Germanistik und Geschichte in Bukarest, Bielefeld und
München.
Weitere Buchtipps:
Paul Philippi: "Land des
Segens? Fragen an die Geschichte Siebenbürgens und
seiner Sachsen"
Der evangelische Theologe und Kirchenhistoriker Paul
Philippi hat sich über Jahrzehnte hin intensiv mit der
Geschichte Siebenbürgens
auseinandergesetzt. Kennzeichnend waren dabei nicht nur seine profunden
Kenntnisse historischer Zusammenhänge und historischer
Quellen, sondern vor
allem die kritischen Fragen, die er zu stellen verstand. Dadurch
konnten
historische Interpretationen bestätigt, oft aber auch in Frage
gestellt werden.
Philippi ist es gelungen, neue Erkenntnisansätze über
die Rolle der Sachsen im
komplizierten Geflecht der Konfessionen, der politischen
Stände und der
ethnischen Nationen in Siebenbürgen aufzuzeigen und die
Landesgeschichte -
zumal ihre Religionspolitik - in den europäischen
Zusammenhängen verständlich
zu machen. Seine über sechs Jahrzehnte hin verstreut
erschienenen Beiträge,
zuletzt in seiner politischen Funktion als Vorsitzender des
Gesamtverbandes der
Deutschen in Rumänien entstanden, bieten überzeugende
und anregende Zugänge
zur Geschichte des südöstlichen Mitteleuropa.
(Böhlau Verlag Köln)
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Harald
Roth: "Hermannstadt.
Kleine Geschichte einer Stadt in Siebenbürgen"
Hermannstadt - das heutige Sibiu in Rumänien - wurde im
12. Jahrhundert zum Hauptort der deutschen und flämischen,
später
"Sachsen" genannten Siedler in Siebenbürgen. Im Mittelalter
stieg es
zur blühenden Handelsmetropole mit einem vielfältig
entwickelten Gewerbe und
einer Münzkammer auf, war das politische Zentrum der
"Sächsischen
Nation" und eine militärisch uneinnehmbare Festung. Als
Siebenbürgen im
18. Jahrhundert österreichisches Kronland wurde, bestimmten
die neuen Herrscher
die habsburgtreue Stadt zur Landeshauptstadt. Im 19. Jahrhundert, das
einen
ungeheuren Modernisierungsschub brachte, wurde Hermannstadt auch zu
einem
zentralen Ort der Rumänen Siebenbürgens, die hier
seit der Mitte des 20.
Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit bilden. Heute liegt
Hermannstadt im
Zentrum Rumäniens und hat seit der politischen Wende eine
verheißungsvolle
Entwicklung von einer vergessenen Provinzstadt hin zu einem
pulsierenden Kultur-
und Wirtschaftsstandort genommen. An die Deutschen erinnern jedoch
nicht nur das
Stadtbild und die Stadtgeschichte, vielmehr bietet Hermannstadt heute
ein Bild
europäischer kultureller Pluralität par excellence.
(Böhlau Verlag Köln)
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Laura
Balomiri: "Hermannstadt
/ Sibiu"
Aus der Reihe "Europa erlesen".
Mit Texten von Wolf Aichelburg, Vasile Avram, Andrei Barseanu, Astrid
Bartel,
Hans Bergel, Lucian Blaga, Samuel von Brukenthal, Dumitru Chioaru,
Luminiţa
Mihai Ciobă,
Emil
Cioran, Andrei Codrescu, Dan Dănilă, Helene Voigt-Diderichs,
Octavian Goga, Carl Göllner, Adela Greceanu, Dinicu Golescu,
Michael Conrad von
Heydendorf, Franz Hodjak, Emil Hurezeanu, Nicolae Iorga, Nota Iuga,
Mircea Ivănescu,
Wolfgang Knape, Hans Liebhardt, Balázs Lengyel, Gabriel
Liiceanu, Constantin
Noica, Nicolaus Olahus, Andrei Saguna,
Eginald
Schlattner,
Dieter
Schlesak, Emil Sigerius, Joachim Wittstock u. A. (Wieser
Verlag)
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