Gerhard Staguhn: "Warum die Menschen keinen Frieden halten"
Eine Geschichte des Krieges
Hintergrundwissen und
Projektionen zum Thema Krieg für Jugendliche
Kriege hat es, wie entsprechende Funde beweisen, bereits in prähistorischer
Zeit gegeben. Entgegen allen Erziehungsmaximen scheint Gewalt auch heute noch
ein probates Mittel zur Konfliktlösung zwischen Staaten oder ethnischen und
religiösen Gruppen innerhalb von Staaten zu sein. Der Frage, wie es dazu kommt,
dass Menschengruppen seit undenklichen Zeiten ihre Differenzen kriegerisch
austragen, geht das Jugendbuch "Warum die Menschen keinen Frieden
halten" nach.
Das erste Kapitel befasst sich unmittelbar mit der Frage, ob der Krieg für den
Menschen von der Natur als Verhaltensweise festgelegt sei, und kann keine
eindeutige Antwort geben: Bei Tieren kommt das kollektive Töten von Artgenossen
sehr selten vor, scheint jedoch bei Arten mit hoher Intelligenz, gepaart mit
komplexen sozialen Systemen, teilweise genetisch verankert zu sein. Menschliche
Gesellschaften, die keinen Krieg kennen, gibt es kaum.
Die Historie des Kriegs als Ausdruck einer Kunst oder einer erweiterten
Definition des Sports - und umgekehrt, des Sports als einer Ersatzhandlung für
Kämpfe, wie auch das Schachspiel, vielmehr der Schachsport, klar demonstriert -
ist Thema des darauf folgenden Kapitels, gefolgt von Betrachtungen über die
Rolle der Religion als scheinbare Ursache für Kriege. Passend wird an dieser
Stelle ein Abschnitt über den Dreißigjährigen Krieg eingeschoben, bei dem es
sich bekanntlich höchstens sekundär um einen Religionskrieg handelte.
Dass es immer auch Menschen gab, die den Krieg wissenschaftlich untersuchten,
das heißt, Strategien und Taktiken entwickelten und analysierten, zeigt sich
anschließend, etwa am Beispiel von Napoleon und Clausewitz. Ein düsteres, im
Geschichtsunterricht meistens zu wenig behandeltes Kapitel ist aus moderner
Sicht jenes über die Kolonialkriege mit ihren bis heute empfindlich spürbaren
Folgen für alle Beteiligten. Anschließend kann sich der Leser über die
Ursachen des Ersten Weltkriegs informieren, dieser Einschub leitet zum Kapitel
über den totalen Krieg über, der sich in den an dieser Stelle ausführlich
beschriebenen Weltkriegen besonders grauenvoll manifestierte.
Ein weiteres so genanntes Zwischenstück untersucht die Hintergründe des
Zweiten Weltkriegs, gefolgt von einer Untersuchung über heute hauptsächlich
aktuelle Kriegsformen, nämlich Bürgerkriege und internationalen Terrorismus.
In den letzten Kapiteln geht es um die Zukunft, zum einen darum, wie Soldaten künftig
ausgerüstet sein und welche Waffen ihnen und der Zivilbevölkerung
entgegenstehen werden, zum anderen darum, wie man den zweifellos vorhandenen
Friedenswillen der Menschen schulen und gegen die Verführungen von Propagandamaßnahmen
immunisieren kann, und ob dauerhafter Frieden in der Zukunft überhaupt möglich
ist.
In der Mitte des Buchs findet man Abbildungen von Stichen und Bildern sowie
Fotos, die kriegerische Handlungen aus verschiedenen Zeiten darstellen.
Der Autor hat eine Fülle von Fakten zusammengetragen und so aufbereitet, dass
sie für Jugendliche, eventuell auch schon für Kinder ab etwa zwölf Jahren gut
verständlich sind - sofern dies angesichts der Gräuel von Nazis und
Kolonialherrschern überhaupt möglich ist; zumindest wird hervorragend verständlich,
dass Krieg eben in keiner Kultur mehr das ritualisierte (und trotzdem tödliche)
Kampfspiel unter Rittern und Samurais ist, sondern automatisiertes, oft mit
grausamen Ausschreitungen verbundenes Hinmorden von möglichst vielen
"Feinden", wovon gerade im totalen Krieg auch Zivilisten massiv
betroffen sind.
Extreme Manifestationen wie die Kindersoldaten in vielen afrikanischen Ländern
und der islamistische Terror werden ebenso dargestellt wie längerfristige
Entwicklungen, an denen die heutige Welt mehr denn je krankt, etwa die willkürlichen
Grenzziehungen durch die früheren Kolonialmächte, die Kriege unter den dann
unabhängigen Staaten geradezu herausforderten. Kaum einem Leser mag bewusst
sein, dass zum Beispiel der Ausrottungskrieg unter den Hutu und Tutsi in Ruanda
ebenfalls seine Ursachen in der Kolonialzeit hat.
Sehr eindringlich zeigt der Autor auf, worum es bei den Kriegen der
Vergangenheit ging: um Macht, Nutzland oder Rohstoffe, oder alles davon. In der
Zukunft, so Staguhn, wird wahrscheinlich auch Trinkwasser zu den umkämpften
Ressourcen gehören. Religionen fungieren meistens nur als Aufhänger, wie etwa
bei den Kreuzzügen.
Bemerkenswert detailliert und umfassend legt der Autor auch komplexe Hintergründe
wie die Ursachen der beiden Weltkriege dar. Manchmal neigt er vielleicht etwas
zu sehr zum politisch korrekten Pauschalisieren; wer etwa mit einzelnen
ehemaligen Wehrmachtsangehörigen gesprochen hat, wird sich hüten, einer ganzen
Generation von Männern, die in einer Diktatur lebten, ohne Differenzierung die
Verantwortung für die Nazigräuel insbesondere an den Juden und in Osteuropa
aufzubürden.
Sehr selten tauchen Widersprüche auf, zum Beispiel bei der Herleitung der Überzeugung,
die Natur habe den Krieg für den Menschen nicht zwingend vorgesehen (auch wenn
der Autor sicher grundsätzlich Recht hat); in einem Kapitel heißt es, keine
Tierart führe Krieg, in einem anderen wird korrekt auf genozidartige
Handlungsweisen unter Schimpansen und anderen Affen hingewiesen. Auch stimmt es
nach Information der Rezensentin nicht, dass, wie im Buch angegeben, im
Tierreich Vergewaltigung und Folter nicht vorkommen.
Davon abgesehen aber wirkt die Argumentation schlüssig und somit
nachvollziehbar. Das Buch ist in unkompliziertem Stil und spannend verfasst und
bietet Antworten auf die Fragen, warum die Geschichtsschreibung vor allem von
Kriegen erzählt, wie diese entstehen, durchgeführt werden und sich auswirken,
und wie man, eventuell auch als Einzelner, sie künftig vermeiden könnte.
(Regina Károlyi; 01/2008)
Gerhard Staguhn: "Warum die Menschen
keinen Frieden halten. Eine Geschichte des Krieges"
dtv junior, 2007. 256 Seiten. (Ab 14 J.)
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Gerhard Staguhn, 1952 in Bayern geboren, studierte Germanistik und Religionswissenschaft und lebt heute als freier Autor und Wissenschaftsjournalist in Berlin. Mit seinen Büchern hat er sich bei Erwachsenen und Jugendlichen einen Namen als fesselnd erzählender, leicht verständlich schreibender Sachbuchautor gemacht.