Verena Moritz, Hannes Leidinger: "Die Nacht des Kirpitschnikow"

Eine andere Geschichte des Ersten Weltkriegs


Wie scheinbar banale Ereignisse Geschichte schreiben

Haben Sie schon einmal von Timofej Kirpitschnikow gehört? Vermutlich nicht. Dennoch ist der russische Feldwebel jemand, der die russische Revolution anstieß, indem er in einer Nacht im Februar 1917 erkannte, dass er Verantwortung für sein Volk trug, und sich, der Lebensgefahr trotzend, dieser Verantwortung stellte.
Geschichte verläuft keineswegs immer kontinuierlich, und die Momente, aus denen Geschichte wird, entgleiten gelegentlich dem Griff der Mächtigen. Unter Umständen vermag dann ein Einzelner, Unbedeutender die Ereignisse in eine unvorhersehbare Richtung zu steuern.
Verena Moritz und Hannes Leidinger haben den Ersten Weltkrieg analysiert, der manchmal entscheidend von Geschehnissen mit einer derartigen Eigendynamik beeinflusst wurde, und fünf Beispiele untersucht.
Nebst einem Vorwort als Orientierungshilfe und einer Einleitung über unterschiedliche Methoden der Geschichtsbetrachtung findet der Leser zunächst eine Zusammenfassung des Ersten Weltkriegs aus verschiedenen Blickwinkeln. Diese bildet eine gute Basis zum Verständnis der nachfolgenden fünf Episoden oder Momente, die dem Verlauf der Geschichte, wie erwähnt, eine schicksalhaft wirkende Wendung gaben.

Da wäre zunächst der österreichische Graf Alexander Hoyos. Er hatte nach dem Mord am österreichischen Thronfolger den Auftrag, für die k. u. k. Regierung herauszufinden, wie das Deutsche Reich im Falle einer gegen Serbien gerichteten "Aktion" Österreich-Ungarns reagieren würde. Hoyos selbst gehörte zu den glühendsten Befürwortern eines Kriegs gegen Serbien, gern auf die Gefahr eines Flächenbrandes hin, und er erreichte die Übergabe des deutschen "Blankoschecks", der dem zerbröckelnden Habsburgerreich den notwendigen Rückhalt zu geben versprach. Dass dies der Schalterdruck war, der in Europa die Lichter ausgehen ließ, glaubte Hoyos später selbst.
Beim zweiten schicksalhaften Moment handelt es sich um die Marne-Schlacht oder vielmehr im Kern um den verhängnisvollen Rückzugsbefehl für die siegreichen Armeen in Frankreich, dessen Konsequenzen von der Entente als "Wunder an der Marne" bezeichnet wurden. Dieser taktische Fehler war die Spitze eines Eisbergs aus Fehlentscheidungen, die das Gelingen des Schlieffen-Plans unmöglich machten, und er leitete den Stellungskrieg mit seinen unsäglichen Opfern ein.
Um Kirpitschnikow, der für den Titel Pate stand, geht es im nächsten Abschnitt. Der unauffällige junge Feldwebel weigerte sich, in Petrograd auf seine hungernden, in ihrer Verzweiflung demonstrierenden Mitbürger zu schießen, worauf seine Vorgesetzten selbst zur Waffe griffen, ein Blutbad anrichteten und drohten, gegen Verweigerer wie Kirpitschnikow hart durchzugreifen. In der darauf folgenden Nacht versicherte sich Kirpitschnikow der Unterstützung seines Regiments und traf Vorbereitungen; am nächsten Morgen kam es zur Eskalation, und einer der Vorgesetzten wurde erschossen. Nun mussten Kirpitschnikows Leute die Kameraden aus anderen Einheiten dazu bringen, sie zu unterstützen, denn sonst wären ihre Leben verwirkt gewesen. Auf diese Weise begann die Februarrevolution, die dem Zaren de facto die Macht nahm. Kirpitschnikow, der Held jener Nacht, konnte sich allerdings nicht lange an seinem Ruhm freuen. Auch die Februarrevolution fraß gelegentlich ihre Kinder.
Die aus etwa 40.000 Mann bestehende Tschechoslowakische Legion, die aus der Habsburgerherrschaft müden Überläufern und Kriegsgefangenen bestand und auf Wunsch der Alliierten per Eisenbahn aus Russland der Westfront zugeführt werden sollte, hatte keine Lust, zum Spielball der Mächte zu werden. Im Handstreich übernahmen die Tschechoslowaken den Verkehrsknotenpunkt Tscheljabinsk und von dort aus etliche sibirische Städte, nachdem es zu einem vergleichsweise unbedeutenden Zwischenfall gekommen war, auf den die Bolschewiki so ungeschickt reagierten, dass sie das Vertrauen der Tschechoslowaken verspielten. Da manche Bürger von Tscheljabinsk angesichts der Lage hofften, die Bolschewikenherrschaft abschütteln zu können, wechselten sie zur Seite der Tschechoslowaken über. Diese Ereignisse wiederum stießen den langen, blutigen Bürgerkrieg im ehemaligen Zarenreich an.
Der letzte der geschilderten schicksalhaften Momente ist der Kieler Aufstand als Auslöser der deutschen Revolution, die dank dem Engagement des SPD-Politikers Gustav Noske in einigermaßen geregelten Bahnen verlief; allerdings kann man dies unterschiedlich beurteilen: Einerseits wurde die "Räterepublik Deutschland" verhindert, andererseits bargen der Kieler Aufstand und die resultierende Revolution aber auch das Potenzial zur Errichtung einer echten, vom Volk getragenen Demokratie, zu der es dann bekanntlich nicht kam.
Und hiermit wären wir bei einer Besonderheit dieses Buchs angelangt, das sich zuweilen bewusst das unter Historikern verpönte Gedankenspiel "Was wäre gewesen, wenn ...?" erlaubt. Die Autoren stellen die einzelnen folgenreichen Momente in einen ausführlichen historischen Zusammenhang und interpretieren sie unter Zuhilfenahme unterschiedlichster Quellen, sodass eine spannende, kontroverse Betrachtungsweise resultiert. Eine verbindliche Wahrheit wird weder gesucht noch gefunden; der Leser bekommt jedoch schlüssige Einschätzungen geboten und kann sich daraus in Verbindung mit den vielen gut verständlichen Rahmeninformationen ein eigenes, differenziertes Bild von der Bedeutung der geschilderten Vorfälle machen und lernt zugleich den Ersten Weltkrieg, jene Massenschlächterei im Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert, über verschiedene qualifizierte Ansätze gründlich kennen und verstehen, so weit dies überhaupt möglich ist. Zu diesem Verständnis trägt auch das Kapitel "Totale und Panorama" als Abschluss bei, in dem die Betrachtung der Geschichte als Kontinuum oder Serie von "Knotenpunkten" diskutiert wird.
Die Autoren wenden sich sowohl an Leser mit Vorkenntnissen als auch an ein breites Publikum, die sich dem Ersten Weltkrieg aus einem ungewöhnlichen Blickwinkel nähern möchten, und sie werden den Ansprüchen beider Gruppen gerecht. Der Laie wird nicht durch Fachjargon und trockene Texte erschlagen - das Buch liest sich packend wie ein guter Kriminalroman -, der Fachkundige findet sorgfältig und unter Einbeziehung bislang unbeachteter Quellen recherchierte Informationen und interessante Denkansätze. Ein ausführliches Quellenverzeichnis belegt die gründliche Arbeit. Fotos einzelner Protagonisten "beleben" die Momentaufnahmen zusätzlich.
Das Buch überzeugt zudem durch die ansprechende und übersichtliche Aufmachung und ein praktisch fehlerfreies Lektorat/Korrektorat. Eine wirklich empfehlenswerte Neuerscheinung, die in der Tat Neues zu einem "alten" Thema bietet.

(Regina Károlyi; 03/2006)


Verena Moritz, Hannes Leidinger: "Die Nacht des Kirpitschnikow"
Deuticke, 2006. 319 Seiten.

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Verena Moritz, geboren 1969 in Eisenstadt, Historikerin, lebt in Wien, Mitarbeit in mehreren wissenschaftlichen Projekten zur Entwicklung Mittel- und Osteuropas im 20. Jahrhundert, zahlreiche Publikationen zur Geschichte Russlands und Österreichs, der Habsburgermonarchie und der Kommunistischen Internationale.
Hannes Leidinger, geboren 1969 in Gmunden, Historiker, lebt in Wien, Mitarbeit an mehreren wissenschaftlichen Projekten zur Entwicklung Mittel- und Osteuropas im 20. Jahrhundert, zahlreiche Publikationen.

Leseprobe:

"Bedienungsanleitung"

Ein Vorwort als Orientierungshilfe


Wer ist Kirpitschnikow? So wird wohl die erste Frage lauten. Eiligen Lesern möchten wir raten, sofort zur Mitte des Buches zu blättern, zum Kapitel "Es ist genug Blut geflossen!"

Wer geduldiger ist, dem seien ein paar Gedanken mitgegeben: Kirpitschnikow ist, wenn man so will, vor ein paar Jahren in unser Leben getreten. Damals war er uns genauso unbekannt wie den meisten Lesern wahrscheinlich jetzt. Im Zuge der Lektüre von Alexander Solschenizyns großem Revolutionsroman mit dem Titel "Das Rote Rad" ist er uns das erste Mal begegnet. Erst nachdem wir eigene Recherchen angestellt hatten, waren wir überzeugt, dass Kirpitschnikow nicht nur ein Romanheld, eine fiktive Gestalt, ist, für die man ihn zunächst halten könnte.

Alle Zweifel waren also ausgeräumt: Der Unteroffizier Timofej Iwanowitsch Kirpitschnikow ist eine historische Figur, die seinerzeit, das heißt 1917, in und für Russland eine bedeutende Rolle gespielt hat. Zumindest für kurze, ja sehr kurze Zeit. Er betrat die Bühne der Geschichte im Zusammenhang mit der russischen Februarrevolution - ein Ereignis, das in der Form, in der wir es heute kennen, ohne ihn vielleicht nicht denkbar gewesen wäre.

Kirpitschnikow jedenfalls war es, der uns auf die Idee brachte, nach bisweilen auch unbekannten Menschen und Momenten in der Geschichte zu suchen, die ihren Lauf mehr oder weniger nachhaltig beeinflussten, die, wie es immer wieder heißen wird, jenen "Funken" darstellten, der nötig war, um etwas zu bewirken. Weil die Tat von Timofej Kirpitschnikow am Anfang unserer Überlegungen zu diesem Buch stand, entschieden wir uns auch für seinen Namen und seinen "Moment" als Titel.

Der Erste Weltkrieg, oft als "Urkatastrophe" und eigentlicher Auftakt des Zwanzigsten Jahrhunderts beschrieben, ist ein ideales Feld, um nach den oben erwähnten Figuren und Ereignissen oder Momenten zu fahnden, die Prozesse jäh beschleunigten oder aber sie erst in Gang setzten. Unsere Beispiele sind alle der Geschichte der "Verlierer" dieses Krieges entnommen. Als solche sind nicht nur die Donaumonarchie und das Deutsche Kaiserreich zu betrachten; auch Russland, das frühzeitig aus dem Krieg ausschied, war bekanntlich alles andere als eine Siegermacht. Das Zarenimperium ging 1917 zugrunde, Österreich-Ungarn und das Hohenzollernreich folgten im Jahr darauf. Vor diesem Szenario eines bevorstehenden oder bereits mehr oder weniger eingetretenen Zerfalls, der gewissermaßen als Motor für einschneidende politische und gesellschaftliche Veränderungen diente, vollzogen sich auch die von uns ausgewählten "Momente".

In ihnen spielen stets Männer die Hauptrolle. Wo sind die Frauen?, möchte man fragen. Sie begegnen uns kurz, als "revolutionäre Masse", in Zusammenhang mit Kirpitschnikows Geschichte. Ansonsten werden uns jene "weiblichen Individuen", die wir namentlich kennen und die für unsere Beispiele im Buch von Bedeutung sind, als Klischeefiguren mit Hang zum Okkulten präsentiert, die obendrein - so die Darstellung in den Quellen - von eher zerstörerischer als gestalterischer Natur waren. Auch wenn sich gerade vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs beachtliche emanzipatorische Fortschritte beobachten lassen und sich der Wunsch nach Gleichberechtigung - bei allen notwendigen Abstufungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit und Breitenwirksamkeit - auf verschiedenen Ebenen erfüllen ließ, so war es doch im Wesentlichen eine "Männerwelt", die die Entscheidungen traf. Umso mehr in jenen Bereichen, die wir für unsere Beispiele gewählt haben: Politik und Armee. Darüber hinaus soll nicht vergessen werden, dass es auch eine "Männerwelt" war, die in den ersten Jahrzehnten nach 1917/18 die Geschichte dieses Weltkriegs geschrieben hat.

Was aber hat es nun bei genauerer Betrachtung mit den großen Augenblicken, also mit Begebenheiten von kurzer Dauer, etwa mit dem Wirken eines Timofej Kirpitschnikow, auf sich?

Wir haben insgesamt fünf "Nahaufnahmen", Momente, beziehungsweise Ereignisse, ausgewählt, um zu zeigen, wie und warum ein kleiner, unbedeutender Zwischenfall eine historische Wende herbeiführen kann. Manchmal waren es Tage, oft nur Stunden, die sich der Wirkmächtigkeit längerfristiger historischer Prozesse entgegenstemmten und für manche alles, zumindest aber vieles, veränderten. Freilich können Timofej Kirpitschnikow und die Februarrevolution ebenso wenig ohne die Berücksichtigung der größeren Zusammenhänge betrachtet werden wie etwa der hier ebenfalls geschilderte Aufstand der Kieler Matrosen im Jahr 1918. So weit so klar.

Die vermeintliche Klarheit jedoch blendet nur zu oft Nuancen und Zwischentöne aus. Die scheinbare Gewissheit lexikalischer Fakten ist im besten Falle eine Orientierungshilfe, zuweilen und bei näherer Betrachtung hingegen nicht mehr als eine sogar Verwirrung stiftende Verknappung oder aber eine inhaltsleere Hülle, die "totes Wissen" hinterlässt. Wir wollten uns auf das Terrain einer lebendigen und offenen Geschichte wagen, wo beispielsweise auch "kontrafaktische" Überlegungen, also verhinderte Möglichkeiten, Entwicklungen, "die nicht Geschichte wurden", eine Rolle spielen dürfen; auf ein Feld, wo Vermutungen nicht mit Spekulationen gleichgesetzt werden, unterschiedliche Interpretationen einen Platz haben und Widersprüche im Sinne eines Erkenntnisgewinns verstanden werden. Auf diese Weise können auch jene Aspekte in der Geschichte sichtbar gemacht werden, die sich dem oft naiven Bedürfnis nach Eindeutigkeit entziehen, die einem "allein selig machenden" Anspruch auf die eine "Wahrheit" oder zumindest auf einige wenige Erklärungen eine Absage erteilen. Würde sich nämlich die Geschichtsbetrachtung der simplen Frage nach Wahrheit oder Lüge, nach richtig oder falsch unterwerfen, dann wäre ihr Zustand mehr als Besorgnis erregend. Geschichte aber ist immer in Bewegung, nicht beliebig, aber auch nicht so geradlinig, so feststehend und unerschütterlich, wie es uns in der Rückschau erscheinen mag. Zudem zeigt sie Alternativen und Möglichkeiten auf, sowohl in ihrem Verlauf als auch in ihrer Interpretation.

"Auch unter Historikern", hält der Journalist und Buchautor Volker Ullrich in Zusammenhang mit den oft abenteuerlichen "Was wäre gewesen, wenn"-Geschichtsexperimenten von Literaten fest, "ist die What if-Frage nicht mehr verpönt. Kontrafaktische Überlegungen haben sogar Konjunktur. Sie können in der Tat helfen, der Vorstellung von einer Unentrinnbarkeit des historischen Prozesses entgegenzuwirken und den Sinn für verschüttete Möglichkeiten oder auch vermiedene Gefahren zu schärfen - allerdings nur dann, wenn dabei der realhistorische Kontext nicht aus dem Auge gelassen wird."

Diesen realhistorischen Kontext verlieren wir bei allen fünf "Nahaufnahmen" nicht aus den Augen und sparen ihn auch nicht in den Rahmentexten dieses Buches aus. Dort geht es aber um mehr. Nicht allein die Betonung einer Mehrdimensionalität der Geschichte ist von Bedeutung; ebenso wenig nur die Warnung vor einer vereinfachenden Geschichtsbetrachtung oder der Verzicht auf die letzten Sätze. All das mag erfahrenen Lesern als selbstverständlicher und nicht explizit zu thematisierender Kanon einer seriösen Historiografie vorkommen. Im Zentrum unserer Überlegungen steht vor allem noch die Frage, was das Ereignis, als "Wendepunkt" oder "Sternstunde" verstanden, "taugt" oder anders gesagt: Welchen Platz kann der historisch bedeutsame Moment innerhalb mittel- und längerfristiger Entwicklungen einnehmen, und wie ist er dann zu bewerten? Wahrscheinlich sind die Antworten, die wir darauf geben können, alles andere als erschöpfend. Unser Buch versteht sich aber als Anregung, sich speziell dem Ereignis von "kurzer Dauer" zuzuwenden, und vielleicht das zu tun, was wir hier oft nur andeuten: die Analyse zu verfeinern und Ereignistypen sowie Entscheidungsprozesse genauer zu erfassen und zu definieren.

Ist das auch einem breiteren Leserkreis zumutbar? Für uns steht fest: Ja. Und nicht nur das.

Der Ausflug in historische Zeiten und zu den damit verbundenen Theorien, die uns bei einer Auseinandersetzung mit dem kleinsten Augenblick, dem "Moment", begleiten und Inhalt des ersten Kapitels sind, ist als ein Eintritt in das Abenteuer Geschichte zu begreifen. Der darauf folgende Teil über den Ersten Weltkrieg als ein in seiner Deutung umstrittenes Hauptereignis ist nicht nur Kontext und Wegmarke einer "langen Dauer". Vielmehr bringt er die Verdichtung von Handlungssträngen zu Entscheidungsmomenten, die Verknüpfung längerer Entwicklungen mit zeitlich eng begrenzten Vorgängen zum Ausdruck. Vor diesem Hintergrund wird insbesondere die Frage nach Brüchen und Kontinuitäten gestellt, die den Krieg charakterisierten, ihm vorausgingen und folgten.

Die für das Buch ausgewählten fünf "Momente" innerhalb des großen Knotenpunktes oder Schlüsselereignisses "Erster Weltkrieg" sind chronologisch geordnet, beginnen mit 1914 und enden im Jahr 1918. Sie machen deutlich, dass sich die "kurze Dauer" in höchst unterschiedlicher Art und Weise vollzieht. Zufall oder Inszenierung des "Außerordentlichen", aber auch Erwartung und Erfahrung der Akteure spielen dabei eine ebenso große Rolle wie Spontaneität oder Planung der Geschehnisse, Chancen oder Grenzen individuellen Handelns. Dass Kirpitschnikows "Moment" in der Mitte des Buches landete, war zunächst nicht geplant. Dennoch ist es dann nicht einfach passiert, sondern sogar beispielhaft für das Anliegen des Buches: Der nächtliche Entschluss eines unscheinbaren Unteroffiziers der Zarenarmee versinnbildlicht den kleinsten Anstoß zu weitreichenden Konsequenzen und den Aktionsradius eines Einzelnen in der Geschichte.

Von dieser Mitte aus hin zu den übrigen Augenblicken und Rahmentexten, von innen heraus also, wie eingangs den "Ungeduldigeren" angeraten, kann man das Buch genauso lesen wie von vorne nach hinten oder umgekehrt. Leser und Autoren wählen damit gewissermaßen unterschiedliche Kameraeinstellungen, wenden sich einmal größeren Zusammenhängen und ein anderes Mal kleinsten Details zu. Ob Panorama, Totale oder Nahaufnahme - es bleibt jedem selbst überlassen, für welche Perspektive er sich zuerst entscheidet und wie er die einzelnen Wahrnehmungen, Begebenheiten oder Zeitdimensionen miteinander verbindet.

In den Nachbetrachtungen wird jedenfalls von uns ein Versuch unternommen, alle zuvor gesammelten "Bilder" zusammenzulegen, um weitere "Ansichten" zu ergänzen und eine Collage als kleine "Geschichte der kurzen Dauer" anzubieten.

Ein Nachsatz nach erster Korrektur des Textes durch Freunde: Die "großen Geschichtsforscher", ihre Theorien und Interpretationen, können wir hier nicht zur Gänze berücksichtigen. Ihre von uns aufgegriffenen, bisweilen zitierten Wortmeldungen sind daher im Folgenden auf die von uns fokussierten Fragestellungen ausgerichtet, repräsentieren also nur einen kleinen Ausschnitt ihres Schaffens. Darüber hinaus sind wir nicht lückenlos über die aktuelle berufliche Position der einzelnen Forscher unterrichtet. Wir haben uns daher mit jenen biographischen Angaben begnügt, die wir in den von ihnen stammenden und von uns verwendeten Werken gefunden haben.

Meine Güte, was man nicht alles bedenken soll, muss, ... Machen Sie es uns gleich: Stürzen Sie sich Hals über Kopf ins "Getümmel", man kann auch sagen "Gerümpel" der Geschichte. Wenn Sie es nicht gern "theoretisch" haben und an "großen" Zusammenhängen keinen Bedarf, wählen sie die "Nahaufnahme", den Moment und ... danke, Sie haben das Buch gekauft. Mutig, bei so einem Thema! Es könnte sich lohnen.

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