Volker Ullrich: "Napoleon"
Eine Biografie
"Halten Sie doch nur fest, dass ein
Premierkonsul in nichts diesen Königen von Gottes Gnaden gleicht, die ihre
Reiche wie ein ererbtes Gut betrachten. Ihnen kommt das Herkommen zugute,
während es bei uns ein Hindernis ist. Von seinen Nachbarn gehasst, gezwungen, in
seinem Inneren verschiedene Klassen Übelwollender im Zaume zu halten und
zugleich so vielen äußeren Feinden zu imponieren, bedarf der französische Staat
glänzender Taten, und deshalb des Krieges. Er muss von allen Staaten der erste
sein oder zugrunde gehen." (Napoleon in einem vertraulichen
Gespräch, 1802)
Napoleon war es sein Lebtag lang daran
gelegen, nicht nur als Kriegsgott, sondern auch als Mann des Geistes gesehen
zu werden und solcherart im Andenken der Nachwelt einen würdigen Ehrenplatz
einzunehmen, der nicht allein für eine letztlich erschütternde Opferbilanz steht.
Nun, diesen netten Gefallen tut ihm Volker Ullrich allerdings nicht. Und der
Biograf des großen französischen Nationalheroen bekundet zudem auch nur wenig
Bereitschaft, dem Mythos vom Befreier der europäischen Völker aus Unmündigkeit
und Knechtschaft unreflektiert dienlich zu sein. Ullrich bemüht sich viel mehr
um ein unvoreingenommenes Porträt des Imperators, jenseits von Verherrlichung
durch Bonapartisten oder der Dämonisierung durch Royalisten und kommt dabei
zu dem Schluss, Napoleon am Ehesten als Despoten charakterisieren zu müssen
- vielleicht sogar mit Anflügen eines beginnenden Cäsarenwahns. Für einen glorifizierenden
Nachruhm bleibt laut Ullrich bei kritischer Betrachtung jedenfalls nicht allzu
viel Raum übrig.
Gewiss, mit Napoleon kam die neue Zeit, er vollzog das Erbe der Französischen
Revolution, indem er es in vernünftigere Bahnen geleitete, vom blutig ernsten
Eifer der Jakobiner säuberte, deren Parteigänger er anfänglich gewesen war.
Die Stiefel der Soldaten seiner "Grande Armée" zertraten nicht nur das Grün
der Erde, auf die sie einstampften, sie trugen auch die Ideen der Aufklärung
mit sich und verbreiteten die revolutionären Begriffe von Gleichheit und Brüderlichkeit
über den zu jener Zeit noch von Adel und Klerus beherrschten Kontinent. Ullrich
verweist in diesem Zusammenhang auf die historische Wirkmacht des "Code civil"
von 1804, welcher als Gesetzesbuch wesentliche Prinzipien der Revolution festschrieb
- Gleichheit vor dem Gesetz, Vertragsfreiheit, Trennung von Staat und Kirche
- und ganz zweifelsfrei als große zivilisatorische Errungenschaft zu preisen
ist. Napoleon durfte sich mit Recht als der Schöpfer dieses in leicht verständlicher
Sprache geschriebenen und in seinen Grundlegungen modern anmutenden Prototyps
einer bürgerlichen Grundrechtsverfassung brüsten. Und stellte die Bedeutung
des "Code civil" dann auch im Rückblick über seine militärischen Taten. In seinen
Memoiren schrieb Bonaparte in diesem Sinne: "Doch was nichts auslöschen kann,
was ewig bleiben wird, das ist mein Code civil."
Napoleon sah sich in den auf Sankt Helena verfassten Erinnerungen zu seinem
Leben selbst als Friedensfürst, der allemal nur nach dauerhaftem Frieden gestrebt
habe und für den Krieg niemals Selbstzweck gewesen sei. Man hätte ihn nur immer
wieder gezwungen zu den Waffen zu greifen. Überhaupt arbeitete Napoleon in seiner
letzten Lebensphase, während der Verbannung auf Sankt Helena, wo er 1821 verstarb,
emsig an seiner eigenen Legende als Wohltäter der Menschheit. Ein Meister der
Propaganda bis zum Schluss, stilisierte sich Napoleon in seinen Lebensbetrachtungen
zum Anwalt der "Völkerfreiheit": "Ich habe den Abgrund der Anarchie zugeschüttet,
ich habe Ordnung in ein Chaos gebracht. Ich habe die Revolution geläutert, habe
die Völker veredelt, die Könige auf ihrem Thron gesichert. Ich habe die guten
Bestrebungen gefördert, jedes Verdienst belohnt, die Grenzen des Ruhmes erweitert.
Das ist doch immerhin etwas!" - Wie wir heute wissen, machte Napoleon mit seinem
Selbstlob bei der Nachwelt großen Eindruck. Man glaubte ihm, schuf einen Kult
um seine Person, dem selbst noch so brillante Köpfe wie jener des Dichters Heinrich
Heine anheim fielen, der in sein Vers-Epos "Deutschland. Ein Wintermärchen"
1844 einen überschwänglichen Lobgesang an den toten Kaiser einflocht, welcher
mit der verzückten Wahrnehmung eines - wortwörtlich - "verschollenen Liebesruf,
Das Vive L’Empereur!" abschließt.
Für Volker
Ullrich sind Napoleons Selbstrechtfertigungen alles ziemlich dreiste
Verdrehungen historischer Tatsachen, die keinen Heldenkult verdienen, denn
ausgerechnet Napoleon war schlussendlich immer noch der Totengräber jener
bürgerlichen Freiheiten gewesen, für die zu kämpfen er vorgab. Charaktermängel
seien für diesen Widerspruch ursächlich gewesen, womit Ullrich jedoch Umstände
und widerständige Strömungen vernachlässigt, welche Napoleons Reformwerk mit
Kräften hintertrieben. So vor allem die unerbittliche Gegnerschaft durch
katholische Kreise, obgleich Napoleon aus Einsicht in die Notwendigkeit von
Religion zur Stabilisierung von Herrschaft sehr wohl eine Verständigung mit dem
katholischen Klerus erstrebte. Napoleon merkte gegenüber Staatsrat Paul Louis
Roederer dazu an: "Die Gesellschaft kann nicht existieren ohne
Vermögensunterschiede, und die Vermögensungleichheit kann nicht ohne Religion
existieren. Wenn ein Mensch Hungers stirbt neben einem anderen, der im Überfluss
lebt, so ist es ihm unmöglich, diesem Unterschied beizustimmen, wenn es nicht
eine Autorität gibt, die ihm sagt: Gott will es so."
Nur beiläufig erwähnt Ullrich die Tragödie einer Aufstachelung der stolzen -
jedoch über Jahrhunderte lang in Unmündigkeit gehaltenen - spanischen Nation
durch Aristokraten und Priester zu einem grausamen Volkskrieg ("Guerillakrieg")
gegen die französischen Besatzer - und somit auch irgendwie gegen die eigenen
Interessen dieser Nation, denn Napoleon setzte in dem rückständigen Land rechtsstaatliche
Einrichtungen ein und zerbrach mit dem Verbot der "Spanischen
Inquisition" die selbst angemaßte Macht der katholischen Kirche. Was doch
nur zum Besten des spanischen Volkes gemeint sein sollte. So sah es zumindest
Napoleon und erzürnte sich ob des unverständlichen Widerstands gegen seine Wohltaten
gegenüber dem einfachen Volk, das er von seinen Peinigern befreit zu haben meinte.
Überhaupt zu zaghaft erhellt bleibt im Buch das
unversöhnliche Ringen der französischen Weltveränderer mit den absterbenden
Mächten feudalistischer Weltbeherrschung, nämlich im Sinne eines Kriegs der
Weltanschauungen. Nicht zuletzt der Priesterstand versuchte die Neuordnung
Europas nach Maßgabe eines liberalen und aufgeklärten Gesellschaftsbegriffs
unter Aufbietung aller Kräfte zu sabotieren und hetzte ohne Rücksicht auf
Verluste und Menschenleid zu lokal isolierten und deswegen aussichtslosen
Aufständen gegen die französische Hegemonialmacht. Der Aufstand der Tiroler
Bauern unter Führung des
Andreas Hofer ist ein
singuläres Beispiel dafür, welches von Volker Ullrich - wohl der untergeordneten
Bedeutung des Aufbegehrens wegen - allerdings nur im Rahmen einer kurzen
Ausführung zu völkisch motivierten Eruptionen eine Erwähnung
findet.
Leider gar nicht zur Sprache kommt, dass Napoleon die
Gleichstellung unterdrückter ethnischer Minderheiten, wie etwa der Juden,
betrieb. So wurde zum Beispiel in Venedig das jüdische Ghetto aufgelassen,
nachdem die Lagunenstadt unter französische Ägide gelangt war.
Sehr
richtig und umfassend arbeitet Ullrich hingegen Bonapartes Bestrebungen aus, die
bürgerlichen Ideale aus der französischen Revolution zum Zwecke der Errichtung
einer kaiserlichen Erbdynastie seines Namens zu instrumentalisieren und
letztlich zu hintertreiben. Der Korse, welcher sich vom ursprünglich korsischen
Nationalisten und Hasser der Franzosen zu deren vorgeblichem Liebhaber gewandelt
hatte, betrieb entgegen den gleichheitsfixierten Begriffen der Aufklärung eine
Politik der Schaffung und Verfestigung von Ungleichheit, insbesondere der
Rearistokratisierung von gesellschaftlicher Herrschaft und leistete zudem einem
üblen Kult um seine Person Vorschub. Schon 1803 wurde sein Geburtstag, der 15.
August, zum Nationalfeiertag proklamiert. Und Schülern wurde die Pflicht
auferlegt ihre Ergebenheit gegenüber dem Kaiser der Franzosen in einer Form zu
bekennen, wie sie für gewöhnlich nur einem Gott gebührt. Dies alles - die
Schaffung hierarchisch gefügter Stände und ein zusehends lächerlicher
Personenkult - diente schlussendlich zur Sicherung einer charismatischen
Herrschaft, der es an traditioneller Legitimität mangelte.
Sehr dicht
bringt Ullrich Napoleons soeben schon angedeutetes Legitimitätsproblem in seinem
Buch zur Darstellung. Napoleon war der erste große Herrscher, der es in
kürzester Zeit aus eigener Kraft vom kleinen Korporal zum Kaiser einer
europäischen Großmacht gebracht hatte. In seinem rasanten Aufstieg verkörpert
sich das bürgerliche Leistungsideal der neuen Zeit, welches freilich als
Legitimationsgrund in den Augen des Geburtsadels null und nichtig ist. Die
Wirren im Gefolge der Französischen Revolution von 1789 hatten den jungen
Offizier mit dem eher ungepflegten und hageren Erscheinungsbild in die Kreise
der Revolutionsgewinnler hochgespült. Ein gerütteltes Maß an Fortüne und
persönlichem Geschick, aber gewiss auch sowohl seine Feldherrengenialität als
auch überhaupt seine Intelligenz im Umgang mit modernen Methoden der
Kriegsführung und politischen Herrschaft waren die Grundlagen von Bonapartes
kometenhaftem Aufstiegs zum zwischenzeitlichen Beherrscher Europas.
Nichtsdestotrotz sah sich Napoleon selbst mangels hoher Geburt als Usurpator der
Macht, die ihm nur bis zu jenem Tage zustehen könne, bis zu dem er jener
unbezwingbare Übermensch bleibe, den er zwanghaft zu inszenieren hatte. Auf
dieses blanke Gefühl der Geringheit im Vergleich zu den hochwohlgeborenen
Herrscherdynastien des Ancien Régime führt Ullrich Napoleons geradezu manisch
betriebene Expansionspolitik zurück. Napoleon träumte von der Weltherrschaft,
weil er als Außenseiter weltlicher Herrschaft diesen Traum träumen musste. Und
es sollte schlussendlich dieser Traum absoluter Unbesiegbarkeit sein, der den
Kaiser der Franzosen in seinem kriegerischen Wagemut Unbeherrschtheit lehrte und
vermittels dessen in den Abgrund der militärischen Niederlage
stürzte.
Ullrich sieht, nach Auffassung des Rezensenten, in seiner
Deutung der Person Napoleons den zentralen Aspekt in dessen Bestreben um
Anerkennung durch die eingesessene Hocharistokratie des alten Kontinents. Der
Standesdünkel freilich blieb unüberwindlich. Die ersehnte Anerkennung des
Usurpators aristokratischer Macht wurde vom Adel strikt verweigert, und als
Napoleon danach trachtete mit Gewalt zu nehmen, was man ihm vorenthielt, musste
dies auf die Dauer gesehen seinen Untergang bedeuten.
Abschließend ist zu sagen, dass sich Ullrichs Biografie zur Person des
Napoleon Bonaparte schwerpunktmäßig zwar
eher auf unsympathische Merkmale des Kaisers der Franzosen fokussiert, doch
dieses auf geschickte und überdies überzeugende Weise. Man hätte dieses Buch
natürlich auch anders schreiben können, mehr nach dem Muster des monumentalen
französischen TV-Vierteilers aus dem Jahre 2002, den Ullrich als eine "trivialisierende
Aufbereitung des Mythos Napoleon" kritisiert, doch verrät uns die Frage nach
der Perspektive nicht mehr, als dass eine so widersprüchliche Figur wie jene
des Bonaparte zwangsläufig eine Vielzahl von konkurrierenden Bildern nach sich
ziehen muss. Für Volker Ullrich scheint sein endgültiges Urteil über die Person
des Kaisers jedoch klargestellt, wenn er zum Abschluss seiner Biografie Chateaubriand,
einen Zeitgenossen Napoleons, zitiert, welcher prophezeite: "Nachdem wir den
Despotismus seiner Persönlichkeit hingenommen haben, müssen wir nun den Despotismus
seines Andenkens auf uns nehmen."
Wie auch immer, Volker Ullrichs Lebensbeschreibung des auf seine
Weise rühmlichen Korsen enthält eine gleichermaßen spannende wie tragische,
jedenfalls sehr kritische Interpretation eines großen Mannes, die sich dann aber
auch noch wie ein Abenteuer liest.
(Harald Schulz)
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rororo, 2006.
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