Leseprobe:
(...) Wir sind im Studio der Zehn-Uhr-Nachrichten. Ich sehe
sofort Gaby Sitzknecht hinter ihrem nierenförmigen Moderationstisch, ebenfalls
mit ein paar Zetteln vor sich. Ihr Kleid ist pfauenblau und schlicht. Ihre dunkelblonden
Haare, zu einem Pagenkopf frisiert, glänzen matt im Licht der bereits voll aufgedrehten
Scheinwerfer. Bis sie mich entdeckt, wirkt sie vor Panik stocksteif. Dann sieht
sie mich mit den beiden aufgeregten Assistenten ins Studio kommen und entspannt
sich.
Ich fasse es nicht: Die Verwandlung funktioniert. Es
ist, als sei vor dem Bild, das ich abgebe, bereits das Insert zu lesen: Mag. Gerd
Wegerer, Vizekanzler und Innenminister.
Herr Vizekanzler,
servus Gery, schießt die Sitzknecht los.
Wir sind also aus
irgendeinem Grund per du.
Servus, servus, sage ich, tut leid,
tut leid.
Mir fallen ganze Steinlawinen vom Herzen, sagt
sie.
Achtung, Gaby, zwanzig Sekunden, schreit jemand im Hintergrund.
Ich
schätze, es sind außer den drei Kamerateams noch ein Dutzend dienstbarer Geister
hinter den Kulissen. Ich beginne, die Situation zu genießen.
Jetzt
kommen wir nicht mehr zum Besprechen, zischt die Sitzknecht und zieht mich neben
sich an den Moderationstisch. Ich habe mir gedacht, sagt sie leise, wir nehmen
uns zwei, drei Fragen Zeit für Salzburg. Der Rest vom Gespräch ist dann Wahlkampf.
Na,
na, versuche ich aufs Geratwohl, so war´s aber nicht besprochen.
Bittebitte,
macht Gaby Sitzknecht.
Gaby, jetzt! kommt es aus dem Hintergrund.
Das rote Licht beginnt auch im Studio zu blinken, zum Zeichen, dass wir auf Sendung
sind. Es folgt das Dröhnen der Signation. Hinter uns sieht das österreichische
Fernsehpublikum jetzt die sanfte Krümmung des von Wolkenwirbeln gezausten Erdballs.
Es geht los.
Ich fummle mit der Brille und den gefalteten
Unterlagen der Fernsehjournalistengewerkschaft herum, mein Blick geht auf die
helle Nierentischplatte. Die Fanfaren der Signation werden von der Ankündigung
der Nachrichtenthemen durch einen Sprecher aus dem Off in den Hintergrund gedrängt:
Blut und Scherben in Salzburg: Die Exekutive rüstet gegen die Globalisierungsgegner.
Ist das Klonen von Schoßhündchen erlaubt? Kirche und Greenpeace sagen: Niemals!
Außerdem: Bürgerinitiativen fordern ein Ende der Autobahnbaustellen.
Hier
muss ich achtgeben, nicht zu lachen.
Zu Gast im Studio, sagt
der Sprecher, ist Vizekanzler und Innenminister Gerd Wegerer.
Jetzt
ruht die Kamera wohl auf mir. Ich streiche mir mit der Hand behutsam durch die
von Fritz, dem Friseur, drei Stunden vorher fabrizierte Fönwelle und spiele mit
den Unterlagen.
Durch die Sendung, sagt der Sprecher, führt
Gaby Sitzknecht.
Sitzknecht begrüßt die Zuschauer. Es folgt
der Aufmacherbeitrag über die Hochrüstung in Salzburg, der unser Gespräch einleiten
soll. Während die Reporterin an der Salzach Vertreter der Kommunisten befragt,
die eine Demo organisieren, einen rabiaten Vizebürgermeister interviewt und einige
entschlossene Souvenirhändler, die nicht dichtmachen wollen, vor die Kamera bringt,
während zahlreiche Polizei-Sonderkommandos im Bild sind, wobei die Beamten mit
den schwarzen Latexanzügen natürlich fehlen, währenddessen studiere ich Gaby Sitzknechts
Gesicht.
Sie ist eine wirklich gutaussehende Frau. Nicht
so schön wie Rea, natürlich nicht, aber der Glanz, den die Sitzknecht an manchen
Abenden via Fernseher in mein sterbliches Junggesellenleben in der Fasangasse
gebracht hat, dieser Glanz hält auch hier, von Angesicht zu Angesicht.
Ich
bewundere ihre glockenblumenblauen, zehnschillingstückgroßen Augen, die den Gesprächspartner
so sanft, fast lockend anschauen können, während sich der wohlgeformte, aber mitunter
wieselartig
verbissene Mund unbemerkt zu einer boshaften Frage formt.
Ich
muss, denke ich, vor ihr einen kleinen Vorsprung wahren.
Da
schlägt sie den Blick hoch, schaut mich direkt an, und jetzt sehe ich einen Augenblick
so etwas wie Irritation in ihren Augen. Natürlich. Ich muss ihr fremd vorkommen.
Es gibt im Augenblick keine Bewegungsunschärfe. Unverzeihlich, aber da ist der
Beitrag schon zu Ende.
Bei mir im Studio, sagt Sitzknecht
ein bisschen kurzatmig, begrüße ich nun Vizekanzler Innenminister Gerd Wegerer,
der aus Salzburg extra zu uns in die Sendung gekommen ist.
Sie
wendet sich mir in einer filmreifen Halbdrehung zu und reißt die Augen auf.
Guten
Abend, Frau Sitzknecht, sage ich.
Herr Minister, wir haben´s
gesehen, Sie rüsten da draußen zu einer Großschlacht, dabei hat es doch noch vor
fünf Tagen geheißen, die Chaoten würden gar nicht über die Grenze kommen, denn
das Schengen-Abkommen sei ja ausgesetzt. Steckt darin nicht eine kleine Diskrepanz?
Ich
räuspere mich, setze ein nachsichtiges Lächeln auf und sage: Aber Frau Sitzknecht,
wir wollen nicht verallgemeinern. Sie können nicht alle Leute, die da draußen
ihre Anliegen vertreten, einfach Chaoten nennen.
Ich sehe
das Erstaunen in ihrem Blick, ich bin schließlich als Hardliner erster Sorte bekannt.
Jetzt habe ich sie nicht nur irritiert, sondern auch erstaunt, ich habe nur noch
eine Nasenlänge Vorsprung.
Wir haben uns in Salzburg gerüstet,
ja, sage ich jetzt, aber wir haben dabei auch das Gespräch mit allen gesucht.
Und zwar ganz bewusst.
Auf dieses ganz bewusst bin ich stolz. Diese Phrase
ist mir aus der Zeit meines Medienkonsums als Sterblicher in Erinnerung geblieben,
diese Phrase lässt nämlich
der Kanzler andauernd aus seinem Mund fallen, bei jedem Thema, er
geht sogar ganz
bewusst aufs
Klo, wenn es sein muss, und seitdem er Kanzler ist und alles
fallen lassen kann, was er will, machen es ihm seine Regierungsmitglieder nach.
Sogar die Nationalen, die abgesprungenen Koalitionspartner von Kanzler, Wegerer
und Co., haben zuletzt alles ganz bewusst getan, wahrscheinlich haben
sie sich auch ganz bewusst aus dem Himmelfahrtskommando dieser Regierung
verabschiedet.
Tatsächlich entspannt sich das Gesicht der
Moderatorin, als sie die Floskel hört. (...)
Aus dem Roman "doktor paranoiski"
von Ernst Molden.
Deuticke, 2001. 223 Seiten.
ISBN 3-216-30539-2. ca. EUR
18,02.
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