Leseprobe:

(...) Plötzlich waren die Clagenfurther eine große Jagdgesellschaft. Bewaffnet kamen sie beim Ursulinenkloster an, aus allen Gassen und Straßen krochen sie daher. Mistgabeln und Rechen mussten herhalten, ebenso wie große Schlachtmesser und Sicheln.
   Die Frauen hatten überwiegend die besten Küchenmesser dabei, und wäre ihnen der blutgierige Speichel aus den Mundwinkeln geflossen, niemand hätte Anstoß daran genommen.
   Kanzian stelzte mit geblähter Brust zwischen ihnen einher: "Heute nacht werden wir sie kriegen, ich versprech´ es euch, Leute. Bevor wir sie nicht stellen, gehen wir nicht heim."
   Er hatte geschrien, denn die Menschenmenge nahm zu und noch immer strömten von allen Seiten weitere Jagdwillige hinzu.
   Hatten sie vorher noch verhalten gemurrt und gebrummt, und waren vereinzelt unwillige Schimpfkanonaden losgelassen worden, so muckten sie jetzt bereits lautstark auf.
   "Wann geht es endlich los, Richter?", rief einer aus dem hinteren Viertel, das in den Hof des Ständehauses hineinwuchs. "Ja, wir können es nicht erwarten, ihr das Haar abzuschneiden." Dreckiges Gelächter verschmutzte die Gesichter aller.
   So also sammelten sich ihre Häscher vor den Toren des Konvents der Ursulinen, der ersten Station ihrer Suche.
   Es war ein Sturm, der über die Klosterschwestern, deren Kirche und Turm hereinbrach, als Kanzian Weierer das Zeichen gab, mit der Suche in jedem Winkel der Türme zu beginnen.
   Die Rotte fiel ein in den Turm, wie eine riesige Walze.
   Schon hier im fraulichsten der Türme wurde kristallklar, worum es ihnen ging.
   Um Blut.
   Denn sie glaubten, nur Blut sühne den Tod. Hatten vergessen, dass jeder Tod demnach Sühne verdiente. Auch der Tod dieser Frau. Mit ungestümer Heftigkeit verlangte ihnen nach dem Leben der Glöcknerin, das ihnen nicht gehören konnte. Verborgene Wahrheiten spiegelten sich in ihren Gesichtern, als sie die Stufen des Turmes hastig erklommen. Hinter den Oberflächen von Gehölz, das nach schwerer, vergangener Zeit riecht, existieren stolze Wesen.
(...)


aus:
"Die Glöcknerin"
Roman. Hermagoras Mohorjeva, 2000.
178 Seiten. ISBN 3-85013-712-0.