Johanna König: "Die Glöcknerin"
Die Versuchung schlechthin in Gestalt einer unwiderstehlichen Figur der Lichtwelt
Nein, in
"Die Glöcknerin" hat die 1958 in der Steiermark geborene Johanna König keineswegs
den hinlänglich bekannten Buckligen einer Geschlechtsumwandlung unterzogen. Vielmehr
begegnete die Gestalt der Glöcknerin der Autorin im Traum und bewegte sie dazu,
ihre Geschichte niederzuschreiben.
Im Kessel der urbanen Märchenwelt
wird diese folglich zusammengebraut; gewissenhaft ausgearbeitete Handlungsstränge
veranschaulichen Land und Leute, Denken und Handeln im Klagenfurt des frühen
18. Jahrhunderts.
In von Poesie erfüllten Satzkonstruktionen werden zwei, für die jeweils Beteiligten
durchwegs letal endende, Liebesbeziehungen entwickelt und die Geschichte einer
Seelenrettung erzählt, sowie das tief im Menschen verwurzelte Phänomen der vereinenden
Suche nach einem gemeinsamen Sündenbock, der als Projektionsfläche latenter
Missstände herhalten muss, beschrieben.
In der von Johanna König geschaffenen Stimmung wird der Leser Zeile für Zeile,
Bild für Bild in den Strudel der Ereignisse gezogen, indem beispielsweise die
Hetzjagd
der blindwütigen Stadtbewohner mit Formulierungen wie "anrüchiger Jagdglanz"
und "blutiger Speichel" illustriert und beengend beschleunigt wird.
Geheimnisvoll, keinem erkennbaren Gefüge verpflichtet, schlüpft
die im Gebälk dreier Kirchtürme hausende Glöcknerin durch Raum und Zeit, durch
Elemente und Gebilde von Menschenhand. Und weil viele Sterbliche das Wundersame
dieser Figur aus Furcht ablehnen, auch wenn ihnen die Gestalt aus der Zwischenwelt
keinerlei Schaden zufügt, wächst aus Unverständnis Hass: "Die brodelnde Volksseele
jedoch vermählte sich in dieser Nacht mit dem Aberglauben."; "Dieses Gesindel,
zum Instrument seiner abgrundtiefen Hassgefühle geworden ..."; "Waren sie Puppen,
die nach einem Ablaufplan agierten, der bereits geschrieben war? Ja. Aber sie
wussten es nicht." Weiber hassen die Glöcknerin ihrer sinnlichen Ausstrahlung
und Schönheit wegen, Männer fühlen sich bei ihrem Anblick um Verstand und Seelenfrieden
gebracht. Doch sie schenkt nur einigen Wenigen Aufmerksamkeit und Zuneigung. So
kommt, was kommen muss: "Verschmähte Liebe blutet nicht aus. Verschmähter Liebessaft
wird durch Gärung verdorben und weist sich selbst aus dem Paradiese durch den
abscheulichen, widerwärtigen Gestank des verwesenden Flüssigkeit. Dem Wesen des
Aases verwandt, nur von Hyänen akzeptiert, die gierig wittern, wovon ein gesundes
Tier sich abwendet. Niederträchtige Menschen sind wie solche Hyänen und schrecken
nicht davor zurück, sich mit Aas zu verunreinigen."
Bevor jedoch die Jagd und der Hass
Unheil über Klagenfurt bringen, wird ein Verbrecher "durch einen Schwertstreich
vom Leben in den Tod befördert", der Selbstmordversuch seiner Tochter vereitelt,
die Glöcknerin vom
Jesuitenpater Gregorius geschwängert, der allerdings bald darauf zu Tode stürzt,
und ein unglücklich verliebter Nachtwächter lässt sein Leben im nahegelegenen
See.
Vom Zauber altertümlicher Ausdrucksformen
beseelt, erhalten Kirchtüme beinahe organisch anmutende Eigenschaften und Glocken
werden mit wesenhaften Zügen - ("Glockenfamilie", "Sängerin des
Todes", "Mutterglocke")
- ausgestattet.
Johanna König, die selbst in Klagenfurt lebt, hat - eigenen
Angaben zufolge - , bei der Arbeit an diesem Roman im mystischen Halbdunkel verwinkelter
Sakralbauten Einsichten und Erkenntnisse über Energie und unsichtbare
Kraftpotenziale
gewonnen.
(kre)
Johanna
König: "Die Glöcknerin"
Hermagoras Mohorjeva, 2000. 178 Seiten.
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