Dietrich Fischer-Dieskau: "Johannes Brahms"
Leben und Lieder
Brahms-Biografie
anhand eines
zumeist ignorierten Schaffenschwerpunkts
Den Namen Brahms assoziiert man üblicherweise vor allem mit
dem sinfonischen
und kammermusikalischen Schaffen des großen Komponisten: Wer
kennt nicht zum
Beispiel die Sinfonien, die beiden Ouvertüren, die Konzerte,
die ungarischen Tänze
und die zahlreichen Kammermusikstücke mit und ohne Klavier?
Brahms'
Instrumentalwerk wird auch in zahlreichen Konzerthäusern
regelmäßig zu Gehör
gebracht und auf CDs eingespielt.
Den wenigsten Musikfreunden ist jedoch bewusst, dass sich Brahms' Wesen
vor
allem in seiner Vokalmusik niederschlug, und zwar ganz wesentlich in
den fast
unzähligen Liedern, die wunderbar die Entwicklung des
Komponisten
widerspiegeln.
Wer aber wäre berufener als Dietrich Fischer-Dieskau, eine
Brahms-Biografie
vorzustellen, die sich an der langen Reihe der Brahmsschen Vokalmusik
orientiert, insbesondere eben an den Liedern?
Johannes Brahms wurde 1833 in bescheidene Verhältnisse
hineingeboren. Der Vater
trat als Hornist und Kontrabassist in Hamburger Tanzlokalen auf. Schon
früh
erhielt der begabte Junge Klavierunterricht; sein Lehrer empfahl ihn
schließlich
an seinen eigenen früheren Lehrer weiter. Dieser erkannte das
Talent seines Schülers
und lehrte ihn die Kompositionskunst.
Nachdem der junge Brahms die Bekanntschaft des bekannten Geigers
Reményi
gemacht hatte, führte ihn dieser bei seinem begnadeten
Kollegen Joseph Joachim
ein, und daraus entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft. Durch
Joachims
Vermittlung stellte sich Brahms erst bei Liszt, dann bei Schumann vor
und geriet
zwischen die Fronten der vor allem von Wagner
und Liszt
repräsentierten
"Neudeutschen" und der Schumannianer. Mit den
Schumanns verband ihn
sogleich eine tiefe Freundschaft; Robert Schumann war von ihm
begeistert und
machte ihn in der Musikwelt bekannt. Damit begann Brahms' Karriere als
Pianist
und Komponist, aber auch die unerfüllte Liebe zu Schumanns
Frau Clara, die sich
schließlich zu einer engen Freundschaft unter
Seelenverwandten entwickelte.
1857 nahm Schumann eine Stelle in Detmold an. Er hatte schon immer gern
mit
Frauenstimmen gearbeitet und konnte sich dort in dieser Hinsicht
vorzüglich betätigen.
Trotzdem hätte er gern eine Stelle als Direkter der
Philharmonischen Konzerte
in Hamburg angenommen, die ihm jedoch trotz seines sich immer mehr
abzeichnenden
Ruhms verwehrt blieb. Schließlich siedelte Brahms nach Wien
über, wo er sich
besser entfalten konnte als im provinziellen Detmold.
Erst relativ spät fand Schumann zum sinfonischen Schaffen,
wenn man vom ersten
Klavierkonzert absieht, das zunächst ein Misserfolg war. Doch
auch in jener
Phase, als er relativ rasch seine vier Sinfonien komponierte, blieb er
der
Vokalmusik treu.
Der scheue, zurückhaltende Johannes Brahms verliebte sich zwar
mehrmals, doch
er heiratete nie. In jüngeren Jahren mangelte es ihm an den
finanziellen
Grundlagen zur Gründung einer Familie, und später
musste er mehrfach erleben,
dass die von ihm verehrte Frau einen anderen ehelichte.
In seinen letzten Jahren vereinsamte er zunehmend, nicht zuletzt, weil
seine
treuen Freunde, darunter Clara Schumann, nach und nach verstarben.
Brahms selbst
erlag 1897 einem Krebsleiden.
Fischer-Dieskau hat eine abwechslungsreiche und packende
Brahms-Biografie
verfasst, die ein sehr differenziertes Bild des Komponisten vermittelt.
Dazu
zieht er vielseitige Literatur heran und zitiert auch immer wieder aus
Briefen
von, an und über Brahms. Brahms' schwierige Natur und seine
Neigung, sich durch
unüberlegte Bemerkungen in Misskredit zu bringen, finden
ebenso Erwähnung wie
seine grenzenlose Großzügigkeit gegenüber
seiner geliebten Familie, seinen
Freunden und Protégés - zu den Letztgenannten
gehörte Antonín Dvořák,
den er nach besten Kräften förderte - sowie sein
Bedürfnis, jedes Stück
vor der Drucklegung in der Praxis auf Spielbarkeit zu prüfen.
Wirklich außergewöhnlich an dieser Biografie ist
aber die erwähnte
Orientierung an Brahms' Vokalmusik. Der Autor hat die Lieder und
weiteren Solo-
und Chorwerke in die chronologisch verfasste Biografie eingeordnet und
gründlich
kommentiert, sodass sie dem heutigen Hörer besser
verständlich werden. Dazu
gehören auch ausführliche Fußnoten zur
Biografie und zum Schaffen der
zahlreichen Dichter, deren Lyrik Brahms vertont hat. Manches Lied, auch
manches
romantische Gedicht entfalten dank Fischer-Dieskaus kundiger
Interpretation eine
erstaunliche Zeitlosigkeit, doch kann man sie durchaus auch als
bezaubernde
Momentaufnahmen begreifen. Viele von Brahms' Vokalwerken weisen einen
starken
Bezug zu Ereignissen aus dem Leben des Komponisten auf, so diente ihm
das
"Deutsche Requiem" unter anderem dazu, den Tod seiner ihm sehr nahe
stehenden Mutter zu verarbeiten.
Die beiliegende CD mit von Fischer-Dieskau gesungenen Liedern liefert
einen
qualitativ hochwertigen Querschnitt der Brahms-Lieder.
Neben einem Literatur- und Personenregister findet man im Anhang ein
Verzeichnis
des Brahmsschen Vokalwerks, sodass man beim Konzertbesuch oder beim
Kauf eines
Tonträgers die gehörten Titel in den biografischen
Zusammenhang einordnen
kann.
Für "Klassik"-Freunde, insbesondere Liebhaber von Lyrik und
Gesang,
ist dieses Buch eine wahre Fundgrube und dazu noch vorzüglich
geschrieben.
(Regina Károlyi; 10/2006)
Dietrich
Fischer-Dieskau: "Johannes
Brahms. Leben und Lieder"
Propyläen, 2006. 368 Seiten.
Mit CD "Fischer-Dieskau singt Brahms -Lieder."
Buch
bei amazon.de bestellen
Buch
bei Libri.de bestellen
Dietrich Fischer-Dieskau wurde 1925 in Berlin geboren. Seit den fünfziger Jahren Opern- und Liedsänger von Weltrang mit internationalen Ehrungen und Auszeichnungen, darunter der "Praemium Imperiale" (2002) und der "Polar Music Prize" (2005).
Ergänzende Literatur:
Malte Korff: "Johannes Brahms" zur Rezension ...