Walter Hansen: "Richard Wagner"


Hervorragende Biografie eines umstrittenen musikalischen Genies und Revolutionärs

An Richard Wagner scheiden sich die Geister wie an kaum einem anderen Komponisten des 19. Jahrhunderts; daran hat sich seit seinen Lebzeiten nichts geändert. Dies ist auch durch Wagners exzentrische Persönlichkeit und seine schillernde Vita bedingt, die wesentlichen Einfluss auf sein Werk, aber auch auf seine Rezeption durch die Gesellschaft und die Kritiker nahmen. Die meisten Wagner-Biografien verzichten auf manch unkonventionellen Aspekt des Wagnerschen Lebenslaufs, nicht so jedoch die vorliegende, in der es um eine gründliche Darstellung von Wagners Leben, seiner Musik und den ihn umgebenden Menschen mit ihren Einflüssen geht.

Richard Wagner, 1813 in Leipzig in eine Schauspielerfamilie geboren, hatte frühzeitig Zugang zum Theater, fand indes erst relativ spät in seiner Kindheit zur Musik. Bald begann er zu komponieren, und er bestand darauf, eigene Dramentexte zu vertonen - eine Revolution. Zunächst aber wurden seine Werke, sofern sie überhaupt zur Aufführung gelangten, fast immer geschmäht. Wagner ließ sich nicht entmutigen. "Rienzi" brachte schließlich einen ersten Durchbruch, dem ein rascher Wechsel aus Erfolgen und Rückschlägen folgen sollte.

Auch Wagners Privatleben war von einem ständigen Auf und Ab geprägt. Seine Ehe mit der Schauspielerin Minna Planer zeichnete sich durch zahlreiche Krisen und Seitensprünge beider Partner aus. Da Wagner einen unkontrollierbaren Hang zum Luxus und außerdem keinerlei Geschäftssinn besaß, häufte er ungeheuerliche Schulden an und musste immer wieder vor Gläubigern fliehen. Er war ein Meister im Anpumpen vermögender Freunde und Gönner. Nachdem er sich 1849 in der Dresdner Mairevolution hervorgetan hatte, drohte ihm in Sachsen die Todesstrafe. Lange Jahre der Emigration schlossen sich an. Fast im letzten Augenblick rettete ihn der bayrische Märchenkönig Ludwig II. vor seinen Gläubigern und wurde trotz gelegentlicher Zerwürfnisse und des Widerstandes der Minister zum langjährigen Geldgeber, ohne den schließlich "Bayreuth" nicht möglich geworden wäre.

Zu den großen Skandalen um Wagner gehört seine Beziehung zu seiner späteren zweiten Frau Cosima, der Tochter von Franz Liszt und Ehefrau des ergebenen Wagner-Freundes Hans von Bülow; als die Ehe geschieden wurde, war Richard Wagner bereits Vater zweier von Cosimas Kindern. Doch auch während der Ehe mit Cosima hatte Wagner Affären. Manche seiner Liebeserfahrungen lieferte ihm Anregungen für seine Werke, so die Liebe zur Frau eines seiner Geldgeber; dieser aussichtslosen Affäre verdankt die Oper "Tristan und Isolde" ihre Existenz.

Wagner litt vor allem in seinen letzten Jahren häufig unter Herzanfällen. Nicht lange nach der grandiosen Uraufführung des Spätwerks "Parsifal" erlag er 1883 seinem Herzleiden.

In dieser Biografie lernt der Leser Richard Wagner als einen widersprüchlichen Menschen kennen, der notorisch und ungeniert "auf Pump" lebte und doch nicht käuflich war, der zunehmend dem Größenwahn verfiel und dennoch immer wieder von Todessehnsüchten geplagt wurde, der widerliche antisemitische Pamphlete veröffentlichte und trotzdem etliche Juden zu seinen engsten Freunden, Vertrauten und Mitarbeitern zählte, der sich aktiv als Revolutionär betätigte und doch immer der Gesellschaft verbunden und verpflichtet blieb, gegen die sich die Revolution hatte wenden wollen. Wagners wahre Revolution fand auf dem Gebiet des Musiktheaters statt: Er prägte eine neue Art des Dirigierens, eine neue Art der Oper und eine neue Art der Theaterarchitektur.

Dem Autor gelingt es, einige von Wagners exzentrischen Zügen anhand von dessen Vita zu begründen, bei anderen resigniert er - sicherlich berechtigt: Wagner, den megalomanen Egozentriker, kann man einfach nicht verstehen. Wichtig sind immer wieder die Personen um Wagner, die oft schicksalhaft in sein Leben traten wie etwa Franz Liszt, Freund, Förderer, Fluchthelfer und schließlich Schwiegervater, Mäzene wie das Ehepaar Wesendonck, der Revolutionär August Röckel, Nietzsche, für den Wagner eine Art Übervater darstellte, der bayrische König, der Wagner schier anbetete, und nicht zuletzt die vielen Frauen in seinem Leben, von denen Cosima wohl die größte Bedeutung zukommt. Diese Persönlichkeiten werden, sobald sie im Verlauf der Biografie in Wagners Leben eintreten, kurz skizziert, ebenso wie politische Ereignisse, die auf Wagner einen Einfluss ausübten, und das kulturelle und politische Umfeld der Stätten, an denen er wirkte. Ebenso erläutert der Autor sachkundig an den relevanten Stellen die Besonderheiten der jeweiligen Werke Wagners.

Die Biografie folgt weitestgehend der Chronologie von Wagners Leben; wo es sinnvoll erscheint, werden Rück- und Vorausblenden geschickt eingefügt.

Am Ende des Buchs findet man eine ausführliche Bibliografie und ein sehr gut angelegtes Personenregister. Was angesichts von Wagners bewegtem, mit den Wirrnissen seiner Zeit eng verflochtenem Leben fehlt, ist ein chronologischer Überblick zum Abschluss.

Insgesamt ist diese Biografie trotz und wegen ihres hohen Informationsgehalts und aufgrund der vielen interessanten Details, die nie den roten Faden missen lassen, wunderbar spannend zu lesen. Der Autor weiß das Phänomen Wagner in bemerkenswerter Weise fassbar zu machen, er verleiht dem Bayreuther "Gott" menschliche Züge und zeichnet ein angesichts seiner extremen Höhen, Tiefen und verschachtelten Wege wohl einmaliges Künstlerleben sachlich und dennoch humorvoll nach. Keine Spur von einer trockenen Biografie also - sondern eines von den Büchern, die man regelrecht verschlingen möchte!

(Regina Károlyi; 05/2006)


Walter Hansen: "Richard Wagner"
dtv, 2006. 360 Seiten.
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Ein weiteres Buch von Walter Hansen:

"Richard Wagner. Sein Leben in Bildern"

Walter Hansen führt in diesem einfühlsam durchkomponierten Bildband durch Richard Wagners abenteuerliches Leben. Auf 180 Bildern entsteht ein ganzer Kosmos: von szenischen Bühnenbildern über Theaterzettel, Handschriften und Partituren, bis hin zu bedeutsamen Schauplätzen und Porträts der Freunde, Feinde, Förderer, Künstler, Gefährtinnen und Geliebten. Eingestreut sind erzählerische Texte, die sich auf die wesentlichen biografischen Informationen beschränken, zugleich aber Wagners Werken und seiner kulturhistorischen Bedeutung gerecht werden. (dtv)
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Richard Wagner strebte zeitlebens nach besseren Verhältnissen. Um so erstaunlicher, dass er eine Frau ohne Mitgift heiratete: die vier Jahre ältere, attraktive Schauspielerin Minna Planer. Den 20-jährigen Wagner überfiel eine heftige Liebesleidenschaft. Zunächst glaubte er die Oberhand zu behalten und seine Geliebte nach Lust und Laune wieder fallen lassen zu können, doch es kam anders ... (Patmos)
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Mario Bortolotto: "Wagner der Dunkle"
Ein ungewöhnlich reiches Buch von einem der international renommiertesten Wagner-Kenner. Ein magistrales Buch über Richard Wagner, das sein Werk in überraschenden Zusammenhängen sieht und neue Denkansätze liefert.
Richard Wagner ist immer auch der "Fall Wagner". Es ist noch immer unmöglich, über ihn zu schreiben, ohne auf Adornos "Versuch über Wagner" und dieses außerordentliche Pamphlet Nietzsches Bezug zu nehmen: Diese zwei entscheidenden Texte über das Phänomen Wagner verwirren noch immer die Karten der Kritik.
Der italienische Musikphilosoph Mario Bortolotto nimmt mit "Wagner der Dunkle" die Herausforderung an und rechnet mit diesen beiden Texten ab, ebenso wie mit dem Wagnerismus und den Wagnerianern. Er befreit die Sicht auf Wagner gleichermaßen von seinen Apologeten und seinen Feinden und zeigt uns einen unvermuteten und überraschenden Künstler: den Mythenpoeten und Schalk, der Aristophanes mehr liebte als die Tragiker, einen Schüler Schopenhauers und der Upanischaden. Bortolotto rückt Wagners Werk mit seiner dramatischen Ballung und mit seiner alles seit Bach überbietenden Fantasie in die Nähe von Joyce und Artaud, Bataille und Lévi-Strauss, Strawinsky und Boulez - inmitten die Moderne des 20. Jahrhunderts. Er zeigt darüber hinaus, dass mit ihm die Psychologie in der Musik beginnt - aus ihr stammen Schönberg und Berg. Ohne sich auf eine vordergründig-politische Ebene einzulassen zeigt Bortolotto aber auch, dass Wagners Musik politische Musik ist. Musik, die die Welt unter ihren Druck setzt.
Die italienische Presse urteilte über "Wagner der Dunkle": Ein "ungeheuer weiträumiger Essay eines großartigen Musikkritikers, ein Buch, das in die Abgründe der europäischen Décadence" führt und eine "Atmosphäre gefühlter Zeitgenossenschaft" schafft ("Il Foglio" / "La Stampa"). (Matthes & Seitz)
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Dieter David Scholz: "Richard Wagner, der Europäer"
Am 10. Juni 1834 veröffentlichte der 21-jährige Richard Wagner in Heinrich Laubes "Zeitung für die elegante Welt" seinen Aufsatz "Die deutsche Oper". Darin forderte er, der deutsche Künstler müsse endlich europäisch werden. Ein Jahr später bekannte er seinem Freund Theodor Apel: "Hinweg aus Deutschland gehöre ich!".
Karl Marx etikettierte Wagner als einen "deutschen Staatsmusikanten". Wagners rastlose Vita beweist das Gegenteil.
Eher hatte Friedrich Nietzsche recht mit seiner Beobachtung, "dass er nirgendwo weniger hingehört als nach Deutschland", denn Wagner verbrachte mehr als die Hälfte seines Lebens jenseits deutscher Grenzen. Sein Radius reichte von London bis Moskau, von Sizilien bis zur Atlantikküste.
Wagner war ein "Fliegender Holländer", getrieben von Neugier, Produktionszwang und "Kunstmission". Er träumte zwar immer fort von seiner "Heimat", sein Begriff von Deutschland und "dem Deutschen" hatte allerdings mit der Realität nicht viel zu tun. Die patriotischsten Passagen seines essayistischen Werks und die meisten seiner musikdramatischen Werke konzipierte er im Ausland.
Als Wagner amnestiert wurde und nach Deutschland zurückkehrte, ertrug er Deutschland und die Deutschen nicht lange, dachte zeitweise sogar an Auswanderung in die USA. In seinem letzten Lebensjahrzehnt floh er aus Bayreuth, so oft er konnte, nach Italien. Wagner starb am 13. Februar 1883 in Venedig, ein Europäer par exemple. Nietzsche hatte recht: "Wagner ist das Gegengift gegen alles Deutsche".
Das Buch will dieses "Deutsche Missverständnis" ausräumen. Es fokussiert biografische Momentaufnahmen, um Anstoß zu geben für eine Neubewertung Wagners. (Parthas)
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