Kommentar zur Diskussion rund um "Das Leben des Jesus" von Gerhard Haderer
Im Jahre 1994 las ich anlässlich der Buchwoche im Rathaus mit großem Interesse
eine gute Stunde lang wesentliche Abschnitte des Buches "Linker Jesus, rechte
Kirche" von Pater Udo Fischer. Der Pfarrer von Paudorf stellt die Situation der
Kirche da, wie sie ist, und setzt den schweren Verfehlungen der Kirche Jesus und
seine Botschaft entgegen. Dieses Buch hat nur in kleinen Kreisen Furore gemacht,
obzwar Udo Fischer einer der wenigen Pfarrer Österreichs ist, der die teilweise
grotesken Zustände der Kirche offen anspricht. Acht Jahre später sorgt ein kleines
Bändchen von Gerhard Haderer von Anfang an für Aufruhr, weil es der Autor und
Zeichner gewagt hat, mittels Karikaturen und zugehörigem Text "Das Leben des Jesus"
aus heutiger Sicht zu interpretieren. Der konservative Kardinal Schönborn, welcher
so nette, uninteressante Sonntagspredigten für die Kronen Zeitung schreibt, griff
Gerhard Haderer öffentlich an, und bediente sich dazu der "Presse".
Der Kardinal
sei kurz zitiert: "Wenn Gerhard Haderer die "Kirchenfürsten" im Visier hatte -
ich vermute, er meint damit uns Bischöfe -, dann hätte ich es ertragen, vielleicht
sogar über seine Karikaturen gelacht. Doch das ist nicht Hauptthema seines Buches.
Er nennt es ja "Das Leben des Jesus". In dieser "Biographie" wird alles aufs Primitivste
lächerlich gemacht, Maria und Josef, ein von Kind an rauschgiftsüchtiger Jesus,
dessen Wunder schlechter Ulk, dessen Abendmahl ein verhaschtes Saufgelage, dessen
Kreuz kein Tod, sondern eine Entrückung in eingerauchtem Zustand ist, in einen
Himmel voller Haschwolken." Diese und noch einige andere unsinnige Aussagen hatten
eine Welle von Leserbriefen zur Folge. Viele Menschen fühlten sich bemüßigt, ihren
Protest kund zu tun. Manche verteidigten allerdings Haderer. Auch auf der Homepage
des Buches gibt es einige Kommentare, die Haderer nicht unbedingt wohlgefällig
sind. Auf der anderen Seite befürworten recht viele Menschen die Aussagen des
augenzwinkernden Karikaturisten. Was also ist wirklich dran an diesem Gegenstand
unüblich intensiver Diskussion?
Haderer wagte es, Jesus in der Gleichzeitigkeit auftreten zu lassen. Kierkegaard, der dänische Philosoph ("Entweder - Oder") hatte beschworen, dass es wichtig wäre, Jesus in der Gleichzeitigkeit zu begegnen. Also: Wie verhielten wir uns, wenn Jesus an uns herantreten sollte? Oder: Was täte Jesus heute? Jesus trat in einer bestimmten Zeit auf; es gibt keinen Zweifel darüber, dass er existiert hat; dies gibt auch Haderer zu. Und Jesus war eine Figur, die revolutionäres leistete, er war Therapeut und Psychologe, Menschenfreund und ein Vorbild für Menschen auf der Suche nach Gott. Eugen Drewermann sagte einmal anlässlich eines Vortrages in Wien: "Jesus wollte nicht, dass wir vor ihm auf die Knie fallen. Er wollte, dass wir uns auf die Socken machen." Und der von ultrakonservativen Christen angefeindete Theologe hat damit absolut recht. Jesus hätte nie gewollt, dass wir Menschen ihn wie einen Götzen anbeten. Jesus kann ein Vorbild sein. Er kann eine wichtige Stütze sein, wenn wir nicht weiterwissen.
Schönborn hängt der verstaubten Interpretation des neuen Testaments an, von der etwa auch viele andere kirchlichen "Würdenträger" nicht abrücken: Die "Wunder" des Jesus haben sich tatsächlich ereignet, sie geschahen genau so, wie sie geschildert werden. Jesus holte einen Toten aus dem Grab (Lazarus), Jesus heilte einen Blinden, Gelähmten und ließ den Teufel in die Schweine fahren, um Menschenleben zu retten. Diesen Unsinn glauben viele fortschrittliche Christen nicht mehr. Insbesondere die Wunder des Jesus sind symbolisch zu sehen. Über diese Umstände wurden schon viele Bücher gefüllt. Wenn also Jesus bei Haderer mit dem Surfbrett den See Genezareth überquert, so ist dies keineswegs Gotteshohn. Der Glaube kann buchstäblich Brücken zum Einstürzen bringen. Und eben auch dazu beitragen, über das Wasser zu gehen. Der Glaube an Gott trug Jesus über das Wasser. Er wusste sich geborgen in Gottes Hand. Der Ungläubige wird untergehen, weil er sich nur um sich selbst zu drehen versteht. Jesus hat die Kraft, den Wellen zu trotzen und den See Genezareth zu überqueren. Er vertraut auf Gott. Er wird von Gott getragen. Die Wunder der Fischvermehrung oder der Verwandlung von Wasser in Wein nebst vielen anderen Wundern sind ebenso symbolisch zu sehen. Das Leben des Jesus war gelebte Solidarität, und er zwang niemandem, ihm zu folgen.
Die wunderbare "Unendliche Geschichte" von Michael Ende hat gar nicht so tief in sich verborgen ebenfalls diese göttliche Dimension. Die drei Prüfungen, die Sebastian zu überstehen hat, treiben seinen Narzissmus zum Teufel. Er lief ständig im Kreis, ohne zu wissen, dass er nur stehen zu bleiben bräuchte, um Gott nahe zu sein. Er sieht sich im Spiegel so, wie er wirklich ist, und er zerbricht nicht daran, weil er seinen Unglauben überwunden hat.
Schönborn beklagt, dass Jesus rauschgiftsüchtig sei. Der rauschgiftsüchtige Mensch entfernt sich von der Realität, er sehnt sich in eine bessere, glücklichere Identität. Der Rausch verhilft ihm dazu, sich selbst zu verlassen. Jesus war richtiggehend berauscht von Gott. Er konnte seinen Mitmenschen nur deswegen die Botschaft von seinem himmlischen Vater so eingehend schildern, weil er von Gott berauscht war. Gott war es, der ihn beflügelte, den Gottesvertretern seiner Zeit den Kampf anzusagen. Gott gab ihm die Kraft, noch im Sterben seinen Feinden zu verzeihen. Gott ist dort, wo ein Mensch dem Anderen die Hand zur Hilfe reicht. Das wusste Jesus. Er glaubte an keinen engstirnigen Gott, der nur im Tabernakel existent sei. Gerhard Haderer provoziert manche Vertreter der Kirche, weil er Jesus in eine neue Rolle verankert. Er gibt Jesus neuen Freiraum. Jesus ist nicht mehr der anzubetende Heilige mit flammendem Herzen. Er ist einer von uns.
Vor vielen Jahren sorgte Nikos Katzantzakis mit seinem Roman "Die letzte Versuchung Christi" (übrigens kongenial verfilmt von Martin Scorsese) für einen großen Skandal. Er hatte es gewagt, Jesus zu einem sexuellen Wesen zu machen. Dies allein hatte schon gereicht, um den Romancier mit Häme zu überschütten. Es gibt die Freiheit der Kunst. Das sollte auch Christoph Schönborn zur Kenntnis nehmen. Die Kirche könnte ein Ort sein, wo die Seele Befreiung erlangt. Tatsächlich vertrauen sich ihr immer noch viele Menschen an, und oft werden sie enttäuscht, weil sie zu Zweckwesen degradiert werden. Die Kirche betont das Wir-Gefühl, und vergisst dabei zwei entscheidende Faktoren: Die Individualität des Menschen, und seinen Wunsch, über Gott zu reden. Individualität und Gott dürfen nicht tabu für die Kirche sein. Gott darf in kein Tabernakel eingesperrt werden. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, zu Gott und seiner persönlichen Bestimmung zu finden. Das sollte die Kirche endlich akzeptieren. Schönborn glaubt, einen Splitter im Auge von Haderer zu erkennen, und übersieht dabei, dass auch ein Kardinal nicht unfehlbar sein kann.
hier geht´s zur Rezension des Buches von Haderer