"Die vier Evangelien" übersetzt von Eugen Drewermann
Eugen Drewermann hat in heroischer Art
und Weise drei der vier Evangelien detailreich und hintergründig beleuchtet und
für das Verständnis dieser wunderbaren Zeugnisse von Leben und Wirken Jesu
außerordentlich wertvolle Beiträge geleistet. Das vierte Evangelium (Lukas) ist
noch offen; wurde jedoch vom Autor schon in mehreren anderen Werken grundlegend
dargestellt und interpretiert.
Das vorliegende Buch kann eigentlich nicht
rezensiert werden. Dennoch mache ich einige Anmerkungen dazu, um die Bedeutung
der Übersetzungen von Drewermann ansatzweise zu formulieren.
Dem Autor
und Übersetzer geht es hauptsächlich um zwei Dinge, die in Bezug auf die
Evangelien von Bedeutung sind:
Zum Einen ist es Unsinn, die Evangelien in
einem Zug zu lesen, als handelte es sich um "Romane". Jeder kleine Abschnitt ist
ein Juwel und sollte auch so behandelt werden. In der Antike war es üblich,
Texte für sich LAUT zu lesen. Dadurch wird die Bedeutung um so deutlicher, die
sich in einzelnen Wörtern offenbaren. Schon eine geringfügig andere Wortstellung
innerhalb eines Satzkonstruktes kann eine völlig andere Interpretation des
inhärenten Kontextes ergeben. Drewermann appeliert an die potenzielle
Leserschaft der Evangelien, IN ALLER RUHE an die Evangelien heranzugehen. Und
das ist wohl auch die EINZIGE Lesart, die überhaupt möglich ist.
Zum
Anderen will der Autor diese Übersetzungen nicht als ERSATZ für altbekannte
Übersetzungen aus den Originalen betrachtet wissen, sondern als ANREIZ für den
Leser, sich mit den Evangelien (wieder) auseinander zu setzen. Er weist in
diesem Sinne auf die große Leistung von
Martin Buber hin, der die
hebräische Bibel ins Deutsche übersetzte. In puncto NEUES TESTAMENT
hebt er Fridolin Stier hervor, dessen Übersetzung des MARKUSEVANGELIUMS von
unschätzbarer Bedeutung ist. Drewermann will sozusagen winzige Nuancen
hinzufügen, die in erster Linie das Verständnis für manche Bibelstellen
erweitern, und somit dem HEUTIGEN LESER eine nachdenkenswerte Perspektive
ermöglichen.
Die vier Evangelien sind kostbare Schätze, die jeder Leser
heben kann. Das MARKUSEVANGELIUM ist die Quelle, aus der die anderen
Evangelisten geschöpft haben. Es wird beim Lesen der VERSCHIEDENEN Evangelien
deutlich, wie spezifisch die Akzentuierungen der Evangelisten sind, ohne die
GRUNDSÄTZLICHE Gemeinsamkeit zu gefährden. Wenn sich so mancher Leser die Frage
stellen mag, mit welchem Evangelium er beginnen solle, um sich damit konkret
auseinander zu setzen, so wäre das MARKUSEVANGELIUM zu empfehlen. Die Spezifika
werden dann durch anschließende Konfrontation mit den anderen Evangelien umso
stärker hervorgehoben.
Dem Rezensenten gefiel insbesondere die Empfehlung von Eugen Drewermann, sich
mit den Evangelien in ALLER RUHE auseinander zu setzen. Nur dadurch können sich
Erfahrungen offenbaren, die das Leben des EINZELNEN in positiver Art und Weise
erweitern können, und möglicherweise jenen erstaunlichen Satz von
Dostojewski
LEBENDIG erscheinen lassen: "Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt."
Abschließend sei noch das
"Vater Unser"
(Mt 6,9-15) als Beispiel für die kongeniale Übersetzung von Drewermann wiedergegeben:
"Unser Vater, himmlischer du,
was du bist, das
gelte,
was du wirkst, das komme,
was du willst, geschehe,
wie im
Himmel, so auf Erden.
Unser Brot für morgen gib uns heute.
Und laß uns
nach, was wir verschuldet,
wie auch wir hiermit nachlassen denen,
die sich
uns verschuldet.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern entreiße uns
dem Bösen.
Denn wenn ihr den Menschen ihre Verfehlungen
nachlaßt, wird
euer Vater, der himmlische,
auch euch Nachlaß erteilen.
Wenn aber ihr den
Menschen nicht nachlaßt,
wird euch euer Vater nicht nachlassen eure
Verfehlungen" (Mt 18,35).
(Jürgen Heimlich; 03/2004)
Eugen Drewermann: "Die vier
Evangelien"
Patmos, 2004. 400 Seiten.
ISBN 3-491-50106-7.
ca.
EUR 24,90.
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