(...) Über den
dunklen Boden des Korridors glitt etwas auf ihn zu, und als es sich dem Lichtstreifen
des Feuers näherte, erkannte er mit einem Schauder des Entsetzens, dass
es eine gigantische, gut vier Meter lange Schlange
war. Versteinert vor Angst starrte Frank auf das Tier, das sich in weit ausladenden
Wellenlinien durch den dicken Staub auf dem Boden bewegte und immer näher
kam - was sollte er tun? Flüchten konnte er nur in das Zimmer, wo die beiden
Männer saßen und einen Mord ausheckten, doch wenn er stehen blieb,
würde ihn die Schlange gewiss töten -
Doch bevor er sich entschieden hatte, war die Schlange gleichauf, und dann,
unglaubliches Wunder, glitt sie an ihm vorbei; sie folgte den fauchenden und
zischenden Lauten jener kalten Stimme hinter der Tür, und in Sekundenschnelle
war die Spitze ihres rautengemusterten Schwanzes durch den Türspalt verschwunden.
Auf Franks Stirn standen Schweißperlen und seine Hand am Stock zitterte.
Drinnen im Zimmer zischte die kalte Stimme weiter, und Frank kam ein merkwürdiger
Gedanke in den Sinn, ein unmöglicher Gedanke ... Dieser Mann kann mit Schlangen
sprechen.
Frank begriff nicht, was geschah. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als
mit seiner heißen Wärmeflasche behaglich im Bett zu liegen. Das Problem
war nur, dass seine Beine keine Anstalten machten, sich zu bewegen. Am ganzen
Körper zitternd stand er da und versuchte seine Glieder zu beherrschen,
als die kalte Stimme plötzlich wieder Englisch sprach.
"Nagini hat interessante Neuigkeiten, Wurmschwanz", sagte sie.
"T-tatsächlich, Herr", sagte Wurmschwanz.
"In der Tat, ja", sagte die Stimme. "Nagini zufolge steht draußen
gleich vor der Tür ein alter Muggel und hört jedes Wort mit, das wir
sprechen."
Frank hatte keine Chance, sich zu verstecken. Er hörte Schritte, dann wurde
die Tür zum Zimmer weit aufgestoßen.
Ein kleiner Mann mit schütterem grauem Haar, spitzer Nase und wässrigen
Augen stellte sich vor Frank auf, mit einer Mischung aus Angst und Misstrauen
in den Augen.
"Bitte ihn doch herein, Wurmschwanz. Wo bleiben deine Manieren?"
Die kalte Stimme kam von dem Lehnstuhl am Feuer her, doch Frank konnte nicht
sehen, wer da sprach. Die Schlange hingegen hatte sich, wie die grausige Karikatur
eines Schoßhündchens, auf dem verrotteten Kaminvorleger eingekringelt.
Wurmschwanz winkte Frank mit einer kleinen Verbeugung ins Zimmer. Frank steckte
die Angst zwar immer noch in den Knochen, doch er umklammerte erneut seinen
Stock und humpelte über die Schwelle.
Das Feuer war die einzige Lichtquelle im Zimmer; es warf lange, spinnengleiche
Schatten an die Wände. Frank starrte auf den Rücken des Lehnstuhls;
der Mann darauf schien noch kleiner zu sein als sein Diener, denn Frank konnte
nicht einmal seinen Hinterkopf sehen.
"Du hast also alles mitgehört, Muggel?", sagte die kalte Stimme.
"Warum nennen sie mich so?", sagte Frank widerspenstig, denn nun,
da es an der Zeit war zu handeln, fühlte er sich mutiger; schon im Krieg
war es so gewesen.
"Ich nenne dich einen Muggel", sagte die Stimme kühl. "Das
bedeutet, dass du kein Zauberer bist."
"Ich weiß nicht, was sie mit Zauberer meinen", sagte Frank mit
allmählich festerer Stimme. "Alles, was ich weiß, ist, dass
ich heute Nacht was gehört hab, das sicher die Polizei interessieren wird.
Sie haben einen Mord begangen und planen noch mehr
Morde! Und ich sag ihnen noch was", fügte er in einer plötzlichen
Eingebung hinzu, "meine Frau weiß, dass ich hier oben bin, und wenn
ich nicht zurückkomme -"
"Du hast gar keine Frau", sagte die kalte Stimme völlig ungerührt.
"Keiner weiß, dass du hier bist. Du hast niemandem etwas gesagt.
Belüge Lord Voldemort nicht, Muggel, denn er weiß ... er weiß
immer ..."
"Stimmt das?" sagte Frank barsch. "Lord,
tatsächlich? Nun, ich halte nicht viel von ihren Manieren, Sie
Lord, Sie. Warum drehen Sie sich nicht um und schauen mir ins Gesicht wie ein
Mann?"
"Ich bin kein Mann, Muggel", sagte die kalte Stimme, die sich kaum
über das Knistern des Feuers erhob, "Ich bin viel, viel mehr als ein
Mann. Allerdings ... warum nicht? Ich werde dir ins Gesicht sehen ... Wurmschwanz,
komm her und drehe meinen Stuhl um."
Vom Diener her kam ein Wimmern.
"Du hast mich gehört, Wurmschwanz."
Langsam, mit einer schrecklichen Grimasse, als wäre ihm nichts mehr zuwider
als sich seinem Herrn und der vor den Kamin zusammengerollten Schlange zu nähern,
ging der kleine Mann auf den Stuhl zu und begann ihn zu drehen. Die Stuhlbeine
strieften leicht den Kaminvorleger und die Schlange hob ihren hässlichen
dreieckigen Kopf und zischte leise.
Und dann war der Stuhl auf Franz gerichtet, und er sah, was dort saß.
Sein Stock fiel klappernd zu Boden. Er öffnete den Mund und stieß
einen Schrei aus. Er schrie so laut, dass er die Worte, die das Etwas auf dem
Stuhl sprach, als es seinen Zauberstab erhob, nicht hören konnte. Ein grüner
Lichtblitz, ein Brausen, und Frank Bryce brach zusammen.
Noch bevor er aufschlug, war er tot. (....)
(Leseprobe
aus
"Harry Potter und der Feuerkelch"
von Joanne K. Rowling;
Calsen Verlag)