(...)
Wo war ich? Ein Hohlweg, der steil aufwärts führt? Glatte Gartenmauern links und rechts? Die kahlen Äste eines Baumes hängen herüber. Sie kommen vom Himmel herunter: der Stamm verbirgt sich hinter der Nebelwand.
Ein paar morsche, dünne Zweige brechen krachend ab, als mein Hut sie streift, und fallen an meinem Mantel hinab in den nebligen grauen Angrund, der mir meine Füße verbirgt.
Dann ein strahlender Punkt: ein einsames Licht in der Ferne - irgendwo - rätselhaft - zwischen Himmel und Erde.
Ich mußte fehlgegangen sein. Es konnte nur die alte "Schloßstiege" sein neben den Hängen der Fürstenbergschen Gärten ---
Dann lange Strecken lehmiger Erde. - Ein gepflasterter Weg.
Ein massiger Schatten ragt hoch auf, den Kopf in einer schwarzen, steifen Zipfelmütze: "die Daliborka", der Hungerturm, in dem Menschen einst verschmachteten, derweilen Könige unten im "Hirschgraben" das Wild hetzten.
Ein schmales, gewundenes Gäßchen mit Schießscharten, ein Schneckengang, kaum breit genug, die Schultern durchzulassen - und ich stand vor einer Reihe von Häuschen, keines höher als ich. Wenn ich den Arm ausstreckte, konnte ich auf die Dächer greifen. Ich war in die "Goldmachergasse" geraten, wo im Mittelalter die alchimistischen Adepten den Stein der Weisen geglüht und die Mondstrahlen vergiftet haben.
Es führte kein anderer Weg hinaus als der, den ich gekommen war. Aber ich fand die Mauerlücke nicht mehr, die mich eingelassen - stieß an ein Holzgatter.
Es nützt nichts, ich muß jemanden wecken, damit man mir den Weg zeigt, sagte ich mir. Sonderbar, daß hier ein Haus die Gasse abschließt - größer als die andern und anscheinend wohnlich. Ich kann mich nicht entsinnen, es je bemerkt zu haben.
Es muß wohl weiß getüncht sein, daß es so hell aus dem Nebel leuchtet?
Ich gehe durch das Gatter durch den schmalen Gartenstreif, drücke das Gesicht an die Scheiben: - alles finster. Ich klopfe ans Fenster. - Da geht drinnen ein steinalter Mann, eine brennende Kerze in der Hand, durch eine Tür mit greisenhaft schwankenden Schritten bis mitten in die Stube, bleibt stehen, dreht langsam den Kopf nach den verstaubten alchimistischen Retorten und Kolben an der Wand, starr nachdenklich auf die riesigen Spinnweben in den Ecken und richtet dann seinen Blick unverwandt auf mich.
Der Schatten seiner Backenknochen fällt ihm auf die Augenhöhlen, daß es aussieht, als seien sie leer wie die einer Mumie.
Er sieht mich offenbar nicht.
Ich klopfe ans Glas. Er hört mich nicht. Geht lautlos wie ein Schlafwandler wieder aus dem Zimmer.
Ich warte vergebens.
Klopfe ans Haustor: niemand öffnet. - -
Es blieb mir nichts übrig, als so lange zu suchen, bis ich den Ausgang aus der Gasse endlich fand. (...)


(aus "Der Golem" von Gustav Meyrink; 1868-1932)