Gustav Meyrink (1868-1932) |
Alchimist
der Seele
Gustav
Meyrink ist zweifellos ein Sonderfall der Literaturgeschichte, von
dieser meist
etwas plump unter fantastische (!, als ob...) Literatur eingereiht.
Stattdessen
wollen wir lieber sagen, dass er lange vor der derzeitigen
Esoterikwelle Leben
und Werk unter das Primat des Spirituellen stellte, sich als Pionier um
Veredelung der Seele, um Vergeistigung des Lebens und Vorbereitung auf
das
Jenseits verdient machte, und das ganze in einem unerhört
modernen, nämlich
ganzheitlichen Ansatz, alle Religionen und spirituellen Traditionen mit
Leidenschaft studierend und nur dem Selbsterlebten wirklich vertrauend.
Und es
war wohl seine Bestimmung diesen Weg zu beschreiten, war sein
religiöses Gefühl
doch von Geburt an stark, doch aus sehr unterschiedlichen Traditionen
gespeist.
Meyrink wurde an der Grenze von Steinbock und Wassermann 1868 in der
Mariahilfer
Straße (genauer gesagt Nr. 81 - Hotel Blauer Bock;
übrigens wurde einem alten
esoterischen Prinzip Rechnung tragend dieser Meyrink-Artikel in
selbiger
Mariahilfer Straße geschrieben) in Wien als unehelicher Sohn
eines würtembergischen
Adeligen und einer jüdischen Schauspielerin geboren. Blut und
Abstammung
sollten denn auch Hauptthemen seines Werkes werden, allerdings - wie
fast alles
bei Meyrink - in erster Linie in einer spirituellen Dimension.
Jüdisches und
Christliches sowie ein starkes Gefühl für Blut und
Abstammung waren ihm also
in die Wiege gelegt, doch blieb er dabei nicht stehen, sondern
ergänzte das
Blut um aus der Wiedergeburtslehre kommende geistige Verwandtschaft
(bis hin zu
aus der Identifikation mit einem geistigen Prinzip resultierenden
völligen
Identität,
und seine beiden Geburtsreligionen um die der ganzen Welt, von den
großen
Traditionen des Fernen Ostens (ein paar Jahre vor seinem Tod trat
Meyrink
formell zum Buddhismus über) über mystische Sekten
bis hin zu afrikanischen
Naturreligionen. Auch in Wien blieb er nicht stehen, sondern er lebte
ebenso in
München, Hamburg und Prag, erst als Bankier, bald als
Journalist und freier
Schriftsteller, und unternahm auch zahlreiche Reisen in die ganze Welt,
ehe er
seine körperliche Hülle 1932 ablegte.
Auch seine Bücher spiegeln das Kosmopolitische ihres Autors,
verschiedenste Groß-
und Kleinstädte Europas sind Schauplätze seiner
Romane.
In erster Linie, wohl weil die Stadt von allen die stärkste
mystische
Ausstrahlung hat, war es Prag, das Meyrink inspirierte. Auch sein
erster
durchschlagender Romanerfolg, gleichzeitig auch sein bis heute
bekanntester, hat
die goldene Stadt als Schauplatz. Genauer gesagt spielt "Der
Golem"
fast ausschließlich in einem kleinen Teil von Prag, dem
jüdischen Ghetto,
erbaut im Spätmittelalter, saniert, das heißt mehr
oder weniger niedergerissen
gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts, zusammenfallend auch mit den
letzten
Kapiteln des Romans. Der
Golem
ist eine alte mythische Figur
Prags, ein künstlicher Mensch, dem ein weiser Rabbi Leben
einzuhauchen
vermochte, damit dieser Gefahr von der Judenstadt abwende, freilich
ohne ihn
wirklich kontrollieren zu können. Der wahre Held des Romans
ist ein etwa
vierzigjähriger Gemmenschneider, der infolge eines schweren
Traumas seine
Erinnerung verloren hat und sich innerhalb der gespenstischen
Ghettowelt daran
macht diese Schritt für Schritt wiederzuerlangen. In diesem
Motiv haben wir
bereits den Kern von Meyrinks Schaffen, denn es geht keineswegs nur um
ein
Wiedererinnern der verdrängten Jahre, sondern um ein
spirituelles des wahren
Selbst oder des verlorenen Paradieses, je nach Tradition oder Vorliebe.
Verknüpft
wird dieses Selbstfinden noch mit dem Finden der richtigen
(gottgewollten,
idealen...) Gefährtin, da ein echtes Einssein erst in einem
harmonischen
Miteinander von weiblichen und männlichen Kräften
erfolgen kann, welcher
Tradition Meyrink diese Vorstellung verdankt, weiß ich nicht,
es zeigt diese
jedenfalls eine große Verwandtschaft mit dem Yin-Yang Kreis
der Taoisten. Im
Golem wird der Held bei seinem anspruchsvollen Unterfangen von einem
weisen
Rabbi nebst der esoterischen Tradition der Kabbala
unterstützt. Und es
entfaltet sich ein für Meyrink typischer Handlungsablauf, denn
durch diesen
willentlichen Befreiungsversuch des Helden werden nicht nur
kabbalistische
Helfer, sondern auch die dunklen Kräfte auf den Plan gerufen
und setzen alles
daran diesen Selbstfindungsprozess zu hintergraben, sodass sich die
Entwicklung
und Reifung der Seele des Helden nicht nur im Auseinandersetzen mit
geistigen Kräften,
sondern auch innerhalb einer bunten, intrigenreichen Geschichte mit
bisweilen
greller Komik vollzieht.
Ergibt das in der Summe bereits ein höchst lesenswertes,
einmaliges Buch, so
macht die Tatsache, dass Meyrink seinen Golem radikal verdichtet und
auf das
wesentliche reduziert hat (der ursprüngliche Roman war viel
länger und
verschachtelter), zu dem literarischsten unter Meyrinks Werken -
bereits nach
seinem Erscheinen ein großer Erfolg, gehört "Der
Golem" längst zu
den großen Klassikern deutscher Sprache.
Der nächste Roman Meyrinks, "Das grüne
Gesicht" (wieder gibt
eine mythologische
Figur des Judentums den Titel),
nennt sich zwar okkulter Schlüsselroman, ist aber in gewissem
Sinn sein
konventionellster, insofern er nämlich diesmal den hohen
spirituellen Gehalt
des Werks mit einem starken gesellschaftspsychologischen und
-kritischen Akzent
erdet. Der Schauplatz ist Amsterdam in der Zeit nach dem ersten
Weltkrieg, vor
Augen geführt wird der geistige Zustand des "modernen
Menschen" (in
den wesentlichen Punkten hat sich in den letzten 80 Jahren beim
westlichen
Menschen so viel nicht verändert) in den Disziplinen
Vergnügungssucht, Gier
nach Geld, Oberflächlichkeit und religiöser Wahn.
Entsprechend seinen
Neigungen widmet sich der Autor besonders letzterem - und interessanter
als
klare Beispiele von Bigotterie oder Flucht aus der rauen Wirklichkeit
sind ihm
hierbei die Grenzfälle, wo wahrhaftige religiöse
Gefühle und Ahnungen von
fremden Elementen (des Zweifels, der Unkenntnis eigener psychischer
Tiefenschichten...) durchsetzt werden und so am Ziel
vorbeischießen. Wie man
trifft, machen auch in diesem Roman die Helden in ihrem
Reifungsprozess, nach
dem Bestehen zahlreicher innerer und äußerer
Kämpfe vor. Wie schon im
"Golem" und dann auch in all seinen anderen Büchern erfolgt
die
Ganzwerdung (Erlösung, Erleuchtung, Auferstehung...) durch die
Vereinigung geläuterter
weiblicher und männlicher Kraft - "hüben und
drüben ein lebendiger
Mensch" sagt Meyrink zum Schluss, während gleichzeitig ein
Taifun das nur
weltliche Amsterdam in Schutt und Trümmer legt - letzteres
Szenario heute
bereits um vieles wahrscheinlicher als zur Zeit der Niederschrift.
Meyrinks nächsten Roman könnte man als seinen
morbidesten bezeichnen. In "Der
Engel vom westlichen Fenster" erbt der Held alten Schmuck und
Tagebücher
eines bemerkenswerten Vorfahren, des Alchemisten John Dee, aus dem
England der
Zeit Königin Elisabeths der Ersten. Sich in die
Lektüre vertiefend merkt er
bald, dass es kein Zufall
war, dass diese Schriften solange überlebt haben, berichten
sie doch von den
intensiven Kämpfen seines Ahnen zwischen Erfüllung
seiner Bestimmung und daran
Scheitern. Und auch kein Zufall ist es natürlich, dass diese
Schriften schließlich
in seine Hände gelangt sind, schlägt doch in beiden
das gleiche Blut, die
gleichen - zumindest in ihrem Wesenskern - Träume, Probleme,
Ziele. So kann es
auch nicht verwundern, dass ab einem gewissen Punkt es nicht mehr mit
Nachlesen
und Nachempfinden getan ist; die gleichen Kräfte, gute wie
böse, die schon auf
seinen Vorfahr eingewirkt haben, treten in der einen oder anderen Form
bald auch
direkt in sein Leben, stoßen ihn indem sie ihn zu
Entscheidungen zwingen
unbarmherzig vorwärts, und den Leser in eine ebenso
geistreiche wie spannende
Lektüre durch das England und Prag um 1600 sowie durch alle
möglichen okkulten
Disziplinen. Entweder der Held lässt sich von den dunklen
Mächten besiegen
oder es gelingt ihm zu seinem wahren Selbst durchzubrechen und damit
auf einer
spirituellen Wirklichkeitsebene auch seine Ahnen zu erlösen.
Der wesentlichste
Aspekt an der Blutsverwandtschaft in diesem Roman ist, wenn man von
abstrakten
Seelenzuständen, geistigen Prinzipien aus operiert, kommt es
unweigerlich zu
Gleichungen und Berührungen mit anderen Personen
ähnlicher Prägung jenseits
von Raum
und Zeit. Und ein weiteres Motiv, das zwar schon im
"Grünen
Gesicht" anklingt, dann auch in weiteren Werken anzutreffen sein wird,
nicht mehr aber mit dieser grausigen und morbiden Eindringlichkeit wie
beim
Engel: böse
Kräfte, die die Gestalt von guten annehmen, um auf
derart subtile
Weise dann einen umso niederschmetternderen Vernichtungsschlag gegen
ihr Opfer
zu führen.
Das Motiv, als letztes Glied in einer langen Ahnenreihe auch seine
Vorgänger
erlösen zu können, nimmt
Meyrink in seinem letzten
fertiggestellten Roman "Der
weiße Dominikaner" wieder auf. Es ist Meyrinks
romantischstes Buch,
insofern darin die obligate Liebesgeschichte (Sie wissen schon - die
Meyrinksche
Konstante der Ganzwerdung durch Vereinigung von Yin
und Yang) besonders
schön
ausgeführt wird. Eine feinfühlige,
unprätentiöse Sprache, schlüssige
Symbolik und eine gekonnte Beschreibung des magischen Aspekts der Liebe
lassen
das durch die Liebenden erfolgte Transzendieren des Irdischen
für den Leser gut
nachempfinden. Meyrinks Geist zeigt sich auf dem Höhepunkt
seiner Reife, ob er
ein letztes Mal mit markanten Beispielen vor den vielen Abarten der
Religiosität
warnt, ob er Begriffe okkulter, katholischer und fernöstlicher
Herkunft mit
seinen eigenen Erfahrungen und Ahnungen zu einer interessanten Skizze
von der
Welt verbindet oder er vorzieht, sich in Schweigen
zurückzuziehen oder Fragen
zu stellen. Hat wirklich Gustav Meyrink die Geschichte ausgedacht oder
nicht
vielmehr ein anderer (der
Held
des Romans? eine unpersönliche
Wesenheit?) ihm diese flüsternd die Feder gelenkt?
(stro)