Richard
Katz (1888-1968), der vergessene Exilschriftsteller
Jeroen
Dewulf
Wer
in Rio de Janeiro ankommt, will bleiben. Schließlich kommt
man nicht jeden Tag
im Paradies an. Anders etwa als die zweite Hafenstadt Brasiliens,
Santos, wo man
gleich nach der Ankunft weiterzureisen pflegte, besitzt Rio eine Art
"Haftfähigkeit".
Tatsächlich, was könnte es nach Rio
überhaupt noch an Schönerem und Besserem
geben? Wurden vor einem so imponierenden Dekor nicht auch die
abgehärtetsten
Seefahrer wieder weich, so weich, dass sie im auffälligsten
Hügel der Bucht
die Bestätigung eines alten Kindertraumes sahen: der eines
riesigen
Zuckerhutes. Ankommen in Rio ist denn auch viel mehr als ein Ereignis,
es ist
eine Tätigkeit, eine, die nicht wenige versucht haben, auf
Papier festzuhalten.
Nehmen wir dazu doch folgendes, berühmtes Beispiel:
Alles ist hier Harmonie, die Stadt und das Meer
und das
Grün und die Berge, all das fließt
gewissermaßen klingend ineinander, selbst
die Hochhäuser, die Schiffe, die bunten Lichtplakate
stören nicht; und diese
Harmonie wiederholt sich in immer anderen Akkorden: anders ist diese
Stadt, von
den Hügeln gesehen, und anders vom Meer, aber überall
Harmonie, gelöste
Vielfalt in immer wieder völliger Einheit, Natur, die Stadt
geworden ist, und
eine Stadt, die wie die Natur wirkt. (Zweig 1941=1997:179f.)
Dieses
Zitat stammt aus Stefan
Zweigs Brasilien,
ein Land der Zukunft (1941). Was auffällt, ist dass
Zweig hier in einem
einzigen Satz nicht weniger als dreimal das Wort "Harmonie" benutzt.
Nicht von Ungefähr kommt diese besonders für
deutschsprachige Reiseberichte so
typische Neigung, eine paradiesisch anmutende Landschaft als harmonisch
darzustellen. Unverkennbar ist hier der Einfluss Alexander von
Humboldts; während
aber Humboldt die Ideale der deutschen Klassik in die tropische Natur
hineininterpretierte, tat dies Stefan Zweig mit der tropischen
Lebenshaltung.
Die paradiesische Schönheit und Harmonie, die Zweig bei seiner
Ankunft in Rio
meint feststellen zu können, ist daher mehr als reine
Landschaftsschilderung,
es ist ein Auftakt zu seiner Vision Brasiliens als "das Land der
Zukunft".
Auch Richard Katz hat seine Ankunft in Rio geschildert, und auch bei
ihm fließen
Natur und Kultur harmonisch ineinander:
Wenn schon Großstadt - dann so!
So wie Rio sollten Grossstädte
aussehen.
Nur: Wo sonst als in Rio bietet sich
ihnen Meeresbucht und offner Strand, Binnensee und Hügelland
gleichzeitig als
Grundriss dar? Wo sonst als in Rio schießen Felsen Kapriolen,
hängen
schwerkraftwidrig über, bäumen sich wie
Füllen, bückeln sich wie Kätzchen?
Wo sonst als in Rio segeln Schmetterlinge über Mietskasernen,
rauschen Königspalmen
um Fabriken? Wo sonst ist die Luft so weich wie ein laues Bad und das
Grün der
Pflanzen so feist und tief und bläulich? (Katz 1931=1935:234)
So
hat Katz Rio 1931, also fünf Jahre vor dem ersten Besuch
Stefan Zweigs in
Brasilien, geschildert. Interessant aber ist, dass es bei Katz auch
eine zweite
Schilderung der Stadt gibt, eine, die er nach dem Zweiten Weltkrieg
schrieb.
Dort heißt es:
Im Zusammenwirken von Bergen, Bai und
offenem Meer, im Nebeneinander lose gezimmerter Negerbuden und
üppiger
Gartenschlösser, amerikanisch hochhäusiger
Geschäftsstraßen und
altportugiesischen Hafengewinkels, mächtiger bretterwurzeliger
Banyanbäume und
knallroter Neonlichter: immer wieder erkennt man in solch scheinbaren
Widersprüchen,
dass der Hauptreiz Rios auf Gegensätzen beruht, die harmonisch
wirken. (Katz
1950a:117)
Katz
hält hier zwar fest am Begriff der Harmonie, es ist allerdings
keine Harmonie
mehr, die alle Gegensätze aufhebt. Rio bleibt für ihn
eine wunderschöne
Stadt, ein Paradies aber ist sie nicht mehr. Diese doppelte Begegnung
mit Rio
deutet auf eine Maturität hin, die in Zweigs
Auseinandersetzung mit Brasilien
oft fehlt.
Nun
hatte Katz von Anfang an einen Vorteil gegenüber andern
Exilautoren: Als er
nach Brasilien floh, hatte er eine klare Vorstellung vom dortigen
Leben. Schließlich
war er vom Juli 1930 bis Juli 1931 quer durch Südamerika
gereist. Damit hatte
Katz den unvermeidlichen "exotischen Schock" bereits hinter sich.
Katz
hatte aber nicht nur Erfahrung, was die Tropen betrifft, auch ein Leben
im Exil
war ihm keineswegs neu. Nach dem Ersten Weltkrieg verließ der
Deutsch-Österreicher
Katz seine Prager Heimatstadt und zog nach Deutschland. 1931
ließ sich in der
Schweiz nieder. Als aber die Schweizer Behörden immer
nachdrücklicher auf
seine Weiterreise drängten, floh er 1941 zum dritten Mal,
diesmal nach
Brasilien.
Ein wichtiger Unterschied zwischen Katz und den meisten anderen Exilautoren ist auch, dass Katz im Exil nie finanzielle Schwierigkeiten kannte. Er war denn auch keineswegs ein obskurer Autor, an den man sich heute nur noch deswegen erinnert, weil er ein Opfer des Nazismus wurde. Im Gegenteil, in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts gehörte Richard Katz mit seinen Reisebüchern zu den meistgelesenen Autoren Deutschlands. Rechtzeitig konnte er sein Vermögen in die Schweiz retten und wechselte er vom Berliner Ullstein Verlag zum Zürcher Eugen Rentsch Verlag. Katz konnte daher von Brasilien aus ohne Probleme weiter publizieren, gelegentlich sogar auch für amerikanische Zeitschriften wie Life und Reader’s Digest. Politisch war Katz ein Einzelgänger. Seine konservativen Einsichten, seine tiefdeutsche Gesinnung und besonders seine Freundschaft zu Gerhard Hauptmann entfremdeten ihn seinen Zeitgenossen im Exil.
Dies
alles erklärt, warum Katz Brasilien nie wirklich als Exil
betrachtete, vielmehr
wurde das Land zu seiner Wahlheimat. Wenn er Portugiesisch lernte, dann
nicht
nur um sich in der Bäckerei verständlich zu machen,
sondern um brasilianische
Literatur zu lesen. Bei Katz findet man daher eines der ersten
Zeugnisse auf
Deutsch über die literarische Qualität eines
Euclídes da Cunha, eines Jorge
Amado oder einer Rachel de Queiroz. Sogar die
Bedeutung der sogenannten "literatura de cordel" hat Katz
bereits in den 40er Jahren erkannt. Dieser Annäherungsprozess
kulminierte
darin, dass Katz brasilianischer Staatsbürger wurde und
beschloss, auch nach
dem Krieg in Brasilien zu bleiben.
Aber
auch wenn Katz keineswegs ein typischer Exilautor war, der Horror des
Nazismus
hat seine in Brasilien entstandenen Werke deutlich geprägt.
Besonders ist dies
dort auszumachen, wo Katz auf das Thema Rasse und Rassismus zu sprechen
kommt. Während
Zweig begeistert davon berichtete, wie Brasilien die Rassenfrage ein
für
allemal gelöst hat, war
Katz weitgehend pessimistischer. Rassendiskriminierung erscheint bei
ihm als
eine menschliche Schwäche, die überall auf der Welt
anzutreffen ist, in
Europa, wie in Asien oder in Südamerika, und der nur mit
Bildung
entgegenzutreten sei. Katz sieht sich daher genötigt, auch in
Brasilien vor den
Gefahren des Rassenwahns
zu warnen:
Die Anbetung reiner Rasse
stammt aus der Halbbildung, die Rasse mit Volk verwechselt (...).
Solches Gerede
hat sich über die ganze Erde verbreitet. Habe ich doch selbst
in der nüchternen
Schweiz eine selbstgefällige Abhandlung gelesen, die Schweizer
stammten
reinrassig von Pfahlbauern ab! Und las ich nicht eben heute in einer
hiesigen
Zeitung, dass dieses schöne Land der "reinen brasilianischen
Rasse"
erhalten bleiben muss? (Katz 1950a:49)
Auf
der Insel Paquetá, wo sich Katz niedergelassen hatte,
entdeckt er eines Tages
einen Gedenkstein mit der Aufschrift: "Auf dieser bewundernswerten
Insel
wohnten unsere Vorfahren die Tamoio-Indianer".[1]
Das Wort "Vorfahre"
irritiert ihn, denn, so stellt er fest:
Indem ich meinen Blick über die Leute ringsum schweifen liess: eine Portugiesin, einen Negerbuben, der angelte, die alte Syrierin, die unterhalb des Denksteins Mandarinen verkauft, den Italiener, der nicht weit von mir auf seinem Kutschbock saß, und die USA-Familie, die aus seinem Wagen ausgestiegen war, um sich wechselseitig zu filmen. Die einzigen Nachkommen von Indianern, die ich auf der Insel kannte, waren der Knabe Roberto und seine Mutter, und die kamen aus Uruguay. Wieso wirklich "Vorfahren"? (Katz 1950a:78)
Katz'
Irritation hat damit zu tun, dass sich Brasilien auf der einen Seite
als
Immigrationsland bezeichnet und, wie er meint, zu Recht stolz ist auf
das "jus
soli", aber daneben dennoch an Vorstellungen festhält, die
vielmehr zu
jenen Ländern gehören, in denen der Mythos der
Blutverwandtschaft weiterhin
existiert. In der Idee, dass alle Brasilianer die Indios als ihre
Vorfahren zu
bezeichnen hätten, sieht Katz daher eine Bedrohung, die er
versucht zu erklären,
indem er eine Beziehung zu Deutschland zieht und darlegt, wohin die
Besessenheit
mit dem "germanischen" Erbe geführt hat:
Ja,
ja, erst die alten Germanen mit ihren heiligen Runen und dann die
nordische
Edelrasse mit ihrem Lebensraum... So viel Blut und Tränen sind
darüber
geflossen... Und nun die alten Tamoios hier, die mit dieser Insel so
wenig zu
tun haben wie die alten Germanen mit Berlin oder Nürnberg...
(Katz 1950a:79)
Im
Gedenkstein sieht Katz ein Zeichen, dass auch die Brasilianer ein
Bedürfnis
nach Tradition aufweisen, und dass dies allzu willig befriedigt wird.
Die Gefahr
dabei ist, so Katz, dass: "Zwischen Ahnenstolz und Rassenwahn die
Grenzen
[verschwimmen]". (Katz 1950a:81) Nach Katz gäbe es aber in
Brasilien keine
reinen Menschenrassen mehr:
Zur weißen
Einwanderung haben alle europäischen Völker
beigesteuert (und ihr
Grundbestandteil, die Portugiesen, stellt seinerseits eine komplizierte
Mischung
aus Iberern, Phöniziern, Kelten, Karthagern, Römern,
Goten und Arabern dar).
Der schwarze
Bevölkerungsteil hat seine Ahnen unter allen
Negervölkern Afrikas, vom Kap
bis zum Mittelmeer und vom Somaliland bis Senegambien.
Auch die eingeborenen Indianern
bestehen aus vielerlei Stämmen. (Katz
1950a:232f.)
Mit
dieser Bemerkung kommt Katz der aktuellen These nahe, dass alle
Länder der
Welt, also auch die europäischen, als
Immigrationsländer zu bezeichnen wären,
da ihre Bevölkerung immer schon eine Mischung der
verschiedensten Völker
gewesen ist. Katz zögert tatsächlich nicht, die
brasilianische Völkermischung
mit der europäischen gleichzusetzen. So gesehen wäre
Völkermischung also
keineswegs eine brasilianische Besonderheit. Was in Brasilien
passierte, ist
nach der Ansicht Katz’ vielmehr die Mischung einer Mischung:
"Mischrassen,
die von Japan bis Portugal und von Norwegen bis Südafrika
kamen, mischen sich
seit vier Jahrhunderten wiederum in der feuchten Wärme
Brasiliens". (Katz
1950a:50)
Wichtig
dabei ist, dass sich Katz Thesen nicht lediglich auf Eindrücke
stützen,
sondern auch auf Lektüre. Katz kannte die Klassiker der
brasilianischen
Anthropologie, von Raimundo Nina Rodrigues bis Arthur Ramos, mit dem er
übrigens
eng befreundet war und dessen Hauptwerk As
Culturas Negras no Novo Mundo (1946) er ins Deutsche
übersetzte. Es
handelte sich damals um die erste deutsche Übersetzung eines
noch lebenden
brasilianischen Autors. Ein entscheidendes Stichwort in Katz’
Einführung ist
"Umdenken"; dabei warnt er seine Leser ausdrücklich:
Es wird den Leser von der gewohnten
Höhe
patriarchalisch-wohlwollender Beobachtung auf dieselbe Ebene mit seinen
schwarzen Mitmenschen senken, und es wird schließlich der Mode, die um
so
eifriger Negerskulpturen sammelt, je üppiger sie Busen und
Geschlechtsteile übertreiben,
Negerkulturen entgegenhalten, die an manche europäische
heranreichen und andere
übertreffen. (Katz 1948:14)
Es
mag klar sein, dass Katz insgesamt eine viel differenziertere Vision
von
Brasiliens Rassendemokratie vermittelt hat, als wir sie bei Stefan
Zweig
antreffen. Allerdings erscheint Brasilien bei Zweig nicht nur wegen der
Rassenfrage als ein Land der Zukunft. Zweig lässt sich auch
vom "brasilianischen
Lebensgefühl" begeistern und lobt das Land, weil dort "weniger
Stoßkraft, weniger Vehemenz und weniger Dynamik" herrschen
würden. Dieser
Skepsis gegenüber jedem Fortschrittoptimismus teilt Zweig mit
Katz. Dessen Werk
Drei Gesichter Luzifers: Lärm,
Maschine,
Geschäft (1934) gilt als eine der
frühesten Sachbücher in deutscher
Sprache, in der technologischer Fortschritt prinzipiell als
gefährlich
dargestellt wird: "Wir haben uns zu lange einreden lassen, dass es ein
‚Fortschritt’ sei, möglichst viel zu
produzieren, und wir haben uns um
dieses Fortschritts willen den Maschinen versklavt." (Katz 1934:220)
Lange
vor Adorno und Horkheimer appellierte Katz an den "Widerstand" gegen
die Technologiegesellschaft, und wenn von zukünftigen Kriegen
die Rede ist,
schreibt er 1934 fast visionär von einem bevorstehenden
"Streit ums
persische Erdöl". (Katz 1934:134)
Trotz
aller Skepsis lässt sich Zweig in seinem Land
der Zukunft dennoch zu Aussagen verführen, die in
diesem Zusammenhang überraschen.
So nennt Zweig die Metropole São Paulo in
seinem Tagebuch eine
hässliche und
ungeordnete Stadt, in seinem Land der
Zukunft aber spricht er voll Lob von einer "werdenden
Schönheit"
und von einer "Form von morgen". (vgl. Zweig 1936=1984:409; Zweig
1941=1997:225f.) Der gleiche Zweig, der in einem Privatbrief nicht
versteht,
weshalb die Paulistaner auf ihre Hochhäuser stolz sein
können, lässt sich im Land
der Zukunft nicht ungern zum obersten Stockwerk eines
Hochhaus
führen, um dort von den vielen "erfreulichen Ausblicken" zu
schwärmen.
(vgl. Zweig, apud Michels
1997:298;
Zweig 1941=1997:225) Katz aber erblickt vom oberen Stockwerk eines der
Hochhäuser
in São Paulo keineswegs Erfreuliches, im Gegenteil:
So
wächst São Paulo! (...) Von einer
Etage auf dreiundzwanzig! Bei der nächsten
Übersiedlung hat man sich auf sechsundvierzig
gefasst zu machen. Wo das hinaus will? ... Schon von meiner neunten
Etage aus
bestehen die Menschen, die unten über die Gasse wimmeln, nur
noch aus Kopf und
Füßen... (Katz 1947=1963:28)
Katz
ist in seiner Abneigung
von
jeder Form des Forschritts nicht nur radikaler, sondern auch deutlich
konsequenter als Zweig. Nicht auszuschließen ist sogar, dass
gerade diese seine
Abneigung gegenüber Technik, Lärm und Geschwindigkeit
Katz 1956 dazu brachte,
Brasilien auf Nimmerwiedersehen zu verlassen. Solange er in Brasilien
war, lebte
Katz nie in Rio selber, sondern immer in der Peripherie.
Häufig hatte er sogar
zwei Wohnsitze zur gleichen Zeit, auf Paquetá, auf der
Gouverneursinsel, in
Teresópolis, in Petrópolis oder in Nova Friburgo.
So konnte er einerseits von
den Vorteilen einer Großstadt profitieren, dem Verkehrschaos,
dem Lärm, der
Luftverschmutzung und sonstigen Unannehmlichkeiten jederzeit
ausweichen. Es ist
möglich, dass dies Mitte der fünfziger Jahre
allmählich schwieriger wurde,
bezeichnend in dieser Hinsicht ist sein Gedicht über den Bau
des neuen
Flughafens von Rio, das sich fast wie ein Abschiedslied auf Brasilien
liest.
(vgl. Katz 1967:208) Auch soll daran erinnert werden, dass 1956 das
Jahr ist, in
dem der Bau von Brasília konkrete Formen annimmt;
Brasília, diese Utopie des
Fortschritts, die Brasilien in ein (fortschrittliches) Land der Zukunft
zu
verwandeln sollte. Ironischerweise lässt sich also nicht
ausschließen, dass
gerade die Tatsache, dass sich Brasilien in ein Land der Zukunft zu
verwandeln
drohte, Katz zur Auswanderung trieb.
Wie
dem auch sei, 1956 ließ sich Katz definitiv in der
Südschweiz nieder. Sein
Lebensende war traurig. Katz wurde nach dem Krieg mit dem geringen
Absatz seiner
Bücher nie fertig, beschuldigte seinen Verlag, nicht genug
Werbung zu machen
und verdächtigte ihn sogar betrügerischer Abrechnung.
Es kam schließlich zum
Bruch mit dem Eugen Rentsch Verlag, aber weder der Wechsel zum Verlag
Fretz
& Wasmuth, zum Albert Müller Verlag, noch zum
Schweizer Druck- und
Verlagshaus konnte etwas an der Situation ändern.[2]
Vor allem in Deutschland blieb der Erfolg aus. Dies hatte teils damit
zu tun,
dass bis 1951 keine Bücher aus dem Ausland in Deutschland
verkauft werden
konnten, darüber hinaus aber hatte sich Katz nach dem Krieg in
Deutschland und
Österreich mit bestimmten Kommentaren nicht gerade beliebt
gemacht. Sätze, wie
"Das erste, was der Fremde an den Wienern bewundert, ist die
Elastizität,
mit der sie ihre Meinung über Deutschland geändert
haben" (Katz
1950b:167), oder "Wer traute dem alten Berliner Ehepaar (...) den
Freudentanz zu, den es einmal beim Einmarsch der Deutschen in Paris
aufgeführt
hat?" (Katz 1950b:165) und gar "Klagen sie übers Bombardement
ihrer
Stadt, und man wendet ein, dass Coventry zuerst bombardiert worden ist,
schauen
sie einen ratlos an (...). Sie können sich einfach nicht nach
Coventry
versetzen, nicht nach Rotterdam (...) und schon gar nicht nach
Auschwitz."
(Katz 1950b:198), solche Sätze las man im Deutschland der 50er
Jahre nicht
gerne.[3]
All
dies führte dazu, dass die Erinnerung an diesen doch recht
interessanten Autor
rasch verloren ging als Katz 1968 starb. Mit Ausnahme eines seiner
Tierbücher
wurde seit 1982 kein einziges seiner Werke neu aufgelegt.[4]
Sogar in den
Nachschlagewerken über Exilliteratur sucht man meistens
vergebens nach seinem
Namen. Dazu mag allerdings auch ein postumes Drama beigetragen haben.
Nach
Katz’ Tod beerbte ihn nämlich sein Sekretär
und Freund August-Wilhelm Rabien,
dieser aber erlag wenige Jahre später auf dem Weg zum Grab
seines Freundes
einem plötzlichen Herzschlag. Damit erbten dessen Schwester
und Bruder Katz’
Vermögen. Mit der Bibliothek und dem Archiv wussten sie aber
nichts anzufangen.
Sie boten es der brasilianischen Botschaft in Bern an, die aber
freundlich
ablehnte. Deswegen wurden die Bücher verramscht, und das
Archiv landete
vermutlich im Mülleimer.[5]
Vielleicht aber bezahlt Katz mit dem Mangel an
Anerkennung auch den Preis, nie richtig irgendwo dazugehört zu
haben, als
Deutschsprachiger war er eben kein "richtiger" Tscheche, als Jude kein
"richtiger" Deutscher, als Konservativer kein "richtiger"
Exilautor. Offenbar gab es auch in seiner eigenen Biografie zu viele
Gegensätze,
als dass von einer Harmonie die Rede sein konnte. Nur in seiner
Fantasie gelang
es Katz manchmal, die Gegensätze seines zerstreuten Lebens
harmonisch
zusammenzufügen; so zog er in seinen Memoiren eine
melancholische Bilanz seines
Lebens:
Kann der Mensch zwei Heimate haben, oder, wie ich, sogar drei? Es scheint, er kann es. Ich bin in dreien glücklich gewesen und unglücklich. Vielleicht ist es unser aller Ziel, nur eine Heimat zu haben, eine gemeinsame: unsere Liebe, geduldige Erde, die Palmen und Tannen treibt und vielerlei Kristallbildungen zulässt... (Katz 1958:325)
Bibliographie:
KATZ,
Richard. Zickzack durch Südamerika:
Schnaps, Kokain und Lamas, Zürich/Leipzig,
Eugen Rentsch Verlag 1935 [1931].
idem.
Drei Gesichter Luzifers: Lärm,
Maschine,
Geschäft, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1934.
idem.
Begegnungen in Rio,
Erlenbach/Zürich,
Eugen Rentsch Verlag 1945.
idem.
Auf dem Amazonas, Zürich,
Eugen
Rentsch Verlag 1946.
idem.
Seltsame Fahrten in Brasilien,
Zürich,
Schweizer Druck- und Verlagshaus 1963 [1947].
idem. „A passeio com o Aleijadinho“. in: Província de São Pedro, Porto Alegre, Vol. 4, Junho de 1948.
idem.
Mein Inselbuch: Erste Erlebnisse in
Brasilien, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1950a.
idem.
Wanderende Welt: Drei Geschichten von Mensch und Tier,
Zürich, Fretz
& Wasmuth Verlag 1950b.
idem.
Allerhand aus fernem Land,
Zürich,
Fretz & Wasmuth Verlag 1952.
idem.
Gruss aus der Hängematte,
Zürich/Stuttgart,
Albert Müller Verlag 1958.
idem.
Das Beste von Richard Katz, Zürich, Albert
Müller Verlag 1968.
idem. “Minha amiga Rachel...: Lembranças de Richard Katz da sua amiga Rachel de Queiroz”, Üb. von Jeroen Dewulf, in: Diário do Nordeste, Fortaleza, 16.11.2003, 4.
KESTLER,
Izabela Maria Furtado. Die
Exilliteratur und das Exil der deutschsprachigen Schriftsteller und
Publizisten
in Brasilien,
Frankfurt a.M./Bern, Peter Lang 1992.
MICHELS,
Volker. „Ethnische Vielfalt gegen rassistische Einfalt. Zur
Entstehungsgeschichte von Stefan Zweigs Brasilienbuch“, in:
ZWEIG, Stefan: Brasilien
- Ein Land der Zukunft, Frankfurt a.M./Leipzig, Insel Verlag
1997, 285-299.
RAMOS,
Arthur. Die Negerkulturen in der Neuen Welt:
übersetzt und eingeleitet von
Richard Katz, Zürich, Eugen Rentsch Verlag 1948.
ZWEIG,
Stefan. „Reise nach Brasilien und Argentinien“, in:
Tagebücher,
Frankfurt a.M., Fischer 1984 [1936], 393-412.
idem.
Brasilien – Ein Land der Zukunft,
Frankfurt a.M./Leipzig, Insel Verlag 1997 [1941].
[1] Katz verkennt offenbar den Grund,
weshalb gerade auf Paquetá von Tamoio-Indios die Rede ist.
Einer der berühmteste Einwohner der Insel war José
Bonifácio de Andrade e Silva (1763-1838). Dieser gilt in
Brasilien wegen seiner Rolle im Unabhängigkeitskampf als
"Patriarca da Independência". Ganz im Sinne der damaligen
Romantik gründete er eine national-brasilianische
Dichterschule und wurde als Dichter durch sein indianisches Epos "A
confederação dos Tamoyos" bekannt.
[2] Die
Bücherprüfung, die Katz 1951 gegen den Eugen Rentsch
Verlag veranlasste, ergab eine korrekte Abrechnung, konnte den Bruch
aber dennoch nicht vermeiden.
[3] Vor allem mit dem Bericht eines
Berlinbesuchs, "Was einem in Westberlin auffällt" (1952),
verscherzte Katz viele Sympathien. Unter dem Titel "Herr Katz sieht
klar" wurde er im Berliner Tagesspiegel frontal
angegriffen und zwar mit der wohl schlimmsten Bemerkung, die man einem
Reiseschriftsteller antun kann: "Falls Sie [Richard Katz] bisher aufs
Wort geglaubt haben sollten, was er von fremden Ländern
erzählte, werden Ihnen jetzt einige Zweifel daran aufsteigen".
(Tagesspiegel, 10.09.1952)
[4] Auch ein großes Lob von
Erich
Maria Remarque anlässlich einer Neuausgabe von Katz
erwies sich als nutzlos: "Du hast die stagnierende Reiseliteratur
revolutioniert, indem du müde Klischees durch die funkelnde
Brillanz des gesunden Menschenverstandes zu neuem Leben erweckt hast."
(in: Das Beste von Richard Katz,
1968).
[5] Für diese und andere
biografische Angaben zu Richard Katz ist der Verfasser Herrn Rainer
Vettin, der zurzeit eine Katz-Biografie schreibt, zu Dank verpflichtet.