Nelson DeMille - ein amerikanischer Autor

von K.-G. Beck-Ewerhardy


Filmfans kennen in der Regel ein Buch von Nelson DeMille, zumindest von der Storyline her, nämlich "Die Tochter des Generals". In diesem Buch, genau wie in dem Film, zeigt sich bereits DeMilles grundlegend kritische Einstellung zum amerikanischen Militär und zu der damit verbundenen Rechtsprechung und Strafverfolgung. Er ist dabei einzigartig qualifiziert, darüber zu schreiben, da er - wie der Held dieses Romans - selber ein Vietnam-Veteran ist, der zunächst in der Infanterie gedient hat, bevor er seine zweite Tour als Militärpolizist hinter sich brachte.

Wenn man nun eine Art des Hurra-Patriotismus eines Clancy oder die tumbe Soldatenverherrlichung eines "Rambo" erwartet, dann wird man ausgiebig enttäuscht werden. DeMille ist ein Mensch, der die Dinge die er sieht ständig hinterfragt und durchdenkt und den Leser dabei zwingt, Dingen nachzugehen, die er über den Menschen an sich und den Menschen in Krisensituationen gerne ignorieren würde. Dazu später mehr.

DeMilles Werk lässt sich grob in drei Hauptbereiche aufteilen:

Da ist zunächst der bereits erwähnte militärische Part. Dann gibt es einen Part, der sich ausgiebig mit der nationalen und internationalen Strafverfolgung beschäftigt, und schließlich hat er einen Roman geschrieben, der von seinen Kritikern als legitimer Nachfolger von Fitzgeralds "Great Gatsby" gesehen wird. Ein Ausbrecher in diesem Zusammenhang ist sicherlich "Mayday", der an einer anderen Stelle auf diesen Seiten ausgiebig besprochen wurde.

"Gold Coast", der leider im Moment nicht auf Deutsch zu bekommen ist - der Titel "Goldküste" ist eine Übersetzung des Kriminal- und Schatzsucherromans "Plum Island" - erzählt von dem Leben eines jungen Anwalts an der amerikanischen Goldküste, der ein sehr schönes, beruflich und sexuell erfülltes Leben mit seiner Frau führt, bis im Nebenhaus ein Mafia-Don einzieht. Dieser versucht sich in seiner neuen Umgebung gut einzuleben, weswegen er intensiv den Kontakt mit seinem zunächst sehr widerspenstigen Nachbarn sucht. Dieser wird nach und nach immer mehr in die Schattenwelt der famiglia hinein gezogen, und seine üblichen Freunde und Bekannten ziehen sich immer mehr von ihm zurück, bis er schließlich vor eine überaus unangenehme Wahl gestellt wird. Dieser Roman ist voller Witz, voller Ironie und zeichnet ein Bild vom Leben der Reichen und Schönen, das in der ganzen amerikanischen Literatur Seinesgleichen sucht. "The Bonfires of Vanity" ist lächerlich gegen die Story und die sprachliche Gewalt von "Gold Coast", und die emotionale Situation des Erzählers lässt sich noch am ehesten mit John Steinbecks "The Winter of our Discontent" vergleichen.

"Plum Island" ist die Geschichte eines Polizisten auf Krankenurlaub, der sich mit zwei Mitarbeitern einer biochemischen Einrichtung auf der ehemaligen Pirateninsel "Plum Island" anfreundet. Als diese beiden eines Tages tot in ihrem Haus aufgefunden werden ist für den Polizisten der Urlaub vorbei, und er beginnt seine Umgebung nach Hinweisen abzusuchen, was ihn in Verbindung mit vielen interessanten Menschen und der Geschichte dieses Küstenabschnitts bringt, an dem dereinst Cpt. Kidd sein Unwesen getrieben haben soll. Und so wird aus der Mördersuche gleichzeitig eine Schatzsuche. Für mich war dieser Roman der Einstieg in DeMilles Werk, und obwohl es im Nachhinein nicht sein bestes Buch ist, sollte man es sich nicht entgehen lassen, wenn man im Sommer mal wieder nicht weiß, was man mit an den Strand nehmen sollte. Ein Folgeband dieses Romans, "The Lion's Game"("Das Spiel des Löwen"), ist erzählerisch wesentlich besser, und der Held von "Plum Island" findet sich hier im Umkreis der Bekämpfung des internationalen Terrorismus wieder. Dies ist besonders deswegen interessant, weil die Leserinnen und Leser hier nicht nur viel über die Motivationen der Helden erfahren, sondern auch eine ganze Menge über die Motivationen und Lebensgeschichten von den "Leuten auf der anderen Seite", was diesen Roman für bestimmte Politiker zu einer Pflichtlektüre machen sollte. Durch seine alten Verbindungen hat DeMille einen sehr guten Überblick über Strukturen und Institutionen der internationalen Strafverfolgung und der damit zusammenhängenden diplomatischen Kreise, so dass dieses Buch nicht nur spannend und kurzweilig, sondern auch noch überaus lehrreich ist. Und zwar in jeder Hinsicht. Es ist dabei erstaunlich, wie genau er politische Reaktionen nach 9/11 in einem Roman, der 2000 erschienen ist, vorhergesehen hat. Und auch mögliche Vorgehensweisen von Terroristen antizipiert hat.

In den gleichen Zusammenhang gehört der ebenfalls auf diesen Seiten besprochene Roman "By the Rivers of Babylon", der mir allerdings von der Storyline und der Sprache nicht so übertrieben zusagte, was wohl auch daran liegen dürfte, dass es sich hierbei um eines der frühesten Werke von DeMille handelt. Trotzdem ist er in Bezug auf die Untersuchung der Belagertenpsychologie interessant, wenn auch etwas einseitig in der Darstellung.

Da Kriege ein ständiges Thema DeMilles sind, darf natürlich auch der 2. Weltkrieg nicht fehlen, mit dem er sich in "The Talbot Odyssey""auseinandersetzt; wobei er ein Buch geschrieben hat, das sich mit den besten Werken Follets in diesem Bereich (z. B. "Jackdaws") messen kann. Spionage und Widerstand haben hier sehr tiefgreifende politische und menschliche Momente, die man sonst in dieser Form - wenn auch etwas trockener - von John LeCarre gewöhnt ist.

In der Folge des 2. Weltkriegs darf natürlich auch der Kalte Krieg nicht fehlen, der für die jüngeren Leserinnen und Leser dieser Zeiten schon zu einem blassen Thema des Geschichtsunterrichts geworden ist. Hier ist zunächst "The Charm School" zu nennen, in dem die CIA auf eine Einrichtung in den UdSSR aufmerksam gemacht wird, in der sogenannte "Sleeper" durch gefangen genommene Amerikaner, die in einer nachgebauten amerikanischen Stadt auf das Leben im Feindesland vorbereitet werden, ausgebildet werden. Auch hierbei werden diplomatische Empfindlichkeiten und "Realpolitik" dem moralischen Handeln von Einzelpersonen kritisch gegenüber gestellt und die Sachzwänge der globalen Politik sehr neutral bewertet.

Das Ende des Kalten Krieges feiert DeMille in seinem Roman "Spencerville" ("Rückkehr nach Spencerville"), in dem ein "Kalter Krieger" in sein kleines Heimatstädtchen zurückkehrt und dort verschiedene Probleme bekommt, die in der auf diesen Seiten zu findenden Besprechung näher erläutert werden. Leider degeneriert dieser Roman gegen Ende in eine Art Kalte-Krieg-Version von "First Blood", was eher enttäuschend ist. Eine ähnliche Verwirrung der Gewalttätigkeiten findet der geneigte Leser sonst nur noch in dem bis auf die letzten 60 Seiten sehr netten Roman "Cathedral", der sich auf den Nordirlandkonflikt bezieht.

Nun zu den Romanen, die wirklich in DeMilles Fachgebiet gehören:

"Word of Honor" wurde ebenfalls auf diesen Seiten besprochen und ist, ähnlich wie "Gold Coast", die Beschreibung des Kampfes eines eigentlich guten Mannes gegen ein nicht immer ganz faires System und gegen die Schrecken seiner eigenen Vergangenheit. "The General's Daughter" ("Die Tochter des Generals") zeigt sehr deutlich die Risiken und Gefahren innerhalb einer gemischtgeschlechtlichen Streitmacht auf; ein Thema, das in der amerikanischen Presse selbst präsenter ist als in der internationalen Presse über Amerika. Hier zeigt sich, dass DeMille seine Erfahrungen als Ermittler im militärischen Bereich erfolgreich und wortgewaltig in Literatur umsetzen kann, die sich auf jeden Fall zu lesen lohnt.

Der Ermittler in "The General's Daughter" begegnet der Leserin und dem Leser wieder in DeMilles letztem Roman "Upcountry" ("Die Mission"). Wie viele Vietnam-Veteranen hat sich auch DeMille dem Vietnam-Tourismus der letzten Jahre angeschlossen um das Land, von dem er meist nur den "feindlichen Busch" gesehen hatte, nun aus einer friedlicheren Perspektive richtig kennen zu lernen. Die Begegnung mit dem Land und dem ehemaligen Feind hat bei ihm einen tiefen Eindruck hinterlassen und war in vielerlei Hinsicht auch eine - teilweise nicht unbedingt angenehme - Begegnung mit sich selbst. Nach Gesprächen mit anderen Veteranen, die diese Reise gemacht haben, hat er seine äußere und innere Reise in "Upcountry" literarisiert und dies auf fesselnde und teilweise tief philosophische Weise, die noch beeindruckender wirkt als in "Word of Honor" ("Ehrenwort"). Der einzige Vergleich, der mir hier passend erscheint, ist "Heart of Darkness", und zusammen mit all den anderen Referenzen und mit der Betonung seiner hohen sprachlichen Qualität in den späteren Werken kann man ihn eigentlich nur in eine Linie mit Steinbeck, Fitzgerald, Andrew Robinson ("A Stitch in Time") und vergleichbaren Größen des amerikanischen Romans stellen, die amerikanische Realitäten nicht nur darstellen, sondern auch amerikanische Ideale und die Sicht vom Menschen immer wieder hinterfragen und mit der Realität konfrontieren.

Ein Tipp für den DeMille-Einsteiger?

"Gold Coast" und "Upcountry" sind sicherlich ein guter Anfang, und für "Gold Coast" lohnt es sich sogar, extra Englisch zu lernen. Wer es wirklich philosophisch schwergewichtig mag, sollte mit "Word of Honor" beginnen. Alles Andere ist nicht ganz so überragend, aber auf jeden Fall mindestens eine sehr gute Unterhaltung.