Davide Cali, AnnaLaura Cantone: "Omas unglaubliche Reise"


Oma fährt nicht nur im Hühnerstall Motorrad

Im August 2005 war in einer Zeitung eine Kurzmeldung zu lesen, die von einer abenteuerlustigen Italienerin berichtete, welche sich an ihrem 105. Geburtstag ein bisschen Nervenkitzel gegönnt hatte: Weil sie das Matterhorn aus der Luft sehen wollte, brach sie im Aostatal zu einem Zwei-Mann-Gleitschirmausflug auf, bei dem sie vorne auf einer Art Hocker sitzen durfte.
Eine derart rüstige Dame ist auch Oma Rosa in dem herrlich witzigen Bilderbuch "Omas unglaubliche Reise" des in Italien lebenden Schweizers Davide Cali und der Illustratorin AnnaLaura Cantone.

Wer kennt nicht das schräge Kinderlied "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad"? Nicht nur, dass sich Großmütterchen auf das schwere motorisierte Zweirad setzt und die Hennen beim Eierlegen stört, nein, sie hat auch noch im Backenzahn ein Radio, einen Nachttopf mit Beleuchtung, einen Pfeife rauchenden Goldfisch oder bäckt im Kühlschrank eine Torte. Herrlich dieses Kindergaudilied!

Oma Rosa - keine liebenswürdige alte Dame, sondern ein verrücktes Huhn
Oma Rosa in dem vorliegenden Bilderbuch für Kinder ab vier Jahren steht dem in nichts nach. Auch sie setzt sich nicht aufs Altenteil, benötigt keine heilenden Heizdecken oder rückenschonenden Matratzen, sondern ist ein ausgemacht verrücktes Huhn und fürchtet nichts und niemanden.
Obwohl sie durchaus mit jeder Menge heikler Gefahrensituationen umgehen muss, fegt sie die Giftspinne einfach mit dem Besen hinweg oder schenkt der fleischfressenden Pflanze nur ein kleines, hinterhältiges Lächeln, egal, ob sie ein Wal verschluckt oder ein riesiger Tintenfisch mit Tinte vollspritzt. Wilde Tiere weiß sie besonders gut zu zähmen: Tiger, Bär, Geier, Riesenkrake oder wildgewordener Elefant werden zu Wachs in ihren Händen.

Am liebsten jedoch verreist Oma Rosa, um die weite Welt zu beschnuppern und natürlich auch anderswo verrückte Abenteuer zu erleben. Sieben Weltreisen hat sie schon unternommen: Sie war an der Chinesischen Mauer, im Regenwald des Amazonas, ist über das Eis des Nordpols gewandert und hat die Wüste zu Fuß durchquert. Auch die Tiefen des Meeres sind ihr nicht mehr fremd.
Was ist da schon so eine ältere Dame im Gleitschirm über dem Matterhorn!
Komischerweise sind jedoch die nach ihrer Rückkehr selbst geschossenen Fotos nie etwas geworden ...

Witziger Strich, knapp-skurrile Flunkergeschichte
Herrlich humorvoll-überzeichnete, schräge Illustrationen von AnnaLaura Cantone strafen die Geschichten der Flunker-Oma Rosa, alias Davide Cali, im wahrsten Sinne des Wortes Lügen. Die kleinen Bilderbuchbetrachter werden der alten Dame sicher sehr schnell auf die Schliche kommen.

Die Illustratorin hat ihre ausgefallenen, auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftigen Abbildungen als Mixtur aus Collage und witzigem Strich gestaltet. Die eingesetzten Materialien weisen bei näherer Betrachtung formidable Bezüge zum Text auf. So ist zum Beispiel die Chinesische Mauer nichts Anderes als ein Regal mit verschiedenen Teesorten.

Oma Rosa wiederum hat schon äußerlich nicht im Entferntesten etwas mit einer liebenswürdigen, gesetzten alten Dame gemein. Da weht ihr ein - eher an den Ausstoß eines Schornsteins erinnernder - wirrer, grauer Haarfilz um den Kopf, und ihr keineswegs magersüchtiger Körper auf dünnen Beinchen erinnert eher an einen Lampenschirm. Cantone setzt auf eine Fantasiewelt. Vögel sind seltsame Wesen mit Kulleraugen, eigenwilligen Kleidern, monströsen Schnäbeln und einem frechen Grinsen im Gesicht, Personen haben riesige Nasen.

Was beim ersten Durchblättern vielleicht irritieren kann, ist in Wirklichkeit eine Stärke des Buches: Der Betrachter ist gezwungen, genau hinzusehen und die einzelnen Seiten sozusagen mit den Augen "abzusuchen". Es gibt immer wieder neue wunderbare Details zu entdecken.
Davide Calis Sprache wiederum ist klar und schnörkellos. Mit ein bis zwei Sätzen pro Seite entwickelt der Autor seine skurrile Geschichte.

Fazit:
Auch wenn Oma Rosas Reisen wohl eher ihrer wilden Fantasie entsprungen sind, egal, ihre Verrücktheiten - wahr oder nicht wahr - sind allemal für vergnügliche Lese- und vor allem Bilddetail-Entdeckungsstunden da.
Ein wundervolles Bilderbuch, das geradezu vor Lebenslust und unbändigem Humor strahlt.

(Heike Geilen; 08/2008)


Davide Cali, AnnaLaura Cantone: "Omas unglaubliche Reise"
Annette Betz, 2008. 32 Seiten. (Ab 3 J.)
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