(...) Hier drängt
sich uns voraus die schmerzliche Betrachtung auf, daß dieser feurige, für jeden
Reiz der Welt und für das Höchste, was dem ahnenden Gemüt erreichbar ist, unglaublich
empfängliche Mensch, soviel er auch in seiner kurzen Spanne Zeit erlebt, genossen
und aus sich hervorgebracht, ein stetiges und rein befriedigtes Gefühl seiner
selbst doch lebenslang entbehrte.
Wer die Ursachen dieser Erscheinung nicht etwa tiefer suchen will, als sie vermutlich
liegen, wird sie zunächst einfach in jenen, wie es scheint, unüberwindlich eingewohnten
Schwächen finden, die wir so gern und nicht ganz ohne Grund mit alle dem, was
an Mozart der Gegenstand unserer Bewunderung ist, in eine Art notwendiger Verbindung
bringen.
Des Mannes Bedürfnisse waren sehr vielfach, seine Neigung zumal für gesellige
Freuden außerordentlich groß. Von den vornehmsten Häusern der Stadt als unvergleichliches
Talent gewürdigt und gesucht, verschmähte er Einladungen zu Festen, Zirkeln
und Partien selten oder nie. Dabei tat er der eigenen Gastfreundschaft innerhalb
seiner näheren Kreise gleichfalls genug. Einen längst hergebrachten musikalischen
Abend am Sonntag bei ihm, ein ungezwungenes Mittagsmahl an seinem wohlbestellten
Tisch mit ein paar Freunden und Bekannten, zwei-, dreimal in der Woche, das
wollte er nicht missen. Bisweilen brachte er die Gäste, zum Schrecken der Frau,
unangekündigt von der Straße weg ins Haus, Leute von sehr ungleichem Wert, Liebhaber,
Kunstgenossen, Sänger und Poeten. Der müßige Schmarotzer, dessen ganzes Verdienst
in einer immer aufgeweckten Laune, in Witz und Spaß, und zwar vom gröberen Korn,
bestand, kam so gut wie der geistvolle Kenner und der treffliche Spieler erwünscht.
Den größten Teil seiner Erholung indes pflegte Mozart außer dem eigenen Hause
zu suchen. Man konnte ihn nach Tisch einen Tag wie den andern am Billard im
Kaffeehaus und so auch manchen Abend im
Gasthof finden. Er fuhr und ritt sehr gerne in Gesellschaft über
Land, besuchte als ein ausgemachter Tänzer Bälle und Redouten und machte sich
des Jahrs einige Male einen Hauptspaß an Volksfesten, vor allen am Brigitten-Kirchtag
im Freien, wo er als Pierrot maskiert erschien.
Diese Vergnügungen, bald bunt und ausgelassen, bald einer ruhigeren Stimmung
zusagend, waren bestimmt, dem lang gespannten Geist nach ungeheurem Kraftaufwand
die nötige Rast zu gewähren; auch verfehlten sie nicht, demselben nebenher auf
den geheimnisvollen Wegen, auf welchen das Genie sein Spiel bewußtlos treibt,
die feinen flüchtigen Eindrücke mitzuteilen, wodurch es sich gelegentlich befruchtet.
Doch leider kam in solchen Stunden, weil es dann immer galt, den glücklichen
Moment bis auf die Neige auszuschöpfen, eine andere Rücksicht, es sei nun der
Klugheit oder der Pflicht, der Selbsterhaltung wie der Häuslichkeit, nicht in
Betracht. Genießend oder schaffend kannte Mozart gleichwertig Maß und Ziel.
Ein Teil der Nacht war stets der Komposition gewidmet. Morgens früh, oft lange
noch im Bett, ward ausgearbeitet. Dann machte er von zehn Uhr an, zu Fuß oder
im Wagen abgeholt, die Runde seiner Lektionen, die in der Regel noch einige
Nachmittagsstunden wegnahmen. ›Wir plagen uns wohl auch rechtschaffen‹, so schreibt
er selber einmal einem Gönner, ›und es hält öfter schwer, nicht die Geduld zu
verlieren. Da halst man sich als wohlakkreditierter Cembalist und Musiklehrmeister
ein Dutzend Schüler auf, und immer wieder einen neuen, unangesehn, was weiter
an ihm ist, wenn er nur seinen Taler per marca bezahlt. Ein jeder ungrische
Schnurrbart vom Geniekorps ist willkommen, den der Satan plagt, für nichts und
wieder nichts Generalbaß und Kontrapunkt zu studieren: das übermütigste Komteßchen,
das mich wie Meister Coquerel, den Haarkräusler, mit einem roten Kopf empfängt,
wenn ich einmal nicht auf den Glockenschlag bei ihr anklopfe usw.‹ Und wenn
er nun, durch diese und andere Berufsarbeiten, Akademien, Proben und dergleichen
abgemüdet, nach frischem Atem schmachtete, war den erschlafften Nerven häufig
nur in neuer Aufregung eine scheinbare Stärkung vergönnt. Seine Gesundheit wurde
heimlich angegriffen, ein je und je wiederkehrender Zustand von Schwermut wurde,
wo nicht erzeugt, doch sicherlich genährt an eben diesem Punkt und so die Ahnung
eines frühzeitigen Todes, die ihn zuletzt auf Schritt und Tritt begleitete,
unvermeidlich erfüllt. Gram aller Art und Farbe, das Gefühl der Reue nicht ausgenommen,
war er als eine herbe Würze jeder Lust auf seinen Teil gewöhnt. Doch wissen
wir, auch diese Schmerzen rannen abgeklärt und rein in jenem tiefen Quell zusammen,
der, aus hundert goldenen Röhren springend, im Wechsel seiner Melodien unerschöpflich,
alle Qual und alle Seligkeit der Menschenbrust ausströmte.
Am offenbarsten zeigten sich die bösen Wirkungen der Lebensweise Mozarts in
seiner häuslichen Verfassung. Der Vorwurf törichter, leichtsinniger Verschwendung
lag sehr nahe; er mußte sich sogar an einen seiner schönsten Herzenszüge hängen.
Kam einer, in dringender Not ihm eine Summe abzuborgen, sich seine Bürgschaft
zu erbitten, so war meist schon darauf gerechnet, daß er sich nicht erst lang
nach Pfand und Sicherheit erkundigte; dergleichen hätte ihm auch in der Tat
so wenig als einem Kinde angestanden. Am liebsten schenkte er gleich hin, und
immer mit lachender Großmut, besonders wenn er meinte, gerade Überfluß zu haben.
Die Mittel, die ein solcher Aufwand neben dem ordentlichen Hausbedarf erheischte,
standen allerdings in keinem Verhältnis mit den Einkünften. Was von Theatern
und Konzerten, von Verlegern und Schülern einging, zusamt der kaiserlichen Pension,
genügte um so weniger, da der Geschmack des Publikums noch weit davon entfernt
war, sich entschieden für Mozarts Musik zu erklären. Diese lauterste Schönheit,
Fülle und Tiefe befremdete gemeinhin gegenüber der bisher beliebten, leicht
faßlichen Kost. Zwar hatten sich die Wiener an ›Belmonte und Konstanze‹ - dank
den populären Elementen dieses Stücks - seinerzeit kaum ersättigen können, hingegen
tat, einige Jahre später, ›Figaro‹,
und sicher nicht allein durch die Intrigen des Direktors, im Wettstreit mit
der lieblichen, doch weit geringeren ›Cosa rara‹ einen unerwarteten, kläglichen
Fall; derselbe ›Figaro‹, den gleich darauf die gebildeten oder unbefangenern
Prager mit solchem Enthusiasmus aufnahmen, daß der Meister in dankbarer Rührung
darüber seine nächste große Oper eigens für sie zu schreiben beschloß. - Trotz
der Ungunst der Zeit und dem Einfluß der Feinde hätte Mozart mit etwas mehr
Umsicht und Klugheit noch immer einen sehr ansehnlichen Gewinn von seiner Kunst
gezogen: so aber kam er selbst bei jenen Unternehmungen zu kurz, wo auch der
große Haufen ihm Beifall zujauchzen mußte. Genug, es wirkte eben alles, Schicksal
und Naturell und eigene Schuld, zusammen, den einzigen Mann nicht gedeihen zu
lassen.
Welch einen schlimmen Stand nun aber eine Hausfrau,
sofern sie ihre Aufgabe kannte, unter solchen Umständen gehabt haben müsse,
begreifen wir leicht. Obgleich selbst jung und lebensfroh, als Tochter eines
Musikers ein ganzes Künstlerblut, von Hause aus übrigens schon an Entbehrungen
gewöhnt, bewies Konstanze allen guten Willen, dem Unheil an der Quelle zu steuern,
manches Verkehrte abzuschneiden und den Verlust im Großen durch Sparsamkeit
im Kleinen zu ersetzen. Nur eben in letzterer Hinsicht vielleicht ermangelte
sie des rechten Geschicks und der frühern Erfahrung. Sie hatte die Kasse und
führte das Hausbuch; jede Forderung, jede Schuldmahnung, und was es Verdrießliches
gab, ging ausschließlich an sie. Da stieg ihr wohl mitunter das Wasser an die
Kehle, zumal wenn oft zu dieser Bedrängnis, zu Mangel, peinlicher Verlegenheit
und Furcht vor offenbarer Unehre, noch gar der Trübsinn ihres Mannes kam, worin
er tagelang verharrte, untätig, keinem Trost zugänglich, indem er mit Seufzen
und Klagen neben der Frau oder stumm in einem Winkel vor sich hin den einen
traurigen Gedanken, zu sterben, wie eine endlose Schraube verfolgte. Ihr guter
Mut verließ sie dennoch selten, ihr heller Blick fand meist, wenn auch nur auf
einige Zeit, Rat und Hülfe. Im wesentlichen wurde wenig oder nichts gebessert.
Gewann sie ihm mit Ernst und Scherz, mit Bitten und Schmeicheln für heute soviel
ab, daß er den Tee an ihrer Seite trank, sich seinen Abendbraten daheim bei
der Familie schmecken ließ, um nachher nicht mehr auszugehen, was war damit
erreicht? Er konnte wohl einmal, durch ein verweintes Auge seiner Frau plötzlich
betroffen und bewegt, eine schlimme Gewohnheit aufrichtig verwünschen, das Beste
versprechen, mehr als sie verlangte, - umsonst, er fand sich unversehens im
alten Fahrgeleise wieder. Man war versucht zu glauben, es habe anders nicht
in seiner Macht gestanden, und eine völlig veränderte Ordnung nach unsern Begriffen
von dem, was allen Menschen ziemt und frommt, ihm irgendwie gewaltsam aufgedrungen,
müßte das wunderbare Wesen geradezu selbst aufgehoben haben.
Einen günstigen Umschwung der Dinge hoffte Konstanze doch stets insoweit, als
derselbe von außen her möglich war: durch eine gründliche Verbesserung ihrer
ökonomischen Lage, wie solche bei dem wachsenden Ruf ihres Mannes nicht ausbleiben
könne. Wenn erst, so meinte sie, der stete Druck wegfiel, der sich auch ihm,
bald näher, bald entfernter, von dieser Seite fühlbar machte, wenn er, anstatt
die Hälfte seiner Kraft und Zeit dem bloßen Gelderwerb zu opfern, ungeteilt
seiner wahren Bestimmung nachleben dürfte, wenn endlich der Genuß, nach dem
er nicht mehr jagen, den er mit ungleich besserem Gewissen haben würde, ihm
noch einmal so wohl an Leib und Seele gedeihe, dann sollte bald sein ganzer
Zustand leichter, natürlicher, ruhiger werden. Sie dachte gar an einen gelegentlichen
Wechsel ihres Wohnorts, da seine unbedingte Vorliebe für Wien, wo nun einmal
nach ihrer Überzeugung kein rechter Segen für ihn sei, am Ende doch zu überwinden
wäre.
Den nächsten, entscheidenden Vorschub aber zu Verwirklichung ihrer Gedanken
und Wünsche versprach sich Madame Mozart vom Erfolg der neuen Oper, um die es
sich bei dieser Reise handelte.
Die Komposition war weit über die Hälfte vorgeschritten. Vertraute, urteilsfähige
Freunde, die, als Zeugen der Entstehung des außerordentlichen Werks, einen hinreichenden
Begriff von seiner Art und Wirkungsweise haben mußten, sprachen überall davon
in einem Tone, daß viele selber von den Gegnern darauf gefaßt sein konnten,
es werde dieser ›Don
Juan‹, bevor ein halbes Jahr verginge, die gesamte musikalische Welt
von einem Ende Deutschlands bis zum andern erschüttert, auf den Kopf gestellt,
im Sturm erobert haben. Vorsichtiger und bedingter waren die wohlwollenden Stimmen
anderer, die, von dem heutigen Standpunkt der Musik ausgehend, einen allgemeinen
und raschen Sukzeß kaum hofften. Der Meister selber teilte im stillen ihre nur
zu wohl begründeten Zweifel.
(aus "Mozart auf der Reise nach Prag" von Eduard Mörike)