Henning Boëtius: "Geschichte der Elektrizität erzählt von Henning Boëtius"
Zähmung
und Nutzbarmachung einer faszinierenden Energieform
Ohne Elektrizität wären die modernen Menschen
verloren. Nicht nur, dass die Unterhaltungselektronik nicht mehr
funktionierte, es nachts stockdunkel wäre, der
Kühlschrank warm würde, der Herd kalt bliebe - ebenso
wie die elektronisch gesteuerte Heizung -, das Auto
stillstünde (was nicht sehr störte, da die
Ampelanlagen schließlich auch außer Betrieb
wären): es bräche auch die gesamte ausgefeilte
Logistik zusammen, die unsere Versorgung mit Lebensmitteln und
Trinkwasser sicherstellt und so fort. So kann man, wie es der Autor zu
Beginn des Buchs tut, ein umfangreiches, aber realistisches
Horrorszenario entwerfen.
Wie aber kam es zu dieser Abhängigkeit vom "Strom"? Und wie
funktioniert das alles eigentlich?
Der Autor erzählt die Geschichte der Elektrizität -
oder eigentlich die Geschichte ihrer Entdeckung und Nutzbarmachung,
denn natürlich gibt es die Elektrizität so lange wie
das Universum, und auch der menschliche Körper wird
hauptsächlich durch elektrische Reize und deren Weiterleitung
gesteuert.
Elektrizität war bereits in der Antike bekannt, hatte man doch
beobachtet, dass mit bestimmten Materialien geriebener Bernstein
feine Partikel anzieht. Die Verwandtschaft dieses Phänomens
mit dem Blitzschlag und auch mit dem an Schiffsmasten beobachteten
Elmsfeuer wurde früh erkannt. Im Mittelalter verband man
elektrische Erscheinungen noch weitgehend mit Magie. Erst in der
Aufklärung versuchte sich eine Vielzahl von Forschern an der
rationalen Erklärung des Phänomens, darunter der
unerschrockene Benjamin
Franklin, der als Erfinder der Blitzableiters
Naturwissenschaftsgeschichte schrieb. Schon zuvor hatte es erste
Versuche gegeben, Elektrizität "herzustellen" und zu sammeln,
man denke an die berühmte Leidener Flasche.
Allein, durch Reibung ließ sich Elektrizität nicht
in größerem Umfang gewinnen. Galvani und Volta
entdeckten nicht nur die elektrische Reizleitung in Froschschenkeln,
somit Lebewesen, sondern einige Grundlagen der Elektrochemie. Volta
erfand den Kondensator. Und dann trat Faraday auf den Plan, mit ihm der
Dynamo. Der Däne Oerstedt leistete die Vorarbeit für
den Elektromotor. Beide basieren auf der Induktion, eigentlich also auf
der engen Verwandtschaft von Magnetismus und Elektrizität.
Von da an verlief die Entwicklung zunehmend rasant. Der Elektromotor,
natürlich abhängig von leistungsfähigen
Generatoren und Transformatoren, benötigte für seinen
Siegeszug ein flächendeckendes Stromnetz, das erst dank der
Durchsetzung des zunächst mit Misstrauen betrachteten
Wechselstroms möglich wurde. Sobald es bestand, wurden auch
andere Erfindungen vermarktungsfähig: die Glühbirne,
die elektrisch betriebene Eisenbahn, die Telekommunikation - gerade
diese weist eine spannende Entwicklung auf über die Telegrafie
hin zu Telefon, Radio, Fernsehen und schließlich moderner
Informationstechnologie.
In der Schule ist die Elektrik meistens ein langweiliges, allzu
theoretisch abgehandeltes Teilgebiet der Physik. Betrachtet man das
Thema jedoch wie der Autor von der Forschungs- und Technikgeschichte
her, so präsentiert es sich unerwartet spannend und
vielseitig; es wird nachvollziehbar - und macht plötzlich
Spaß. Selbstverständlich kommt auch dieses Buch
nicht ohne das Ohmsche Gesetz und ein paar andere grundlegende Formeln
aus, die aber dank der vorangestellten Historie lebendig werden und als
die genialen Entdeckungen aufscheinen, die sie nun einmal sind.
Da die bedeutenden Elektrizitätsforscher und Techniker,
darunter außer den bereits genannten zum Beispiel Lichtenberg,
Hertz, Marconi, der "Tausendsassa" Edison, Bell, Maxwell,
Ampère, Morse, Coulomb und Lorentz, einschließlich
ihrer Leistungen kurz porträtiert werden, erhält die
menschliche Komponente eine wichtige Rolle; gerade sie macht dem
heutigen Schüler bewusst, dass unser aktuelles Wissen, das ihm
so kompakt und umfangreich erscheint, auf zahllosen bedeutenden
Einzelleistungen, Geniestreichen und Visionen begnadeter
Wissenschaftler und einfallsreicher Laien und Autodidakten beruht.
Abwechslungsreicher kann man das Thema wohl nicht vermitteln.
Die Historie wird notwendigerweise immer wieder von Exkursen
unterbrochen, in denen der Autor theoretische Inhalte darstellt, die
zum weiteren Verständnis notwendig sind; auch dies gelingt ihm
in ansprechender und gut verständlicher Weise. Zahlreiche
Skizzen, Bilder und Fotos ergänzen und erläutern den
Text.
Dass dem Korrektorat der eine oder andere kleine Fehler
entschlüpft ist, was man bei einem Jugendbuch
natürlich nicht gern sieht, sei der Vollständigkeit
halber angemerkt. Insgesamt handelt es sich um ein recht
anspruchsvolles, aber gut verständliches und vor allem
packendes Buch, das die gemeinsame Geschichte von Mensch und
Elektrizität, von "Quantensprüngen" der Forschung,
wetteifernden Forschern und einer enormen technischen Evolution
vorzüglich schildert und scheinbar nebenbei zahlreiche
Grundkenntnisse zur Elektrizität vermittelt.
(Regina Károlyi; 10/2006)
Henning Boëtius: "Geschichte der
Elektrizität erzählt von Henning Boëtius"
Beltz
& Gelberg, 2006. 222 Seiten. (Ab 13 J.)
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