Adelheid Dahimène, Heide Stöllinger: "Wir und das neue Tier"
Ein fabelhaftes Experiment
Eine bunt zusammengewürfelte Gemeinschaft, bestehend aus einer Maus, einem Gockel, einer Katze,
einem Hund, einem Schwein und einer Ziege, sprengt die Ketten der Resignation
und Stagnation.
An einem allem Anschein nach ganz normalen Tag kräht der Hahn nach Leibeskräften,
zum sichtlichen Missfallen des Hundes, der sich zähneknirschend die Ohren zuhält und dabei
wieder einmal auf
den Schwanz der leidgeprüften Maus tritt, anschließend posiert der Gockel keck vor dem
grantigen Schwein und der nicht minder gereizten Katze.
Die folgenden Buchseiten zeigen
lähmende Ereignislosigkeit; schließlich hocken die Tiere teilnahmslos und
ihres monotonen Alltags sichtlich überdrüssig, herum. Jeder tut, was er eben
immer tut, was seiner Natur entspricht, und das ist dem ständigen Zusammenleben
nicht unbedingt förderlich: Es wird gebellt, gegrunzt, gemeckert, miaut,
gepiepst und gekräht.
Doch insgeheim scheinen alle auf eine erlösende Abwechslung, auf "frische
Gedanken", zu warten. Und weil mit Überdruss angereicherte
Langeweile mitunter eine explosive Mischung darstellt, bleiben Sticheleien und vermutlich über lange Zeit
aufgestaute Vorwürfe nicht aus.
Beispielsweise ist dem Hund die Angewohnheit des Schweins, sich lustvoll im
Dreck zu wälzen, ein Dorn im Auge, der eitle Hahn muss sich vom Schwein
beflegeln lassen, die Katze findet Ziegenmilch eigentlich widerlich, und
überhaupt hat mit einem Mal jeder etwas an seinen Mitbewohnern auszusetzen.
Nach kurzem Aufruhr legt sich abermals der Mantel des Schweigens über das nun
recht bekümmert wirkende Grüppchen, da naht die Brieftaube, die zwar keine
Post, jedoch immerhin einen Vorschlag, bringt, als das Schwein meint: "Wir
brauchen Abwechslung hier, wir wollen ein neues Tier." "Dann
erfindet doch eins", entgegnet die schlagfertige Brieftaube, bevor sie weiterfliegt.
Da ist die selbstverschuldete Missstimmung schlagartig wie weggeblasen, ein
Ruck geht durch die Gruppe: Jeder hat eine Idee, will etwas beisteuern, sich
nützlich machen. Erfinderstolz ist den Tieren in die Gesichter geschrieben; man holt
Federn, Stroh, Schnüre, einen Kürbis, Käse und Knochen herbei und bastelt
hoffnungsfroh das ersehnte neue Tier.
Verdutzt müssen die Emsigen zur Kenntnis nehmen, dass die fertige Gestalt
keinerlei Regung zeigt, sondern - langweilig! - still und leblos bleibt. Also
schlägt der Hahn vor, das neue Tier zu beeindrucken, um es aus der Reserve zu
locken: "Los, zeigt ihm eure besten Seiten!"
Gesagt, getan: Nun dürfen die Anwesenden der Reihe nach unter den
Augen ihrer zunehmend
interessierten, begeisterten Mitbewohner vortreten und ihre
individuellen Talente präsentieren: Das Schwein saugt Flöhe
vom neuen Tier,
die Ziege schafft Heilkräuter herbei, der Hahn bringt ein
Wiegenlied zu Gehör,
der Hund beweist Wächterqualität, die Katze putzt
hingebungsvoll, die Maus
liest Ermutigendes aus einer Zeitung vor.
Hingerissen von den Darbietungen sehen die Tiere einander plötzlich mit neuen
Augen. Völlig unbeeindruckt bleibt allein das neue Tier weiterhin starr und
stumm, was jedoch in der allgemeinen Begeisterung gänzlich untergeht. Man ist mit wechselseitigen
Wertschätzungsbekundungen beschäftigt, und für jede vorgeführte Fähigkeit
finden sich Bewunderer sowie konkrete Anwendungsmöglichkeiten im Alltag.
Ausgelassen wird getanzt, keine Rede mehr vom neuen Tier; Jubel, Trubel,
Heiterkeit.
Die Moral von der Geschicht'? Langeweile lohnt sich nicht.
Wieder einmal ergänzen sich Adelheid Dahimènes treffsicherer Text und Heide
Stöllingers anregend-amüsante Bilder (z.B. das jeweilige Mienenspiel der
Tiere!) bestens. Entstanden ist ein Bilderbuch für jedes Alter, das in
Fortbildungsseminaren gewiss mindestens ebenso willkommen wie in Kindergärten
ist.
(kre; 07/2008)
Adelheid Dahimène, Heide Stöllinger (Illustratorin): "Wir
und das neue Tier"
Residenz Verlag, 2008. 36 Seiten. (Ab 4 J.)
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