Henna Goudzand Nahar, Jeska Verstegen: "Der Biber von Anderswo"
Der
Unruhestifter
Ein zentrales Thema fast aller Gesellschaften ist der Umgang mit
Fremden.
Vor dem Hintergrund eines erweiterten Europas und damit einhergehender
neuer
gesellschaftlicher und kultureller Impulse gewinnen Toleranz, Respekt
und
Verantwortung im Umgang miteinander immer größere
Bedeutung.
Rechtsextremistisches, fremdenfeindliches und intolerantes Denken und
Handeln
sind Herausforderungen, und es ist schwierig, ihnen zu begegnen. Wo,
wenn nicht
schon im Kindesalter, werden die Wurzeln für die Achtung aller
gelegt. Kinder
begreifen dies viel leichter, als man meinen mag, denn sie sind offen
und mutig
genug, zu sagen: "Schau, du bist vielleicht ein bisschen
anders, aber im
Grunde bist du ein Kind wie ich!"
Kernthema dieses Bilderbuches, dem sich die Autorin Henna Goudzand
Nahar und
ihre niederländische Illustratorin Jeska Verstegen widmen,
sind Fremdsein,
Toleranz und Miteinander und wie einfach es sein kann, Freundschaften
zu schließen,
wenn man von Vorurteilen Abstand nimmt. Denn Anderssein heißt
nicht, schlechter
zu sein.
Der Name der Autorin lässt vermuten, dass sie sich mit diesem
Thema bestens
auskennt. Geboren in Surinam, Südamerika, zog sie 1990 nach
Amsterdam.
Gemeinsam erzählen sie eine wundervolle Geschichte, die von
Ausländerfeindlichkeit
und Migration handelt, für Kinder vielleicht einfach nur eine
Geschichte vom
Umgang mit einem neuen Nachbarn ist.
Für ihre Geschichte haben sich Autorin und Illustratorin ins
Tierreich begeben
und als menschliche Pendants Schwein, Elefant und Biber
gewählt. Erstere Zwei
stellen die alteingesessene Bewohner "ihres" Flusses dar, die eines
Tages beim Müßiggang ein wunderschön
gesungenes Lied hören. "Wie hübsch
diese Stimme klingt", sagte das Schwein. "Wer das
wohl sein
mag?" Man begibt sich zwecks Aufklärung an den Ort
der schönen Töne.
Und siehe da, hat sich doch einfach ein Fremder - ein Biber -
angesiedelt und
ist gerade dabei sein neues Haus zu errichten.
"Aber das geht doch nicht einfach so", sprach der
Elefant, und
das Schwein stimmte ihm zu, "du gehörst nicht
hierher (...) weil wir
dich nicht kennen. (...)". Auch wenn sich Herr Biber
ordentlich und höflich
vorstellt, "für uns bist du immer noch ein Fremder",
sagt der
Elefant. "Und ein Unruhestifter", fügte
das Schwein hinzu.
Also packte der Biber seinen Rucksack und ging.
Doch schon bald vermissen Schwein und Elefant den "Neuen". Da hilft es
auch nicht, jedwede Erinnerung auszulöschen, indem sie das
bereits begonnene
Haus des Bibers zerstören und kurz und klein schlagen. Sie
können den Biber
einfach nicht vergessen.
Schlussendlich machen sie ihn wieder ausfindig, und gemeinsam errichten
sie ihm
ein neues Haus, wohnen fortan zufrieden in angenehmer Nachbarschaft und
lauschen
dem wundervollen Gesang "ihres" Bibers.
Die Autorin führt mit diesem Buch Kindern vor Augen, dass
Neulinge die
Gesellschaft durch ihren Kontext bereichern können. Kinder
erfahren, dass eine
grundsätzlich negative Haltung in Bezug auf Ausländer
nicht lohnt. Durch
vorgefasste Meinungen öffnen sie sich keinen neuen Kontakten
und legen sich auf
einseitige Lokalisierungen fest. Dadurch lassen sie sich viel
Vergnügen
entgehen.
Als sich Elefant und Schwein letztendlich entscheiden, bei der
Errichtung des
neuen Hauses des Bibers zu helfen, hat die Autorin in transparenter
Weise
aufgezeigt, wie ein Kontakt zu Ausländern das Leben der
"Alteingesessenen"
bereichern kann. Außerdem spricht sie Kinder auf ihren
Gerechtigkeitssinn an
und lässt sie fragen, was Fremdsein bedeutet und welche
Empfindungen sich ohne
ein Zuhause einstellen.
Die Geschichte wird durch die Illustrationen von Jeska Verstegen
herrlich
veranschaulicht. Mit klarer, einfacher Linienführung
konturiert sie die
Buchhelden und füllt ihre Umrisse mit zarten Aquarellfarben,
(nur das
grell-pinke Schweinchen bildet eine Ausnahme). Auf
übermäßigen Schnickschnack
wird verzichtet. Trotzdem sind auf jeder Seite ein, zwei lustige
Details
hingetupft, die zu entdecken lohnt.
Der besondere Clou dieses Buches ist das integrierte Hörbuch.
Mittels eines
Zahlencodes, der im Buchdeckel verborgen ist, kann man sich dieses
wunderbare
Geschichte auch vorlesen lassen. Dies verspricht auf Grund der
großartigen
Intonation des Sprechers ein besonderes Vergnügen. Entspannt
können die
Kleinen, auch wenn die Eltern einmal nicht zur Verfügung
stehen, die Geschichte
hören und werden sogar an den entsprechenden Stellen
musikalisch zum Umblättern
aufgefordert.
Fazit:
Toleranz und Respekt - Worte, die oft ausgesprochen werden, die aber
viel zu
wenig gelebt werden. Dieses Buch ist ein kleiner Beitrag, diese oftmals
nur
leeren Worthülsen mit Leben zu füllen und Vielfalt
als Bereicherung zu
erkennen. Denn erst im gemeinsamen Miteinander ist das Leben als
Geschenk spürbar.
(Heike Geilen; 02/2008)
Henna
Goudzand Nahar (Text), Jeska
Verstegen (Illustrationen): "Der Biber von Anderswo"
NordSüd Verlag, 2008. 32 Seiten. (Ab 4 J.)
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Henna
Goudzand Nahar: Geboren in
Surinam, Südamerika. In Surinam und Belgien studierte sie
niederländische
Literatur. 1990 zog sie nach Amsterdam, wo sie seither
Niederländisch
unterrichtet und als Autorin arbeitet.
Jeska Verstegen: Geboren 1972 in Delft in den
Niederlanden. Sie studierte am Stedelijk Instituut voor
Sierkunsten in
Antwerpen und arbeitet seit ihrem Abschluss
als Illustratorin für verschiedene Zeitschriften
und für das Fernsehen. Sie lebt in den
Niederlanden.