(...)
Welche von ihnen ist wohl die Thatcher?
Sie werden es nicht glauben. Eine Frau, die ein Mann sein könnte, wenn sie nicht
ein blaues Kleid trüge und soviel Haarspray auf ihr rötliches Haar gesprüht
hätte. Sie hat den Blick eines trotzigen Kindes, Doppelkinn und Hakennase. Wie
ein Gockel wirkt sie, den man aus dem Hühnerstall gejagt hat.
Reagan sitzt ihr genau gegenüber. Er hat Spaß am Herumpalavern, schwafelt etwas
über die Völkerverständigung. Frau Thatcher wiegt ihren Hahnenkamm; vielleicht
ist das eine Art Gruß für unser Nahen. Sie blickt mit Desinteresse auf ihre
Tischgefährten. Offenbar hat sie Hunger.
Obwohl sie nicht sonderlich sympathisch ist, sind wir mit ihr einer Meinung.
Warum sprechen die Menschen bei Tisch über Arbeit? Sprechen sie etwa übers Essen,
wenn sie arbeiten? Gibt es Berührungspunkte zwischen Essen und Arbeit?
Die Versammlung bricht in Lachen aus. Die Thatcher bleibt ernst. Sie versucht,
mit den Zähnen zu lächeln, was unmöglich ist. Erst als der Kellner einen dampfenden
Teller vor sie hinstellt, kommen diese Zähne heftig in Bewegung. Der Gockel
kaut und entspannt sich, der Zorn verpufft. Beim zweiten Bissen lacht sie. Beim
dritten kommt sie regelrecht in Feierstimmung. Die Zunge schnalzt. Die Augen
werden groß. Sie beugt sich zu einer Dame hinüber, die wie die Dame des Hauses
wirkt, und fragt sie etwas, was mit dem Koch zu tun hat. "Grieche", antwortet
die, mit ihren Armreifen klimpernd. "Ist er nicht phantastisch? Ich habe ihn
in Saint Thomas auf den Virgin Islands entdeckt ... Er hatte ein kleines Restaurant.
Höchstens zehn Tische. Er leidet am Kreativitätssyndrom. Er kann nicht zweimal
das gleiche Gericht herstellen. Wie meinten Sie? Nein, ganz jung noch. Noch
keine Dreißig. Und, stellen Sie sich das nur vor, ein solcher Perfektionist,
daß er die Kartoffeln erst blanchiert, bevor er sie brät, damit sie sich nicht
verfärben..."
Die Thatcher, die in politischen Kreisen als tückisch und hart gilt, hat die
Geschichte von der Bratkartoffel voll Interesse angehört. "Ich würde diesen
griechischen Meisterkoch gerne kennenlernen", bemerkte sie, sobald sie ihr Lammfleisch
aufgegessen hatte. Stefanos machte seine Aufwartung im Speisesaal. Obwohl wir
nur kleine gebratene Käsekrümel waren, konnten wir die Situation erfassen. Er
wußte nicht, wo er sich hinstellen sollte. Nahm seine Mütze ab und machte einen
Diener. Groß und bleich war er. Die Thatcher begann langsam und stetig zu applaudieren.
Ein paar Sekunden danach schloß sich auch die Dame mit den Armreifen an, Ronald
und Nancy Reagan, die übrigen Gäste und die Bodyguards. Stefanos war nicht mehr
blaß, das Blut war ihm in die Wangen gestiegen. Man bot ihm einen Stuhl und
Wein an. Man bot ihm ebenfalls die Gelegenheit, sich wie der König der Kochkunst
zu fühlen. Frau Reagan fragte höflich, aber eindringlich nach dem Rezept. Stefanos
notierte Zutaten und Mengenangaben auf einem Briefbogen des Weißen Hauses. Gleichzeitig
antwortete er mit Bescheidenheit auf die Komplimente: "Wenn das Produkt gut
ist und in letzter Minute zubereitet wird, ergibt es ein zufriedenstellendes
Ergebnis." Seine Bescheidenheit reizte die beiden Staatsführer, die sich mit
begeisterten Kommentaren überboten.
"Machen Sie das mit Ihren Händen oder benutzen Sie einen Zauberstab?"
"Das war kein Lamm, das war das reinste Täubchen!"
"Was halten Sie von einem Restaurant an der Ostküste?"
"Wir müssen unsere Mittelmeerpolitik ändern."
Frau Reagan übernahm die Rolle der zweiten Stimme. Sie klapperte mit den Augendeckeln
und stieß immer wieder hervor: "Exzellent" Exzellent!"
Nancy freute sich, daß Ronald sich freute, weil sich die Thatcher freute. Die
Begeisterung über die Tatsache, daß der Vertrag in der Runde um den Tisch an
einem so schönen Frühlingstag ratifiziert wurde, währen das Meer rhythmisch
wogte und die Bäuche sich hoben und senkten, hatte selbst die Boddyguards angesteckt.
Als herumstehende Schafherde, Reste von Petersilie
vom Vorkosten des Essens zwischen den Zähnen, hatten die Leibwächter nicht den
geringsten Grund, sich vergnügt zu fühlen. Und doch waren sie es. Das Glück
ist ein Gruppenzustand, eine Art Gleichgewicht des Systems. Hervorgerufen wird
es durch die Exaltation der Melancholie, durch die süße Eitelkeit des Menschlichen,
eine zur richtigen Zeit gestellte Frage, einen Bissen köstlichen Lamms, von
den Zähnen zermahlen und aufgeweicht durch den Speichel oder ohne speziellen
Grund, weil die Zeit dafür gekommen ist. (.....)
(aus
"Oktopusgarten" von Amanda
Michalopoulou;
Europäische Verlagsanstalt )