Hydra
Hoher, steiler, fester Felsen, darauf
Hellas' Freiheit ruht!
Seh ich deine Wolkengipfel, steigt mein Herz und wallt mein Blut.
Hoher, steiler, fester Felsen, den des Meeres Wog umbraust,
Über dessen kahlem Scheitel wild die Donnerwolke saust!
Aber in das Ungewitter streckst du kühn dein Haupt empor,
Und es wankt nicht von dem Schlage, dessen Schall betäubt das Ohr;
Und aus seinen tiefsten Höhlen schleudert das erboste Meer
Wogenberg' an deine Füße, doch sie stehen stark und hehr,
Schwanken nicht, so viel die Tanne
schwankt im linden Abendhauch,
Und die Wogenungeheuer
brechen sich zu Schaum und Rauch.
Hoher, steiler, fester Felsen, darauf Hellas' Freiheit ruht!
Hydra, hör ich deinen Namen, steigt mein Herz und wallt mein Blut;
Und mit deiner Segel Fluge schwebt ins weite Meer mein Geist,
Wo der Wind, wo jede Welle jubelnd deine Siege preist.
Ist Athen in Schutt zerfallen, liegt in Staub Amphions Stadt,
Weiß kein Enkel mehr zu sagen, wo das Haus gestanden hat,
Dessen Ziegel nach dem feigen Sohne warf der Mutter Hand,
Als er ohne Kranz und Wunde vor der Tür der Heldin stand:
Laßt die Türm
und Mauern stürzen; was ihr baut, muß untergehn:
Ewig wird der Freiheit Felsen in dem freien Meere stehn!
(von Wilhelm Müller; 1794-1827)