163.
Untersuchung
Die Sünde des ersten Menschen
Es kommt nun die Erwägung der Sünde des ersten Menschen, die durch Hochmut geschah; und zuerst die der Sünde selbst; dann nie der Strafe für die Sünde (164); endlich die der Versuchung, durch welche er zum Sündigen verführt wurde (165). Ums erste erheben sich vier Fragen:
Erster
Artikel
War die erste Sünde des Erstmenschen der Hochmut?
Feststellung. Die Sünde des ersten Menschen war der Hochmut, mit dem er nach einem gewissen geistigen Gut begehrte, das über dem Gemaß seiner Bedinglichkeit lag.
Zweiter
Artikel
Gab es den Hochmut des ersten Menschen darin, dass er nach der Ähnlichkeit
mit Gott begehrte?
Aus der Abhandlung.
Ich antworte: .... Obzwar jeder von beiden, der Teufel sowohl wie der erste
Mensch, in in ungeordneter Weise nach einer Gottähnlichkeit begehrte,
so hat keiner von ihnen durch die Begehr nach Ähnlichkeit seiner Natur
gesündigt. Vielmehr beging der Erstmensch seine Sünde hauptsächlich
mit der Begehr nach Gottähnlichkeit in Bezug auf "das Wissen um
Gut und Bös", womit ihm die Schlange
an die Hand ging, damit er nämlich kraft der eigenen Natur sich selber
bestimme, was Gut und was Böse sei beim Handeln; oder auch, dass er von
sich aus vorauserkännte, was ihm Gutes oder Böses bevorstehe. Und
an zweiter Stelle sündigte er, indem er nach der Ähnlichkeit mit
Gott hinsichtlich der Eigenmacht im Werktun begehrte, dass er nämlich
kraft der ihm eigentümlichen Natur die Erlangung der Seligkeit erwirken
könne; weshalb Augustinus
11.Super Gen. ad Litt. (30) sagt: "Dem Geist des Weibes wohnte die Liebe
nach der Selbstmacht inne." - Der Teufel dagegen
sündigte mit der Begehr nach der Gottähnlichkeit in Bezug auf die
Macht, weshalb Augustinus De Vera Relig. (13) sagt: "Er wollte lieber
seiner Macht genießen als der Macht Gottes." - In gewisser Hinsicht
begehrte jedoch jeder von beiden nach einer Gleichstellung mit Gott, insofern
nämlich jeder auf sich selber gründen wollte unter Missachtung der
Ordnung nach Gottes Maßbestimmung.
Zu 2. Die Begehr nach der Ähnlichkeit mit Gott in bezug auf Wissen ist
an sich keine Sünde. Aber ungeordnet, d.h. über sein Zumaß
hinaus, nach der Ähnlichkeit mit Gott zu begehren, ist Sünde. Daher
sagt zu dem Psalmwort (70,19): "Gott, wer ist dir ähnlich",
Augustinus (Glossa Ord. et Lomb.): "Wer durch sich sein will, wie Gott
von niemand her ist, will schlechterweise Gott ähnlich sein, wie der
Teufel, der nicht unter ihm stehen wollte, und der Mensch, der
nicht wollte dienend an Gebot gebunden sein."
Feststellungen
3. War die Sünde der ersten Eltern schwerer als die übrigen?
Nicht schlechthin, aber in gewisser Hinsicht war die Sünde der Ersteltern schwerer als die übrigen, weil sie nämlich sich am wenigsten der Unschuld und Reinheit ihres Standes ziemte.
4. War die Sünde des Adam schwerer als die Sünde der Eva?
Die Sünde der Eva war schwerer als die des Adam, obwohl aus der Bedinglichkeit der Person her Adam schwerer gesündigt hat.
164.
Untersuchung
Die Strafen für die Sünde des ersten Menschen
Feststellungen
1. Ist der Tod die Strafe für die Sünde der Ersteltern?
Der Tod und die leiblichen Mängel sind die folgerichtigen Strafen für die Sünde der Ersteltern.
2. Bestimmt die Schrift die teilbesonderen Strafen der Ersteltern richtig?
Allerlei Gattungen von Strafen beschreibt die Heilige Schrift, mit denen das Verbrechen der Ersteltern angemessen und richtig bestraft worden ist.
165.
Untersuchung
Die Versuchung der ersten Eltern
Erster
Artikel
War es gehörig, dass der Mensch vom Teufel versucht wurde?
Aus
der Abhandlung. 1. Scheinbar ... 2. Ferner, Gott, der Vorwisser der Zukunft, wusste,
dass der Mensch durch die Versuchung des Teufels in die Sünde gestoßen
würde, und ebenso gut wusste er, dass es ihm nicht frommte, versucht zu werden.
Es scheint also, dass die Zulassung seiner Versuchung sich nicht gehört hat.
Aber
dagegen spricht, dass es Eccli. 34,9 heißt: "Wer nicht versucht worden
ist, was weiß der ?"
Ich antworte: Die göttliche Weisheit "hat
alles lieblich zugerüstet", wie es Weish. 8,1 heißt, insoweit
nämlich ihre Vorsehung dem Einzelnen das zugewiesen hat, was ihm seiner Natur
nach zukommt; denn wie Dionysius 4. De Div. Nom. sagt, "Ist es Sache der
Vorsehung, nicht die Natur zu verderben, sondern sie heil zu halten". Es
gehört aber zur Verfassung der menschlichen Natur, dass sie von den anderen
Geschöpfen Förderung oder Hinderung erfahren kann. Daher war es angemessen,
wenn Gott sowohl zuließ, dass der Mensch im Unschuldstande durch die bösen
Engel versucht wurde, als auch wenn er machte, dass die guten ihm halfen. Denn
zufolge besonderen Gnadenerweises war es dem Menschen verliehen, dass kein Geschöpf
von draußen her ihm gegen den eigenen Willen schaden könne, durch den
er auch der
Versuchung des Teufels widerstehen konnte.
Zu 2. Grade, wie
Gott wusste, dass der Mensch durch die Versuchung in die Sünde zu stürzen
war, grade so wusste er auch, dass jener dem Versucher durch den freien Wahlentscheid
widerstehen konnte. Eben das verlangte aber die Verfassung seiner Natur, dass
er dem eigenen Willen überlassen würde, gemäß Eccli. 15,14:
"Gott hat den Menschen in der Hand seines Ratschlusses gelassen". Darum
sagt Augustinus 11. Super Gen. ad Litt. (4): "Mir schiene der Mensch kein
großes Lob zu verdienen, wenn er deswegen ein rechtes Leben führen
könnte, weil niemand ihm ein schlechtes riete, wo er doch in der Natur das
Können und in seiner Gewalt das Wollen besitzt, dem Zuredenden nicht zuzustimmen."
(aus der "Summe
der Theologie" von Thomas von Aquin: 1225-1274)
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