(...)
König
Ich habe
Gemordet, Cardinal, und keine Ruhe -
Großinquisitor
Weßwegen haben Sie gemordet?
König
Ein Betrug, der ohne Beispiel ist -
Großinquisitor
Ich weiß ihn.
König
Was wisset Ihr? Durch wen? Seit wann?
Großinquisitor
Seit
Jahren,
Was Sie seit Sonnenuntergang.
König (mit Befremdung)
Ihr habt
Von diesem Menschen schon
gewußt?
Großinquisitor
Sein Leben
Liegt angefangen und beschlossen in
Der Santa Casa heiligen
Registern.
König
Und
er ging frei herum?
Großinquisitor
Das Seil, an dem
Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.
König
Er war schon außer meines Reiches Grenzen.
Großinquisitor
Wo
er sein mochte, war ich auch.
König
(geht unwillig auf und nieder)
Man wußte,
In wessen Hand ich war
- Warum versäumte man,
Mich zu erinnern?
Großinquisitor
Diese
Frage geb' ich
Zurücke - Warum fragten Sie nicht an,
Da Sie in dieses
Menschen Arm sich warfen?
Sie kannten ihn! Ein Blick entlarvte Ihnen
Den Ketzer. - Was vermochte Sie, dies Opfer
Dem heil'gen Amt zu unterschlagen?
Spielt
Man so mit uns? Wenn sich die Majestät
Zur Hehlerin erniedrigt
- hinter unserm Rücken
Mit unsern schlimmsten Feinden sich versteht,
Was
wird mit uns? Darf Einer Gnade finden,
Mit welchem Rechte wurden Hunderttausend
Geopfert?
König
Er ist auch geopfert.
Großinquisitor
Nein,
Er ist ermordet - ruhmlos! freventlich! - Das Blut,
Das unsrer Ehre glorreich
fließen sollte,
Hat eines Meuchelmörders Hand verspritzt.
Der Mensch war
unser - Was befugte Sie,
Des Ordens heil'ge Güter anzutasten?
Durch uns
zu sterben, war er da. Ihn schenkte
Der Nothdurft dieses Zeitenlaufes Gott,
In seines Geistes feierlicher Schändung
Die prahlende Vernunft zur Schau
zu führen.
Das war mein überlegter Plan. Nun liegt
Sie hingestreckt, die
Arbeit vieler Jahre!
Wir sind bestohlen, und Sie haben nichts
Als blut'ge
Hände.
König
Leidenschaft riß mich
Dahin. Vergib mir.
Großinquisitor
Leidenschaft?
- Antwortet
Mir Philipp, der Infant? Bin ich allein
Zum alten Mann geworden?
- Leidenschaft!
(Mit unwilligem Kopfschütteln.)
Gibt die Gewissen
frei in deinen Reichen,
Wenn du in deinen Ketten gehst.
König
Ich bin
In diesen Dingen noch ein Neuling. Habe
Geduld mit mir.
Großinquisitor
Nein! Ich bin nicht mit Ihnen
Zufrieden. - Ihren ganzen vorigen
Regentenlauf
zu lästern! Wo war damals
Der Philipp, dessen feste Seele, wie
Der Angelstern
am Himmel, unverändert
Und ewig um sich selber treibt? War eine ganze
Vergangenheit
versunken hinter Ihnen?
War in dem Augenblick die Welt nicht mehr
Die
nämliche, da Sie die Hand ihm boten?
Gift nicht mehr Gift? War zwischen Gut
und Uebel
Und Wahr und Falsch die Scheidewand gefallen?
Was ist ein Vorsatz,
was Beständigkeit,
Was Männertreue, wenn in einer lauen
Minute eine sechzigjähr'ge
Regel
Wie eines Weibes Laune schmilzt?
König
Ich
sah in seine Augen - Halte mir
Den Rückfall in die Sterblichkeit zu gut.
Die Welt hat einen Zugang weniger
Zu deinem Herzen. Deine Augen sind erloschen.
Großinquisitor
Was sollte Ihnen dieser Mensch? Was konnte
Er Neues
Ihnen vorzuzeigen haben,
Worauf Sie nicht bereitet waren? Kennen
Sie Schwärmersinn
und Neuerung so wenig?
Der
Weltverbeßrer prahlerische Sprache
Klang Ihrem Ohr so ungewohnt?
Wenn das
Gebäude Ihrer Ueberzeugung schon
Von Worten fällt - mit welcher
Stirne, muß
Ich fragen, schrieben Sie das Bluturtheil
Der hunderttausend
schwachen Seelen, die
Den Holzstoß
für nichts Schlimmeres bestiegen?
König
Mich lüsterte nach einem Menschen. Diese
Domingo -
Großinquisitor
Wozu Menschen? Menschen sind
Für Sie nur Zahlen,
weiter nichts. Muß ich
Die Elemente der Monarchenkunst
Mit meinem grauen Schüler überhören?
Der Erde Gott verlerne zu bedürfen,
Was ihm verweigert werden kann. Wenn Sie
Um Mitgefühle wimmern, haben Sie
Der Welt nicht Ihresgleichen zugestanden?
Und welche Rechte, möcht' ich
wissen, haben
Sie aufzuweisen über Ihresgleichen?
König
(wirft sich in den Sessel)
Ich bin ein kleiner Mensch, ich fühl's -
Du forderst
Von dem Geschöpf, was nur der Schöpfer leistet.
Großinquisitor
Nein, Sire, mich hintergeht man nicht. Sie sind
Durchschaut
- uns wollten Sie entfliehen.
Des Ordens schwere Ketten drückten Sie;
Sie
wollten frei und einzig sein.
(Er hält inne. Der König schweigt.)
Wir
sind gerochen - Danken Sie der Kirche,
Die sich begnügt, als Mutter Sie zu
strafen.
Die Wahl, die man Sie blindlings treffen lassen,
War Ihre Züchtigung.
Sie sind belehrt.
Jetzt kehren Sie zu uns zurück - Stünd' ich
Nicht jetzt
vor Ihnen - beim lebend'gen Gott! -
Sie wären morgen so vor mir gestanden.
König
Nicht
diese Sprache! Mäßige dich, Priester!
Ich duld' es nicht. Ich kann in diesem
Ton
Nicht mit mir sprechen hören.
Großinquisitor
Warum rufen Sie
Den Schatten Samuels herauf? Ich
gab
Zwei Könige dem span'schen Thron und hoffte,
Ein fest gegründet Werk
zu hinterlassen.
Verloren seh' ich meines Lebens Frucht,
Don Philipp selbst
erschüttert mein Gebäude.
Und jetzo, Sire - Wozu bin ich gerufen?
Was
soll ich hier? - Ich bin nicht Willens, diesen
Besuch zu wiederholen.
König
Eine
Arbeit noch,
Die letzte - dann magst du in Frieden scheiden.
Vorbei sei
das Vergangne, Friede sei
Geschlossen zwischen uns - Wir sind versöhnt?
Großinquisitor
Wenn Philipp sich in Demuth beugt.
König
(nach einer Pause)
Mein Sohn
Sinnt auf Empörung.
Großinquisitor
Was beschließen Sie?
König
Nichts - oder Alles.
Großinquisitor
Und was heißt hier Alles?
König
Ich
lass' ihn fliehen, wenn ich ihn
Nicht sterben lassen kann.
Großinquisitor
Nun, Sire?
König
Kannst du mir einen neuen Glauben gründen,
Der eines Kindes blut'gen Mord
vertheidigt?
Großinquisitor
Die
ewige Gerechtigkeit zu sühnen,
Starb
an dem Holze Gottes Sohn.
König
Du willst
Durch ganz Europa diese Meinung pflanzen?
Großinquisitor
So weit, als man das Kreuz verehrt.
König
Ich frevle
An der Natur - auch diese mächt'ge Stimme
Willst du zum Schweigen
bringen?
Großinquisitor
Vor dem Glauben
Gilt keine Stimme der Natur.
König
Ich lege
Mein Richteramt in deine Hände. - Kann
Ich ganz
zurücke treten?
Großinquisitor
Geben Sie
Ihn mir.
König
Es
ist mein einz'ger Sohn - Wem hab' ich
Gesammelt?
Großinquisitor
Der
Verwesung lieber, als
Der Freiheit.
König (steht
auf)
Wir sind einig. Kommt.
Großinquisitor
Wohin?
König
Aus meiner Hand das Opfer zu empfangen.
(...)
(aus "Don Carlos" von Friedrich Schiller)