Karl-Heinz Göttert; Eckhard Isenberg: "Orgeln! Orgeln!"
Konzepte. Kuriositäten Kontinente
Die Orgel, die wahrscheinlich im 3. vorchristlichen Jahrhundert von dem Erfinder Ktesibios erfunden wurde, war bis ins frühe Mittelalter hinein noch tragbar, ehe sie sich zum größten traditionellen, und in Klang und Wucht wohl mayestätischesten Musikinstrument der Welt entwickelte und in dieser Form Musikgeschichte schrieb. In diesem Buch geht es darum, dem Leser einen Eindruck von der Vielfalt zu geben, die sich aus dem Prototyp in (fast) allen Teilen der Erde im Laufe der Zeit entwickelt hat. Eingeteilt ist dieser Vielfaltsüberblick in die wichtigsten Regionen vermehrten Orgelvorkommens, die USA, Europa, Deutschland (welches nicht aufgrund geografischer Randlage, sondern wegen seiner dominanten Rolle in der Orgelgeschichte getrennt von Europa besprochen wird). Abgerundet wird das Ganze mit einem Blick auf Australien und Asien, wo insbesondere die Stadt Tokio bereits viele Quantitäts- und auch manche Qualitätsmaßstäbe älteren Orgelbodens gesprengt hat. Lateinamerika, Kanada und Afrika (obwohl die Mutter aller Orgeln vermutlich in Alexandria das Licht der Welt erblickte) wurden einstweilen noch nicht der Aufnahme für würdig befunden, während - welch Projekt! - die Antarktis immer noch ihrer ersten Orgel harrt.
Innerhalb erwähnter Regionen werden nun einige an Schönheit, Potenz oder Absonderlichkeit herausragende Orgeln herausgenommen und von den verschiedensten Seiten her beleuchtet. Ausführlich werden die oft sehr unterschiedlichen Konstruktionen mit ihren zugrundeliegenden Prinzipien erklärt, die Worte durch viele Fotografien und Zeichnungen verdeutlicht. Auch der historischen Dimension wird besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dies betrifft nicht nur die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Instruments, sondern die Geschichte der Orgel an sich, die nicht in strenger zeitlicher Abfolge, wohl aber durch ausührliches Eingehen auf den historischen Hintergrund und ein paar kluge Verbindungen von Motiven und einen guten Geschmack beim Nachgehen von Assoziationen mitschwingt. Schließlich wundert es nicht, dass ob ihres herrschaftlichen Charakters eine Orgel manchmal auch aktiver Teil der Geschichte wurde: so etwa wechselten zwei hochpolitische Orgeln zwischen der Stadt am Bosporos und Europa: 757 erhielt der Frankenkönig Pippin der Kleine vom byzantinischen Kaier Konstantin 5. ein großzügiges Orgelgeschenk, welches nicht nur Entwicklungshilfe (Byzanz war lange Zeit die führende Orgelnation) leisten und des fremden Herrschers Ohr erfreuen, sondern letzterem auch eine antipäpstlichere Einstellung einflüstern sollte; 1599 traf im längst orgellosen Istanbul anlässlich der Thronbesteigung von Sultan Mehmed 3. als Geschenk Königin Elisabeths 1. von England eine kunstfertig gearbeitete (und verkappt antispanische) Orgel ein. Das äußerste Entzücken, welche dieser nie zuvor vernommene Orgelton beim sonst nicht eben als empfindsam geltenden Mehmed auslöste, verschaffte dem britischen Geschenküberbringer und gleichzeitig Orgelbauer als erstem Europäer tiefere Einblicke in Serail und Harem eines Osmanenherrschers und bewies, dass dessen Vorfahren beim Vernichten griechischen Kulturgutes 150 Jahre zuvor so konsequent wie unüberlegt vorgegangen waren.
Solche und andere interessante und mit großer Freude am Erzählen vorgebrachte Anekdoten rund um die Orgel kommen zuhauf zur Sprache und bewirken, dass das Buch auch Menschen, die eine Beethovensonate einer Bachtoccata vorziehen, ein delikates Lesevergnügen bereitet.
(fritz; 12/02)
Karl-Heinz
Göttert; Eckhard Isenberg: "Orgeln! Orgeln!"
Bärenreiter Verlag
2002
170 Seiten
ca EUR 19,90. Buch bestellen
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