Silver RavenWolf: "Halloween - Feste & Rituale"
Hexenkunst, Magie und Ritual der Wicca
31. Oktober: Wenn die Schleier
zwischen den Welten sich lüften …
Noch vor wenigen Jahren wusste kaum
jemand in Kontinentaleuropa mit dem Halloweenfest etwas anzufangen. Sein
wichtigstes Utensil, der von innen illuminierte, grimmig dreinblickende
Kürbiskopf, war bestenfalls aus drittklassigen US-Horrorfilmen bekannt. Fast
zeitgleich mit dem Siegeszug der Harry-Potter-Romane
setzte Halloween über den Atlantik gen Osten über. Nun sind in den Oktobertagen
Geisterumhänge, Fledermausgirlanden, besenberittene Hexen oder Zauberutensilien
aller Art aus den Schaufenstern nicht mehr wegzudenken. Dabei ist Halloween nur
oberflächlich betrachtet ein "typisch amerikanischer Exportartikel", denn im
Grunde genommen wird in der Nacht vom 31.10. auf den 1.11. uraltes europäisches
Brauchtum in modernem Gewande wiederbelebt; Brauchtum, dessen Anfänge sich im
Nebel prähistorischer Epochen verlieren und das in vorchristlicher Zeit vor
allem von den Kelten hochgehalten worden war.
Wie der ungewöhnliche Name der Autorin schon erahnen lässt, ist "Halloween -
Feste & Rituale" von einer Wicca verfasst, auf Gutdeutsch von einer
Hexe, einer Frau, die so genannte heidnische Glaubensvorstellungen im 21. Jahrhundert
aktiv praktiziert. Es ist ratsam, vorurteilsfrei an die Lektüre des Buches heranzugehen,
denn Silver RavenWolf hat durchaus seriös nachgeforscht (Fußnoten, Bibliografie),
vor allem was die Geschichte des Festes betrifft. Natürlich fließt die magische
Weltanschauung der Autorin in die Seiten mit ein. Sie ist Oberhaupt der Gemeinschaft
des Black Forest Clans sowie Direktorin der International Wiccan/Pagan Press
Alliance. Das Schöne an diesem Buch ist, dass es von einer Frau verfasst worden
ist, die an das, worüber sie schreibt, tatsächlich glaubt. Ihre einschlägigen
Kenntnisse würden Frau Rabenwolf wohl mit Leichtigkeit eine Stelle in der Potterschen
Zauberschule von Hogwarts einbringen ...
Samhain: Fest aus dem Dunkel der Zeit
Gleich eingangs hält
Silver RavenWolf in Sachen Halloweenforschung zu gründlicher Recherche an, denn
"(...) verzerrte Fakten klumpen sich zusammen wie ein schmutziger Schneeball,
so dass wir am Ende verdrehte Mythen (...) erhalten." Also gilt es, Schnee
und Matsch voneinander zu trennen.
Nach dem derzeitigen Forschungsstand wird
angenommen, dass die Ursprünge des Halloweenfestes etwa 4.000 vor Christus zu
suchen sind. Damals unterteilten die steinzeitlichen europäischen Tierhalter das
Jahr in zwei Teile. Was heute der 1. Mai ist, markierte jenen Zeitpunkt, an dem
die Tiere auf die Weiden geführt wurden. Um den letzten Oktobertag, wenn die
Nächte allmählich kälter ausfielen und länger andauerten, trieben unsere
Vorfahren ihre Schafe und Ziegen wieder in geschützte Stallungen. Etwa 2.300 v.
Chr. wanderten erste keltische Völkerschaften - vom Osten kommend - in Europa
ein. Etwa 350 vor der Zeitenwende erreichten die Invasoren Britannien und
Irland. Dort erhielten der Mai- und Oktoberfesttag die Namen Beltainne bzw.
Samhain. Im schottischen Gälisch (einer immer noch existenten keltischen
Sprache) bedeutet Samhain "Ende des Sommers". Im keltischen Kalender war es so
etwas wie das Neujahrsfest. Legenden zufolge wurden zu Samhain in Irland alle
Herdfeuer gelöscht und mit einem Span vom zentralen Feuer von Tlachtga, das von
Druiden ständig gehütet worden war, neu entfacht. Feuer als Symbol der
Reinigung, der Beendigung des Alten und des Beginns des Neuen.
In der
Vorstellung der Inselkelten taten sich zu Samhain (wie auch zu Beltainne) Risse
im Gewebe der Zeit auf, die den Lebenden Zugang nach Tir na n'Og, das Land der
Toten, ermöglichten. "Daher ist Samhain eine Nacht, die außerhalb der Zeit
existiert und die man nutzen kann, um einen hellseherischen Blick in andere
Zeiten zu werfen", erklärt Silver RavenWolf. Wichtig ist es, klarzumachen,
dass bei den keltischen Stämmen Zeit nicht als etwas Lineares betrachtet worden
war; sie wurde zyklisch verstanden; alle "Zeiten" existierten nicht nach-
sondern nebeneinander; wie auf einer Kreisbahn. Religiöse Konstrukte á la Himmel
und Hölle waren ihnen ursprünglich fremd, ebenso gab es keine Teufelsvorstellung
- all das sind Versatzstücke aus der Zeit nach der katholischen Missionierung.
Im Kosmos der Kelten existierten die Toten in einer anderen Ebene weiter. Zu
Samhain konnte man sie durch Beschwörungen um Gefallen bitten. Erfüllten sie
diese, half das ihrer weiteren Entwicklung in der Anderswelt. Allerdings, so
RavenWolf, sei es ratsam gewesen, nur bekannte und wohlgesonnene Verstorbene zu
kontaktieren.
Als die Christen im 5. Jahrhundert Irland missionierten,
geizten sie nicht mit der Verbreitung von Furcht und Propaganda. Schreine galten
plötzlich als "Götzenbilder", Ahnen als "Dämonen" und Gottheiten als "Teufel".
Alteingesessene Feste, die tief im Volk verankert waren, wurden einfach
ideologisch neu besetzt, ein Schicksal, das auch Samhain ereilte, das bald
Allerheiligen hieß. Eingeführt hatte Allerheiligen Papst Bonifaz IV., der am 13.
Mai 610 das römische Pantheon zur "Kirche der Heiligen Jungfrau und aller
Märtyrer" weihte. Im 7. Jh. verlegte Gregor III. diesen katholischen Festtag auf
den 1. November - eben um die "verstockten Heiden" von Samhain abzubringen (der
31.10. galt als Samhain-Nacht, der 1.11. als Samhain-Tag). 835 wurde
Allerheiligen unter Papst Gregor IV. offizieller Feiertag, aus dessen englischem
Namen All Hallows Eve sich "Halloween" entwickelte. Im 17. Jh. war die
ursprüngliche Bezeichnung Samhain bereits weitgehend in Vergessenheit geraten.
Allerdings begingen viele Briten und Iren das Fest immer noch mit Freudenfeuern,
anstatt - wie vom Klerus angeordnet - in Einkehr und Stille.
Interessant ist,
dass auch im antiken Rom am 1. November ein Erntedankritual begangen wurde - das
Fest der Pomona, zu Ehren der gleichnamigen Obstgöttin.
Von der
Anderswelt in die Neue Welt
Wenngleich Samhain in Europa durch
Allerheiligen verdrängt worden war, gewissermaßen in die Anderswelt
rutschte, wurde es durch Emigrantenscharen in Nordamerika als Halloween neu
belebt. Viele dieser Siedler waren vom alten Kontinent aufgebrochen, um der
religiösen Unterdrückung zu entfliehen. In der Neuen Welt sahen sie einen Platz,
ihren Glauben oder ihre Sitten auszuleben. Aus einer Vielzahl von irischen,
englischen, deutschen und nicht zuletzt indianischen Einflüssen nahm Halloween
allmählich Gestalt an. Vor allem in Pennsylvania, wo bis 1756 eine tolerante
Quäkerregierung das Sagen hatte, florierte das Fest; seine Ausprägungen waren
vom jeweiligen Lokalkolorit gefärbt. Vielerorts fanden sich die Gemeinden bei
Speis und Trank zum Erntedank zusammen. Trotz der christlichen Verbrämung lebten
Bräuche wie das Wahrsagen aus Nüssen oder Äpfeln fort (Nut Crack Night, Snap
Apple Night). Um 1870 entdeckte die Oberschicht der USA Halloween für sich;
es wurde gesellschaftsfähig. Und Amerika wäre nicht Amerika, wenn nicht bald ein
Halloween-Geschäftszweig erblüht wäre, der ab 1910 allerlei Paraphernalia
verhökerte. 1921 gab es in Minnesota und Pennsylvania die ersten Umzüge mit
Blaskapellen und Kostümgruppen.
Parallel zu Gemeindefeiern nahm auch die
sogenannte Mischief Night Gestalt an. In dieser Schabernacknacht wurden
Toilettenhäuschen umgestürzt, Gartentore ausgehängt, Fenster mit Farbe bemalt,
Kutschen demontiert und auf Scheunendächern wieder zusammengebaut oder Kühe an
Kirchglocken gebunden. Diese Streiche nahmen immer ärgere Ausmaße an: 1939
gingen z.B. im New Yorker Stadtteil Queens in der Devil's Night Tausende
Fensterscheiben zu Bruch. Im Süden der USA nutzte der rassistische Ku-Klux-Klan
Halloweenmaskeraden zu Übergriffen auf Afroamerikaner. Folglich gab es eine
Reihe von politischen Motivationen, das Fest gänzlich zu verbieten; nicht
zuletzt auch seitens christlicher Fundamentalisten, die in Halloween
Teufelsverehrung witterten. Eine rettende Idee brachten die Pfadfinder auf. Um
den Schabernack zu kanalisieren, schickten sie Kinder mit der Devise "trick or
treat" von Tür zu Tür, das hieß, entweder schenkten die Bewohner Süßigkeiten
oder es gab sprichwörtlich Saures. Zudem war in etlichen US-Bundesstaaten bis in
die 1930er-Jahre obdachlosen Jugendlichen (raggamuffins) zu Halloween
bzw. Thanksgiving (letzter Donnerstag im November) offiziell das Betteln
gestattet. Während des II. Weltkriegs galt das Fest wegen der Vandalismusgefahr
als "unpatriotisch".
Heutzutage ist Halloween aus dem Brauchtum der
Amerikaner kaum wegzudenken. Die vielleicht eindrucksvollste Parade am
Kürbiskopftag läuft im New Yorker Greenwich Village ab. Ohne Rücksicht auf
gesellschaftlichen Stand oder ethnische Herkunft versammeln sich am 31. Oktober
alljährlich über 100.000 Umzügler und fast dreimal so viele
Schaulustige.
Symbole
und Legenden
Wer wissen möchte, wie Halloween zu
schwarzen Katzen,
Raben, Vampiren,
Werwölfen, Hexen
oder den ausgehöhlten Kürbisköpfen kam, dem liefert Silver RavenWolf einige
interessante Erklärungen. Die Kürbislaterne etwa, auch Jack o’Lantern genannt,
basiert der Legende nach auf Jack, einem schottischen Tagedieb, der den Teufel
überlistete und weder im Himmel noch in der Hölle Einlass fand. Bis zum jüngsten
Tag soll er verdammt sein, mit einem glühenden Stück Kohle durch die Schattenwelt
zu wandern. Zu Halloween, wenn die Dimensionen sich verschieben, kann man ihn
sehen, heißt es. Übrigens verwendeten die Briten und Schotten ursprünglich Laternen
aus ausgehöhlten Rüben (punkies oder bogies bezeichnet), da der
Kürbis erst nach
der Entdeckung Amerikas bekannt geworden war. Der irische Brauch, zu Samhain
eine Kornpuppe (cailleach) anzufertigen, geht wiederum auf die rituelle
Beschwichtigung eines winzigen weiblichen Getreidegeistes zurück.
Wahrsagerei und Zauberei zu Halloween
Auf die einzelnen
Wahrsagetechniken soll hier nicht detailliert eingegangen werden, denn es gibt
ihrer - je nach persönlicher Vorliebe - eine Fülle. Dennoch darf man jungen
Damen einen althergebrachten Tipp wohl nicht vorenthalten. RavenWolf: "Wenn
sich ein Mädchen an Halloween zu Mitternacht vor den Spiegel stellt, sich ihr
Haar kämmt und dazu einen Apfel isst, wird sie das Gesicht ihres zukünftigen
Ehemannes über ihrer linken Schulter im Spiegel sehen." Für etwaige
unerwünschte Erscheinungen übernimmt der Rezensent keine Verantwortung
...
Wem der Sinn nach
Runenlesen
steht, der nehme einfach gründlich gewaschene und getrocknete Kürbiskerne zur
Hand, 24 an der Zahl, und beschrifte sie mit den einzelnen Symbolen des
Runenalphabets. Danach soll ein Segen erbeten und eine sorgfältig formulierte
Frage gestellt werden. Anschließend lässt man die Runen auf ein Brett fallen und
interpretiert die Zeichen gemäß ihrer tradierten Bedeutung. "Die Antwort, die
man empfängt, zeigt stets an, was am wahrscheinlichsten geschehen wird, wenn man
seinen gegenwärtigen Kurs beibehält" (im Zeitraum der nächsten sechs
Monate), erklärt die Autorin. Und weiter: "Die Antworten stammen aus dem
kollektiven menschlichen Unterbewussten und werden von der göttlichen Weisheit
gelenkt." Teufel und Dämonenscharen haben demnach ihre Klauen nicht im
Spiel. Ein weiterer kluger Rat der Wicca: "Entscheidend im Umgang mit der
Divination ist, dass wir uns nicht von ihr abhängig machen, nicht das ganze
Leben nach ihr ausrichten."
Faustischen Gemütern, denen eine Ahnung der
Zukunft nicht ausreicht, steht es offen, an Halloween aktiv Magie zu wirken.
Apfel-Liebeslichter, Heilender Liebeskürbis, Samhain-Schutzpulver,
Herbstbeschwörung, Halloween-Wunschkerze, Maispuppen, Zauberbeutel,
Erntemond-Ritual und vieles mehr erklärt das Buch
hilfreich.
Halloween-Hexenküche
Menschen, denen die Liebe
primär durch den Magen geht, wird kulinarisch beigestanden. Gemäß der
Wicca-Priesterin Silver RavenWolf sind Segensformeln für die Zutaten bzw. den
Kochvorgang selbst unerlässlich zum Gelingen der Köstlichkeit. Danach kann es
schon losgehen mit der Zubereitung von Allerseelen-Brot, Kürbiskuchen,
Wahrsage-Doughnuts, Wohlstands-Muffins, Hexentrank, Zauberpunsch oder schlicht
und einfach gerösteten Kürbiskernen. Die "Kandierten Liebesäpfel" würden wohl
jede Eva gewiss zum zweiten Sündenfall verleiten ...
Natürlich dürfen die
Toten zu Samhain nicht vergessen werden: Silver RavenWolf gibt Anleitung zur
Herstellung von Seelenlaternen, erklärt die Kesselwache und liefert Verse für
das Freudenfeuer. Halloween soll kein Tag der Trauer oder Angst sein, sondern
ein Fest der Fröhlichkeit, bei dem der Tod nur als Übergang, nicht als
Auslöschung verstanden wird. Eine sympathische Sichtweise, mittels derer aus den
flackernden Kürbisköpfen Hoffnung schimmern kann.
(lostlobo; 10/2004)
Silver RavenWolf: "Halloween - Feste &
Rituale"
Aus dem Amerikanischen von Thomas Görden.
Ullstein, 2004. 224
Seiten.
ISBN 3-548-74142-8.
ca. EUR 9,20.
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Lien:
https://www.silverravenwolf.com/(in
englischer Sprache)
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