Klaus Hoffmann: "Otto Hahn"
Forschung und Verantwortung
"Ich habe doch nur meine wissenschaftliche Pflicht getan"
Beim Schlendern über die Frankfurter Buchmesse entdeckt man wirkliche
Juwelen oft bei regionalen Verlagen, und manche davon sind wie das vorliegende
Buch von überregionalem Interesse.
Dieser
Band aus der Reihe "Mäzene, Stifter, Stadtkultur" zweier Frankfurter
Stiftungen wurde zum 125. Geburtstag Hahns realisiert und füllt eine Lücke,
denn brauchbare Hahn-Biografien sind rar geworden. Und das Buch geht weit über
das rein Biografische hinaus; der Autor zeigt sehr deutlich auf, wie groß die
Verantwortung des Forschers ist, der vor einer Entdeckung steht. Oft kann er
nicht wissen, ob er einen Durchbruch für die Lebensqualität des Menschen
bewirken wird oder aber die Büchse der Pandora in Händen hält. Hahn, der in
jungen Jahren politisch indifferent war und später zu einem engagierten Gegner
der militärischen Nutzung der Kernkraft wurde, ist ein hervorragendes Beispiel
für den Zwiespalt, mit dem Forscher leben.
Otto Hahn wurde 1879 in Frankfurt am Main geboren. Er studierte in Marburg und München
bei bedeutenden Lehrern Chemie und wollte eigentlich Industriechemiker werden.
Ein Aufenthalt bei Ramsay in London stellte die Weichen anders; Ramsay ließ
Hahn an der Erforschung der Radioaktivität arbeiten und schickte ihn zu
Rutherford nach Montreal, wo er sich auf diesem Gebiet bereits einen Namen
machte. Ab 1906 arbeitete Hahn an der Berliner Universität, lange unter
primitivsten Bedingungen in einer ehemaligen Holzwerkstatt. 1907 begann die über
30 Jahre währende und überaus fruchtbare Zusammenarbeit mit der österreichischen
Physikerin Lise Meitner. 1910 erhielt Hahn sein Professorenpatent.
Im Ersten Weltkrieg musste sich Hahn peripher an der Fertigung von Gasgranaten
beteiligen, deren Einsatz er verabscheute. Während der
Weimarer Republik war er
dank seines internationalen Renommees immer in vorderster Front bei der
Erforschung der Radioaktivität dabei. Dass Deutschland einen unheilvollen Weg
ging, begriff er erst, als nach 1933 viele Kollegen, die Juden oder anderweitig
missliebig waren, zur Emigration gezwungen wurden. Wie auch Heisenberg und Carl
Friedrich von Weizsäcker versuchte er gelegentlich passiven Widerstand. 1938
verhalf er mit Freunden Lise Meitner zur Flucht nach Schweden. Im Dezember 1938
wiesen Hahn und sein Mitarbeiter Straßmann auf chemischem Wege die Uranspaltung
nach - ein regelrechter Wissenschaftskrimi, an dem auch Lise Meitner im Exil
beteiligt war.
Der Kriegsausbruch isolierte
die deutschen Wissenschaftler. Die hochkarätigsten
unter ihnen, "verdünnt" mit regimetreuen Kollegen, wurden zur Entwicklung einer
Atombombe bestimmt. Bekanntlich erreichten sie dieses
Ziel aus verschiedenen Gründen nicht einmal annähernd - und diejenigen mit kritischem
Verstand wie zum Beispiel Hahn,
Heisenberg, v. Laue und
v.
Weizsäcker wollten es auch gar nicht -, stattdessen investierten die USA
erfolgreich in die Atombombenforschung, angetrieben durch Bluffs der Nazipropaganda
und den Brief
Einsteins
an den Präsidenten.
Als die Hiroshima-Bombe gezündet wurde, waren Hahn und neun bedeutende deutsche
Atomforscher-Kollegen als Kriegsgefangene in der Nähe von Cambridge interniert.
Hahn erlitt tiefe
Depressionen und empfand als Entdecker der Uranspaltung eine
Mitschuld. "Ich habe doch nur meine wissenschaftliche Pflicht getan",
lautete seine verzweifelte Rechtfertigung. Ende 1946 erhielt er den Nobelpreis,
der ihm eigentlich schon 1944 zugesprochen worden war. In Deutschland wurde er
immer wieder angefeindet: Man unterstellte ihm, er habe Entdeckungen an die
Amerikaner weitergegeben, und der Nobelpreis sei ein Judaslohn dafür.
Während der Adenauer-Zeit engagierte sich Hahn, entsetzt vom atomaren Rüstungswettlauf,
mit etlichen Kollegen unerschrocken für die Abkehr von den Kernwaffen. Er bewies
erstaunliche Weitsicht, wenn er etwa die Weitergabe von Atomwaffen durch die
Großmächte an andere Staaten verurteilte. "Ein kleiner Hitler irgendwo auf der
Welt könne die Menschheit ins Verderben stürzen."
Bis zu seinem Tod 1968 stellte
sich Hahn seiner Verantwortung und unterstützte und initiierte Projekte zur
Abrüstung.
Am Schluss des Buchs finden sich eine Zeittafel, ein ausführliches
Personenregister und ein Verzeichnis der wichtigsten Quellen.
Das Buch ist trotz des hohen Anspruchs in einem angenehmen, erzählerischen Stil
allgemeinverständlich verfasst und wird an keiner Stelle langweilig. Der Autor
vermittelt die Spannung beim Wettlauf um maßgebliche Entdeckungen, die harte
Konkurrenz, aber auch die Solidarität nationaler und internationaler Forscher.
So packend die Biografie geschrieben ist, es fehlt nicht an Eindringlichkeit in
den Abschnitten, die sich dem Aspekt der Verantwortung widmen. Hierbei stehen
oftmals Originalzitate im Vordergrund, mittels derer sich dem Leser Hahns
integrer Charakter ganz unmittelbar erschließt.
Der Aufbau orientiert sich meistens an der Chronologie. Rück- und Vorausblenden
zum Beispiel bei der Einführung bedeutender Persönlichkeiten führen nie zum
Verlust des "roten Fadens".
Zahlreiche
Fotos und Originalschriftstücke ergänzen die Biografie. Überhaupt ist die
zwar schlichte, aber qualitativ hochwertige Aufmachung zu loben; wenn ich etwas
bemängeln müsste, könnte ich allenfalls auf das Fehlen einer Kurzbiografie
des Autors hinweisen.
Ein rundum bemerkenswertes Buch, das in keiner Schul- und Universitätsbibliothek
fehlen sollte und auch dem Nicht-Naturwissenschaftler ans Herz gelegt sei:
"Ohne Wissen bleibt eine Berufung auf das Gewissen sentimentales Geschwätz."
(Max Steenbeck, Atomphysiker - S. 224)
(Regina Károlyi; 11/2005)
Klaus Hoffmann: "Otto Hahn"
Verlag Waldemar Kramer, 2005. 240 Seiten mit 47 einfarbigen Abbildungen.
ISBN 3-7829-0560-1.
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