Ulrich Häussermann: "Mit Mozart in Prag.
Eine Erkundung"
Wie der
große Zagreber Germanist Viktor Zmegac in den 80er Jahren die deutsche Literaturgeschichte
umschrieb, indem er sie aus der Perspektive der Donauländer heraus neu bewertete,
versucht Häussermann in seinem Büchlein "Mit Mozart in Prag" die Persönlichkeit
Mozarts aus dem künstlerischen Mittelpunkt Prags heraus zu verstehen und zu würdigen,
und zwar im Geiste Eduard Mörikes, zu dessen umfassendem Mozart-Verständnis der
Autor sich immer wieder in tiefer Verehrung bekennt.
Die Präposition im Titel
setzt den entscheidenden Akzent: Nicht "Mozart in Prag", sondern "Mit Mozart in
Prag", weil dem Verfasser sehr daran gelegen ist, den Leser in seine eigene Mozart-
und Prag-Begeisterung einzubeziehen - eine Absicht, die man als rundum gelungen
ansehen kann. Der bescheidene Untertitel "Eine Erkundung" enthüllt sich rasch
als sympathische Untertreibung, denn es handelt sich keineswegs um einen flüchtigen
Spaziergang durch das Prag der Mozartzeit oder eine bloße Spurensuche in der Gegenwart.
Häussermann
unternimmt tiefgründige, aber nie langweilige Streifzüge durch viele Wissensbereiche
- Theater-, Literatur- und Musikgeschichte, Religion, Philosophie, Sozialgeschichte,
Politik, Medizin usw. -, die dazu beitragen, den Genius Mozarts und Mozarts Lebensumstände
zu erhellen.
Auf der Grundlage umfangreicher Quellen- und Vorort-Studien gelingt
ihm ein pralles Zeit- und Persönlichkeitsbild. Er räumt auf mit manchen Legenden
und Klischees, vermeidet aber neue radikale Thesen. Umsichtig, doch nie unentschlossen,
wägt er die Quellen und Forschungsmeinungen ab, bevor er seine eigene Überzeugung
formuliert.
Das
Büchlein weckt Lust darauf,
nach Prag aufzubrechen, um die vielen erwähnten Straßen
und Stätten aufzusuchen, die Mozart selbst betreten hat.
Nicht zuletzt liegt
das an der Klarheit der Häussermannschen Sprache (und in der Klarheit liegt Schönheit),
dass Lese- und Reisefieber den Leser packt. Manche noch so sorgfältig recherchierten
Biographien leiden ja leider unter der Unzulänglichkeit der sprachlichen Darstellung.
Nicht so die Häussermanns. Ohne alle Effekthascherei, schnörkellos, aber nie glatt,
ist seine Sprache ein in der heutigen Zeit selten gewordener Lesegenuss. Für mich
ein überzeugendes Beispiel guten Stils.
Eine
besondere Stellung nimmt das Schlusskapitel "Mörikes Mozart" im Buch ein - eine
tiefgründige Hommage an Mörikes
Mozartverständnis, mit dem er den meisten Zeitgenossen weit voraus
war, und an dessen Meisternovelle "Mozart auf der Reise nach Prag". Häussermanns
Interpretation der Novelle gereicht den besten Germanisten zur Ehre.
Mit diesem Buch wurde mehr als ein Sachbuch vorgelegt. Auf mich wirkt es wie ein
persönliches Vermächtnis des Autors, dem die Liebe zum Gegenstand die Feder führte
und nicht so sehr der Wunsch nach Revision bisheriger Forschungsergebnisse. Er
fasst zusammen und führt zusammen, was ihm in seinem eigenen Leben viel bedeutete,
und das unaufdringlich, fast unmerklich, dennoch unübersehbar. Trotz aller Rücknahme
der eigenen Person entsteht auch ein Persönlichkeitsbild des Autors selbst: seiner
Vorlieben, seines weit verzweigten und nie vereinzelten Wissens und - ich scheue
mich nicht, das große Wort auszusprechen - seiner Weisheit.
"Mit Mozart
in
Prag" ist ein wunderbares Geschenk an alle
Freunde Mozarts und Prags. Wer noch
nicht dazu zählt, könnte nach der Lektüre des Buches dazu werden.
Man hätte
dem als preiswerte Taschenbuchausgabe im Aufbau Verlag Berlin erschienenen Bändchen
eine dem Inhalt angemessenere Hülle gewünscht. So bleibt die Hoffnung, dass der
prachtvolle Inhalt um so schöner zur Geltung kommt, wenn keine Äußerlichkeiten
von ihm ablenken. Ich möchte dem Autor und seinem Buch viele viele Leser wünschen.
(Diethelm Kaminski, Köln 25.08.2002)
Ulrich Häussermann:
"Mit Mozart in Prag. Eine
Erkundung"
Aufbau Taschenbuch
Verlag, Nr. 8091, Berlin 2002
256
Seiten
ca. EUR 7,50. Buch bestellen