Eugen Drewermann: "Leise von Gott reden"

Meditationen


Wenn Gott für uns ist, wer ist dann wider uns?
(Paulus, Röm)

Wer den streitbaren Theologen Eugen Drewermann kennt bzw. seine Schriften studiert hat, der kann und wird von seinen Meditationen nicht überrascht sein. Was den Autor kennzeichnet, ist die poetische, eindrucksvolle Sprache, durch die er einen "Wiedererkennungswert" besitzt. Neuen Entdeckern von Drewermann bleiben nur zwei Möglichkeiten: Seine Schriften zu lesen und tief in die Abgründe des Christentums zu sehen, oder aber dagegen anzukämpfen, und weiter an den Dogmen und Riten festzuhalten, welche der katholische Katechismus bereithält oder aber in atheistischer bzw. agnostischer Geisteshaltung zu verharren.

Drewermann hat einen einzigen Auftrag: Die wunderbaren Seiten des Christentums aufzuschlagen, und die tiefenpsychologischen Schichten dieser Religion behutsam an die Oberfläche zu befördern. So auch bei seinen Meditationen.

Der Glaube kann wahrlich Berge versetzen. Was oft ins Unterbewusstsein gerutscht ist, kann wieder in der Seele Einzug halten, und dann ist die göttliche Stimme in jedem Menschen hörbar. Der winzige Satz von Paulus, der den Beginn seiner "Bekehrung", welche in seinem Brief an die Römer (8, 31 b - 34) verdeutlicht ist, darstellt, vermag das Herz zu beschwingen.
Die äußerliche Welt kann bedrohlich, grauenhaft, despotisch, brutal autoritär erscheinen und die Seele des Menschen in Ketten legen. Er fühlt sich schwach und ausgeliefert. Es gibt nur einen Weg, diesen Wahnsinn überstehen zu können bzw. dem etwas entgegen zu setzen. Und das ist der Glaube mit allen seinen Konsequenzen.
"Wenn Gott für uns ist, wer ist dann wider uns?" Fürwahr; die Ketten brauchen nicht in einem fort zu scheppern, der Kerker menschlicher Abgründe muss sich nicht fortdauernd als einzige Alternative behaupten, die das Leben zu bieten hat. Dieser Satz des Paulus verhält sich in gewisser Hinsicht ähnlich wie jener von Dostojewski, der da lautet: "Wenn Gott nicht existiert, ist alles erlaubt." Es sind zwei Perspektiven, die jedoch ein und dieselbe Aussage in sich bewahren: Entweder Gott ist eine "Erfindung" des Menschen und dient nur der Beruhigung des Herzens, das ansonsten in Angst und Schrecken eingebunden ist, oder aber Gott ist eine Erkenntnis, welche sich in der menschlichen Seele manifestiert und zu einer Erweiterung des Bewusstseins von der Welt, von den Menschen, von der Schöpfung, von Leben und Tod führt.

Gott kann rational nicht begriffen werden. Dagegen will Drewermann auch gar nicht ansprechen. Aber es kann so gesehen werden: Wer Jesus als Vermittler zwischen Gott und Menschen betrachtet, dem erschließt sich die Möglichkeit, im tiefsten Dickicht der Seele eine Ahnung von der göttlichen Spur zu erschauen, die in allen Menschen und allen sonstigen Geschöpfen angelegt ist. Der Mensch aber kann Kraft seiner Selbstreflexion als einziges Lebewesen diese Möglichkeit bewusst als Glauben manifestieren.

Drewermann spricht auch andere Religionen und deren Vorzüge an. Doch das Christentum mit Jesus als dessen Zentrum mag diese göttliche Botschaft, welche wir Menschen allesamt empfangen können, wenn wir uns nicht dagegen sträuben, besonders eindrucksvoll vermitteln. Das Problem, das der Theologe immer wieder anschneidet, ist freilich die Diskrepanz zwischen Jesus und der (insbesondere katholischen) Kirche. Es gilt Jesus für sich selbst zu entdecken, und nicht bloß die "Glaubensformeln" nachzusprechen, welche von allerlei "frommen" Menschen alle Tage intoniert werden. Die menschliche Seite Jesu kann dem suchenden Christen als Vorbild dienen, woran er seine spirituelle Entwicklung (auch) abzulesen vermag.
Manche Menschen werfen Drewermann einen "missionarischen" Charakter vor. Tatsächlich ist es möglich, seine Position als eigens "kreierte" Glaubensvorstellung zu sehen. Allerdings geht es immer auch darum, die Wahrheit zwischen den Zeilen zu erkennen. Wie Worte interpretiert werden, oder ob sie wahrlich etwas im Inneren des Menschen zur Blüte bringen können, welches so lange verschüttet war, ist immer eine individuelle Entscheidung des Hörenden oder Lesenden. Er kann davon angetan sein, oder nicht. Für Drewermann ist es wichtig, dem Menschen die Botschaft Jesu nahe zu bringen, und die unglaubliche Konsequenz, die sie für uns Menschen haben kann.

Eugen Drewermann meditiert auf unterschiedlichste Passagen der Bibel. Es ist besonders eindrucksvoll, dass er etwa
Thomas und Johannes nicht gegeneinander ausspielt, sondern beide Möglichkeiten der Glaubenserkenntnis zulässt. Drewermann weiß ganz genau, dass es viele Menschen gibt, die nur vom Unglück verfolgt zu sein scheinen und es sehr schwer haben, unter diesen Umständen zum Glauben zu finden. Doch gerade diese Unglücklichen vermögen es, mit besonderer Kraft zum Glauben zu gelangen und ihn zu nähren. Das Leid (siehe Paulus) ist eine besondere Herausforderung, an der Menschen wachsen können. Nichts Anderes vermittelte Jesus mit seinen Worten und Taten. Drewermann möchte dies seinen Lesern nahe bringen: Wer die menschliche Seite Jesu in Gleichzeitigkeit erkennt, vermag es, Berge zu versetzen.

(Jürgen Heimlich; 09/2005)


Eugen Drewermann: "Leise von Gott reden"
Patmos, 2005. 147 Seiten.
ISBN 3-491-50109-1.
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