Kiran Desai: "Der Guru im Guavenbaum"
Eine Stadt irgendwo in Indien, in der, wenn nicht doch einmal etwas passiert, alles so ist, wie es immer ist. Für den Helden des Romans bedeutet dies einen Beamtenjob, bei dem noch weniger zu tun ist als bei einem vergleichbaren in - sagen wir - Österreich. Aber der Held will diesen Job nicht und er will auch keinen anderen Job, denn - man ahnt es vielleicht schon - er will überhaupt keinen Job. Von dieser wahrhaft erleuchteten Erkenntnis gestärkt findet er schließlich den ihm gemäßen Platz im Geäst eines Guavenbaums außerhalb der Stadt, von wo aus er glücklich - weil frei - die tausendundein (wenn nicht mehr) ihn umgebenden Lebewesen, Bilder und Gerüche wahrnimmt und bestaunt.
Doch - ach! Seine Familie und im weiteren Verlauf fast alle Einwohner der Stadt verfolgen ihn; und da die Geschichte in Indien spielt, kommt er nicht etwa nach Steinhof, sondern wird stattdessen zum Heiligen erklärt und gerät solchermaßen, als ideale Projektionsfläche für die Ängste, Sehnsüchte, Frustrationen und Leidenschaften der Stadtbewohner, schlagartig zum Zentrum eines bunten, chaotischen Treibens.
An der Periferie desselben aber tummeln sich: ein etwas aus der Art geschlagener, auf die Vermarktung seines Sohnes versessener Heldenvater; ein verkappter Spion der Atheistischen Gesellschaft (A.G.) und Mitglied des Vereins zur Aufspürung betrügerischer Heiliger Männer (V.A.B.H.M); ein im Falle von sie zu freundlich anblickenden Männern erbarmungslos von ihrer Haarnadel Gebrauch machendes Mädchen; ein weil noch mehr Freizeit anstrebender auf seine Degradierung hinarbeitender Polizeidirektor; heiratsfähige Töchter mit heller Hautfarbe oder zumindest einem Kühlschrank als Mitgift; Gebisshändlerinnen; eine an sich reizende, bedauerlicherweise aber zu Alkoholexzessen neigende Affenschar und viele, viele mehr.
Und da dieser Reichtum an Satire, Fantasie und Humor auch von einer klugen und tiefsinnigen Symbolik zusammengehalten wird, fühlt man sich bei der Lektüre bisweilen wie der Held in seinen heitersten Momenten.
(fritz)
Kiran Desai: "Der
Guru im Guavenbaum"
251 Seiten
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