Christine Dössel: "Klaus Maria Brandauer"

Die Kunst der Verführung


Der Tiefseelenfischer

Christine Dössel hat ein glaubhaftes Bild des charismatischen Österreichers in "Klaus Maria Brandauer. Die Kunst der Verführung" gezeichnet.

Ein ehrliches Buch wollte Christine Dössel schreiben und zwar über einen Mann, der allgemein als "Österreichs Schwieriger", als "Diva", als egomanisch, eitel, arrogant und selbstverliebt gilt. Und vor allem am Anfang war es wohl "nicht immer vergnüglich" und eher schwierig mit ihm: dem Klaus Stengl, wie er mit gebürtigem Namen heißt.

Natürlich trägt auch er seinen Teil zu diesem (Vor)Urteil bei, wenn er seinen Gegenüber manchmal rüde herablassend oder fast beleidigend behandelt.

Doch nach dem ersten sollte man auf jeden Fall noch einen "zweiten Blick werfen", meint die Autorin. Denn hat man Klaus Maria Brandauer (KMB) erst einmal näher kennengelernt, "weiß man ihn als Gesamtkunstwerk zu schätzen: als Künstler wie als Mensch ... mit all seinen Anfällen, seiner Streitlust, seiner Besessenheit und Liebessucht. Mit seiner Intelligenz, mit der er sofort Witterung aufnimmt, wenn ihm etwas gegen den Strich zu laufen droht."

Herausgekommen ist ein flüssiges, sehr gut recherchiertes und leicht lesbares Lebenswerk, über die - das gesamte Jahr 2006 täglich zu hörende und so "herrlich" klingende - "Stimme Wolferls".

Doch nicht nur sein Beitrag zum Mozartjahr - die in den Kulturradios der ARD und des Schweizer Radios DRS 2 täglich ausgestrahlten Lesungen aus Mozarts Briefen - sondern vor allem seine Filme, allen voran der Megaerfolg des oscargekrönten MEPHISTO, aber auch JENSEITS VON AFRIKA oder sein James-Bond-Bösewicht Largo in SAG NIEMALS NIE, haben ihn einem breiten Publikum bekannt gemacht.

Sein oder Nichtsein

Seine wahre Liebe galt und gilt jedoch immer noch der Theaterschauspielerei, die auch den Grundstein seiner Karriere ist.

Christine Dössel beginnt ihre Biografie mit einem ausführlichen Kapitel über "Brandauers Lebensweg mit Hamlet" - der Traumrolle jedes Schauspielers. Den dänischen Königssohn aus Shakespeares Feder verkörperte KMB 1985 am Wiener Burgtheater und führte am selben Ort im Jahr 2002 Regie.

Die Autorin befasst sich detailliert mit all seinen Bühnenrollen (u. a. EMILIA GALOTTI, BACCHUS, JEDERMANN, WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?, CYRANO VON BERGERAC). Aber auch seine "Seitensprünge" mit dem Fernsehen und die 2006er Inszenierungen des LOHENGRIN in Köln und der DREIGROSCHENOPER in Berlin finden ausführliche Besprechung.

Dazwischen kommen immer wieder Schauspielerkollegen und auch KMB selbst in Interviews zu Wort. Zahlreiche Pressekritiken runden das Ganze ab.

Neben einigen z. T. farbigen Abbildungen findet der Leser am Ende des Buches eine kurze Zusammenfassung aller Lebensdaten und ein komplexes Verzeichnis der Inszenierungen, in bzw. an denen Brandauer mitgewirkt hat.

Der österreichische James Dean

Klaus Maria Brandauer, geboren am 22. Juni 1943 im österreichischen Altaussee und aus einfachen Verhältnissen stammend - die Mutter Österreicherin, der Vater ein deutscher Zollbeamter - ist stolz darauf, dass er nie "das Geschöpf von jemand anderem, nie der Ziehsohn oder Nachfahre eines künstlerischen Übervaters" war.

Auf Grund seines Charismas, seiner Strahlkraft und seiner außerordentlichen Begabung hat er es so weit gebracht. Und "womöglich ist es dieses Schwindel erregende Ich-Bewusstsein eines absoluten Autodidakten, das Brandauer mitunter zu Kopf steigt und sicherlich auch manchmal berauscht."

Die Zahl der Rollen, die er ablehnt, überschreitet die, die er annimmt, um ein Vielfaches. Schon zu Beginn seiner Kariere steigt er in Tübingen mitten in der Spielzeit aus einem Zweijahresvertrag aus, als man ihn mit einer "Nicht-der-Rede-Wert-Rolle" versieht: "Ich bin nicht Schauspieler geworden um unauffällig zu sein, sondern um auffällig zu sein", lautet seine Maxime.

"Brandauers Charisma und der Kult, den er damit treibt, ist das Geheimnis seines Erfolges wie seines Misserfolges. Seine Begabung - nämlich sein Talent, zu wirken - ist zugleich seine Gefährdung - nämlich die Verführung, wirken zu wollen", schrieb "Die Zeit".

In "Klaus Maria Brandauer. Die Kunst der Verführung" zeichnet Christine Dössel ein schlüssiges Bild eines humorvollen, freien Geistes, der nicht nur das Talent hat, andere zu unterhalten, sondern auch zuhört, "der sich nicht, wie ihm gerne unterstellt wird, nur für sich selbst interessiert, sondern sehr wohl auch für andere. Ein Mensch der nachfragt, sich kümmert, ein offenes Ohr hat für Schüler, Kollegen und Freunde."

Brandauer ist in seiner Natur- und Selbstbelassenheit ein ungeschminkter Künstler par excellence, und Christine Dössel hat es wohl auf den Punkt gebracht:
Er "ist eine schillernde Persönlichkeit. Und das Beste an ihm: Er ist authentisch."

(Heike Geilen; 07/2007)


Christine Dössel: "Klaus Maria Brandauer. Die Kunst der Verführung"
Residenz Verlag, 2006. 366 Seiten.
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Christine Dössel, geboren in Pegnitz, besuchte nach einem Volontariat beim Ring Nordbayerischer Tageszeitungen in Bayreuth die Deutsche Journalistenschule in München. an der sie seit 1997 selbst unterrichtet. Studium der Theaterwissenschaft, Politik und Philosophie ebenfalls in München. Seit 1990 arbeitet sie als Kulturjournalistin und Theaterkritikerin bei der "Süddeutschen Zeitung". Sie schreibt für "Theater heute" und andere Zeitschriften und lebt in München.