Jakob Arjouni: "Chez Max"


"Chez Max" ist der Name eines kleinen aber feinen Restaurants im elften Pariser Arrondissement. Max Schwarzwald, der Inhaber des Restaurants, stammt aus Deutschland, und so kocht er "cuisine allemande" - mit wechselndem Erfolg. Auch in seiner Nebentätigkeit, für die ihm seine Restaurantbesitzerexistenz eigentlich nur als Deckmantel dient, ist er in letzter Zeit nicht sehr erfolgreich.

Als sogenannter Ashcroft-Mann ist er mit vielen Anderen dafür zuständig, seiner Behörde alle möglichen Vorbereitungen für Verbrechen und andere Abweichungen, z.B. Rauchen (!), in einer Gesellschaft zu melden, die Arjouni wohl mit Absicht im Bewusstsein der Leser mit George Orwells "1984" in Verbindung bringen will.

"Der Name Ashcroft ging auf einen der letzten US-amerikanischen Justizminister zurück. Dafür, dass erst die Euro- und dann auch die Asia-Security ihre Präventivabteilungen ausgerechnet nach einem amerikanischen Politiker benannt hatten, der nach seiner Amtszeit von 2001 bis 2005 relativ schnell in Vergessenheit geraten war, gab es zwei Gründe. Erstens hatte man einen Namen gesucht, der den Beginn der Bemühungen um eine neue Weltordnung symbolisierte, als deren Geburtsstunde der 11. September 2001 galt. Zweitens war die Wahl eines US-amerikanischen Namenspatrons ein Tribut an das ehemals mächtigste Land der Welt, dem unsere Gesellschaft zweifellos viel verdankte."

Wir schreiben das Jahr 2064. Nach etlichen Kriegen hat sich die Welt geteilt: Der euroasiatische und nordamerikanische Teil der Welt ist vom Rest durch einen 60 000 Kilometer langen schwer bewachten Zaun getrennt. Die Länder im Süden, Sammelbecken von Fanatikern und Terroristen, dienen als Rohstofflieferanten, wie zu seligen Zeiten des Kolonialismus und stellen auch viele Produkte für die wohlhabenden Länder nördlich des Zauns her. Die USA sind irgendwann um 2030 herum finanziell kollabiert, weil sie sich durch ihre vielen Kriege im Irak und anderswo volkswirtschaftlich ruiniert hatten. Der ganze Kontinent ist, von Eurasien quasi aufgekauft, wieder zu einem reinen Agrarland geworden, das die anderen mit Nahrungsmitteln beliefert. Israel und Palästina haben eine Sonderrolle in dieser Neuen Weltordnung:
"Es gehörte in der Euro-Security zu den offenen Geheimnissen, dass die euroasiatische Führung in Absprache mit der US-amerikanischen Übergangsregierung während der Befreiungskriege ganz bewusst den Israel-Palästina-Konflikt ungelöst gelassen hatte, um später etwas zu haben, das man der eigenen Bevölkerung als Ventil anbieten konnte, wenn das Bedürfnis nach politischem Engagement übergroß werden sollte. So kam es, dass am Ende der Kriege nicht nur Israel, sondern auch die palästinensischen Gebiete der euroasiatischen, nordamerikanischen Welt zugeschlagen wurden ... Dabei achtete man streng darauf, dass sich in der öffentlichen Wahrnehmung am bewährten Bild von den mächtigen jüdischen Unterdrückern einerseits und den palästinensisch-arabischen Freiheitskämpfern nichts änderte."

Max Schwarzwald arbeitet im Team mit Chen Wu, einem Chinesen mit einem großen Mundwerk, der sprachliche und politische Tabus ungestraft brechen kann (z. B. den Süden und den Zaun überhaupt zu erwähnen - bzw. die Zustände dort) und sich auch sonst alles herausnimmt, weil er bei der Ashcroft-Organisation große und spektakuläre Erfolge aufweisen kann. Viele Menschen hat er schon ans Messer geliefert.
Max' Bilanz hingegen ist dürftig. So ergreift er schnell die Gelegenheit, als Chen Wu Schwächen zeigt, und versucht, sich seines Partners zu entledigen.

Jakob Arjouni ist dem Stil seiner früheren Romane treu geblieben. Hinter einer bleibenden, unideologischen Systemkritik blitzt seine intelligente Ironie, die manchmal herrlich naiv erscheint und dennoch tiefschwarz daherkommt.

"Chez Max" ist ein in die Zukunft verlagertes Buch über Europa, über die Angst vor Überfremdung, und es führt in satirischer Weise in der Tradition Aldous Huxleys gegenwärtige Tendenzen der Abschottung und des Fremdenhasses innerhalb des "Kampfes der Kulturen" weiter und treibt diese auf eine ironische Spitze.

Deshalb bleibt einem beim Lesen das Lachen im Hals stecken. "Chez Max" ist ein Buch über den 11. September 2001 und eines der besten, die der Rezensent gelesen hat, denn es zeigt in intelligenter und gleichzeitig sehr unterhaltsamer Weise, wohin gegenwärtige Entwicklungen führen könnten und eröffnet die erschreckende Einsicht, wozu Menschen im Namen einer angeblichen Freiheit heute schon fähig sind und morgen erst recht fähig sein werden.

Das Buch ist anspruchsvolle, gute Lektüre und erschreckende Zukunftsvision zugleich.

(Winfried Stanzick; 10/2006)


Jakob Arjouni: "Chez Max"
Diogenes, 2006. 221 Seiten.
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Hörbuch:
Diogenes, 2006. 4 CDs. Ungekürzte Autorenlesung.
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Ein weiteres Buch des Autors:

"Der heilige Eddy"

Was für ein dummer Zufall: Ausgerechnet vor Eddys Wohnungstür gerät der derzeit meistgehasste Mann Berlins ins Stolpern - der Imbissbuden-Millionär und Heuschreckenkapitalist Horst König. Denn das Letzte, was Eddy, ein sympathischer Trickbetrüger, der sich mit dem Ausnehmen betuchter Leute ein Leben als Musiker samt bürgerlicher Fassade im linksalternativen Kreuzberg finanziert, gebrauchen kann, ist die Aufmerksamkeit der Polizei. So wenig wie die von Königs Leibwächtern, die draußen auf ihren Chef warten. Zwar weiß sich Eddy zunächst zu helfen, doch dann gerät die Geschichte außer Kontrolle. Der Fall Horst König wird zum Berliner Medienereignis und dessen Familie zum Freiwild für Boulevardjournalisten. Eddy plagt das schlechte Gewissen, und gerne würde er sämtliche Missverständnisse aufklären. Am liebsten gegenüber Königs schöner und exzentrischer Tochter Romy ... (Diogenes)
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