Renate Burger / Keyvan Davani: "Schwarzbuch Zigarette"
Rauchen gefährdet Ihr Bewusstsein
Über
die Schädlichkeit des Rauchens gibt es in unseren Tagen
bereits eine Überfülle an Lesestoff. Und ob jetzt in
Buchform oder in Gestalt von Aufklärungsbroschüren,
die Flut an einschlägigen Schriften ist nicht mehr zu
überblicken und rührt, trotz aller Krassheit
gewählter Ausdrucksformen, auch kaum mehr ans Gemüt.
Meist steht nicht viel Anderes darin als die Wiederholung des ewig
Gleichen, und wer trotzdem raucht, weiß sowieso
längst worauf er sich mit seinem Laster einlässt.
Weil dass es ein Laster wider die eigene Gesundheit und wider das
Wohlbefinden der Umwelt ist, wird gewiss jedermann schon bewusst sein,
der zum Glimmstängel greift, um sich das giftige Rauchgemisch
herzhaft in die Lunge einzusaugen.
Das Autorenpaar Burger und Davani beschreitet nun einen
gänzlich neuen Weg der Aufklärung und das, so wird es
bei der Lektüre ihres Buches bald gewahr, wohl nicht nur aus
bloßer Einsicht um die Vergeblichkeit einer jeden weiteren
konventionellen Maßnahme zur Bewusstseinsbildung. In ihrem
Text geht es primär nicht um den so genannten blauen Dunst,
sondern um eine substanzielle Wahrheit dahinter. Wie wir von
anderen
Schwarzbüchern her schon wissen, handelt es sich
hierbei um eine Gattung Buch, die zu dem Zweck geschaffen ist, mehr
oder weniger verdeckte und jedenfalls üble Machenschaften
anonymer Organisationen publik zu machen. So auch in diesem Fall, wo es
um die Machenschaften der Tabakindustrie geht, aufgeblättert
anhand einer Fülle interner Dokumente, die erst über
Gerichtsprozesse in den USA an das Licht der Öffentlichkeit
gelangten und das erschütternde Bild einer skrupellosen
Geschäftemacherei zeichnen.
Mit harten Bandagen geht es zur Sache. Der Leser will aus dem Staunen
nicht mehr herauskommen, wenn er an einer Stelle liest wie ein
leitender Mitarbeiter der Zigarettenmarke R.J. Reynolds ohne viel
Genierer zum Besten gibt: "... Wir rauchen den Scheiß nicht,
wir verkaufen ihn nur. Dieses Recht behalten wir den Jungen, den Armen,
den Schwarzen und den Dummen vor." Und an anderer Stelle vernimmt er
aus dem Mund des von der Tabakindustrie beschäftigten
Wissenschafters Jeffrey Wigand jene unfassbare Geschmacklosigkeit: "Wir
müssen sie jung süchtig machen und zwar fürs
ganze Leben." Wenig davon war bis dato bekannt und schon gar nichts
belegt. Es handelt sich um Zeugenaussagen oder um gerichtlich
erzwungene Offenlegungen vertraulicher Dokumente. Natürlich
durfte man auch bisher davon ausgehen, dass bei einem so
gefährlichen, wenn nicht sogar tödlichen
Konsumartikel wie der Zigarette seitens der Produzenten eine
gehörige Portion Zynismus mit im Spiel sein musste. Man
vermutete einiges, doch bestand ein Mangel an Beweisen, was den
Konzernherren ihr Spiel leicht machte.
Was man jedoch nicht einmal erahnen konnte, war, wie weit die weltweite
Lobby- und PR-Arbeit der Tabakindustrie bereits vorangeschritten ist,
wie sehr sie wesentliche gesellschaftliche Institutionen zur
Gesundheitsfürsorge bereits durchdrungen und korrumpiert hat.
Und wie unverschämt sie dabei agierte. Nicht nur Medien werden
vermittels Inseratenwerbung manipuliert, sondern überdies
Wissenschafter und Starkolumnisten mit Geldzuwendungen korrumpiert.
Zuweilen wünschte man das Buch angeekelt wegzulegen, denn ein
übles Beispiel folgt dem nächsten. Selbst
Gesundheitsbehörden, deren ureigentliche Aufgabe die Pflege
der Volksgesundheit ist, sind vor der Unterwanderung durch den
raffinierten Lobbyismus der Zigarettenproduzenten nicht gefeit. Das
Verharmlosen der Auswirkungen von Passivrauchen dürfte der
Tabaklobby ein besonderes Anliegen sein. Und so warb man anfangs der
1980er Jahre einen Mediziner an, der damals Präsident des
deutschen Bundesgesundheitsamtes (BGA) war. Bald schon erwies sich der
Herr Präsident als nützlicher Bundesgenosse und
aktiver Verharmloser in der einsetzenden Debatte über die
Risiken des Passivrauchens. Ein Fall unter vielen in einem Treiben ohne
Scham.
Dabei galt das Naturprodukt
Tabak nicht immer als
gesundheitsschädliches Suchtmittel. Burger und Davani zeigen
dem Leser in einer kleinen Kulturgeschichte des Rauchens wie der von
den Spaniern bei den Indios entdeckte Tabakgenuss
gegen Ende des 15. Jahrhunderts seinen Weg nach Europa fand. Die
Indianer nahmen den Tabak vor allem aus religiösen oder
spirituellen Gründen zu sich. Tabakrauch galt als rituelles
Reinigungsmittel, der Rauch hatte spirituelle Bedeutung und sollte den
Kontakt mit den Göttern herstellen, erklären die
Autoren. In der Alten Welt angekommen, wurde der Tabak zuerst als lang
gesuchtes Wundermittel der mittelalterlichen
Alchimie
betrachtet und sein therapeutischer Konsum als taugliche Medizin gegen
alle möglichen Beschwerden und Krankheiten von Ärzten
des 16. und 17. Jahrhunderts euphorisch befürwortet. Lange
ist’s her, kann man dazu nur sagen. Benannt nach seinem
französischen Fürsprecher Jean Nicot avancierte der
Tabak in Europa rasch zum modischen Genussmittel. Während des
Ersten und des Zweiten Weltkriegs meinte man zu erkennen, dass der
Nikotingenuss Mut mache und verteilte folglich freie Zigarettenrationen
an Millionen von Soldaten. Solcherart wurde für Unmengen von
Kriegsdienstleistenden der Zigarettenkonsum zur unreflektierten
Gewohnheit. Das Desaster nahm seinen Lauf.
Mit welch verschlagenen Methoden Kinder für die
Zigarettensucht rekrutiert werden "Unser künftiges
Geschäft hängt von der Größe der
Anfangspopulation ab.", wie raffiniert der Wachstumsmarkt "Frauen"
bewirtschaftet wird, all dies und noch mehr aus der Sicht der
Tabakindustrie gesehen, kommt im Buch zur Sprache und lässt
den Zynismus erahnen, der dabei hinter den Kulissen mit im Spiel ist.
Es werden Produkte verhökert, die man in den Vorstandsetagen
der Konzerne tunlichst meidet, weil es, wie schon gesagt, ein "Privileg
der Unreifen, Schwarzen und Dummen" ist, sich mit dem Zeug den
Organismus zu ruinieren. Dass es für immer so bleibt,
dafür sorgt ein weit gespanntes Netz aus für ihre
Dienste fürstlich honorierten Anwälten, Managern,
Marketingchefs, Wissenschaftern,
Meinungsmachern und
Behördenvorständen. Diesem Gespinst die Maske vom
Gesicht reißen und sein Funktionieren anhand von Belegen zu
erklären ist Sinn und Zweck dieses Schwarzbuches.
Das Seminar
Zu diesem Buch bedarf es diesmal eines ausführlichen Nachworts
ergänzenden Charakters, das vor allem für rauchende
Buchfreunde von besonderem Interesse sein könnte. Und zwar,
wie gesagt, nur für Raucher,
sowie für Ex-Raucher, die mit ihrem gerade erst halbwegs
überwundenen Laster noch nicht so recht ins Reine gekommen
sind. Gegenständliches Buch steht zwar natürlich
für sich selbst und kann wie jede andere Lektüre
einfach so gelesen werden. Und zwar von jedermann, egal ob er raucht
oder nicht raucht. Es ist jedoch überdies als Arbeitsunterlage
zu einem von Co-Autor Keyvan Davani (selbst jahrelang ein starker
Raucher) angebotenen Selbst-Motivationsseminar für Raucher zu
begreifen. Also quasi als Theorie zur Praxis einer
weiterführenden Betätigung unter Anleitung eines
Fachexperten. Nähere Informationen über dieses
Seminar finden sich auf der Internetseite des Autors.
Zur vorwegnehmenden Zerstreuung eines allemal nicht
unbegründeten Misstrauens gegenüber der
Psychoseminarbranche sei zusätzlich ausgeführt, dass
Davani bei jeder sich bietenden Gelegenheit stets ausdrücklich
betont, dass es sich bei seinem Seminarangebot nun wahrlich um kein
kitschiges NLP handelt, noch inkludiere es Spielarten von wegen
Gruppendynamik und schon gar nicht ziele es auf ein
gefühlsduseliges Händchenhalten ab. Mit Vehemenz
distanziert sich Davani von jeder tatsächlichen oder auch nur
vermeintlichen modischen Scharlatanerie. Kern des Seminars sei ein
Bewusstseinsfindungsprozess in Hinblick auf das jeweils individuelle
Suchtgedächtnis, das es in jedem Fall eigenständig zu
überschreiben gelte. Unter anderem gelte es auch, in
Weiterführung der Thematik zum Buch, das
Kritikvermögen hinsichtlich der Umtriebigkeiten der Tabaklobby
zu schärfen, denn jeder, der weiß, was Sache ist,
wird den Glühstängel angewidert wegwerfen und nicht
fortgesetzt paffender Sklave einer skrupellosen
Kaptialverwertungsmaschinerie sein. Die programmatische Ausrichtung der
Veranstaltung sollte nach den Worten von Keyvan Davani jedenfalls
strikt wissenschaftlich im Sinne von Neuropsychopharmakologie sein, was
jetzt allerdings, ob des fachjargonalen Wortungetüms, nicht
abschrecken sollte, zumal diese überspitzt wirkende
Klarstellung wohl in erster Linie der notwendigen Distanzierung von
diversen, wohl ebenso eines Schwarzbuchs würdigen,
unseriösen Machenschaften in der Psychoszene dient.
Aufklärung und Bewusstseinsbildung zur Emanzipierung von einem
gesundheitsschädlichen
Abhängigkeitsverhältnis sollte der eigentliche
Hauptzweck des Seminars sein. Vielleicht ein tauglicher Weg um Freiheit
von dem Suchtmittel
Nikotin zu erlangen.
(Harald Schulz; 09/2006)
Renate
Burger / Keyvan Davani: "Schwarzbuch Zigarette"
Verlag Carl Ueberreuter, 2006. 144 Seiten.
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Keyvan
Davani: Geboren 1972 in Shiraz/Persien. Er ist einer der
führenden Experten zur Problematik der Produkthaftung der
Tabakindustrie in Europa.
Lien:
https://www.smokereality.com/.
Ein
Hörbuchtipp von anderer Seite:
"Rauchzeichen. Literarische Fundstücke für
leidenschaftliche Raucher"
Ein Hörbuch für Tabakfreunde - und für
solche Menschen, die sich bislang nicht vorstellen konnten, welche
Wonnen ein Raucher erlebt, der sich nach einem wunderbaren Essen und
einem guten Wein eine Cohiba anzündet. Mit trefflichen Zitaten
großer Raucher, von Raymond Chandler über
Gustave
Flaubert bis
Thomas Mann, aber auch mit den
schönsten Zitaten aus Filmklassikern wie "Casablanca", "Basic
Instinct" und "Manhattan", die ohne das Rauchen nicht vorstellbar
wären. (Hoffmann und Campe)
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