Lea Singer: "Mandelkern"
Von
dem Drang nach Erkenntnis
und dem Hunger nach Liebe
Grace Eder ist eine international bekannte Neurowissenschaftlerin, ihr
Spezialgebiet die Biochemie der Gefühle. Und sie hat
darüber viel veröffentlicht
und vorgetragen. Selbst jedoch ist diese nach außen so
erfolgreiche, attraktive
und auch von den Männern begehrte Frau nur schwer imstande,
Gefühle zu
empfinden, sie zu äußern und sich ihnen gar
hinzugeben, geschweigedenn gegenüber
einem anderen Menschen oder gar Mann.
Die
Kulturhistorikerin Dr. Eva Gesine Baur, eine belesene und neugierige
Schriftstellerin, die sich den originellen Künstlernamen Lea
Singer gegeben
hat, leicht jüdisch angehaucht, legt in ihrem Roman
"Mandelkern"
nichts Anderes vor als die Geschichte eines weiblichen "Faust". Der
Titel ist zum Einen eine Reminiszenz an Theodor Storms
Weihnachtsgedicht "Knecht
Ruprecht" und zum Anderen eine Anspielung auf die Mandelkerne
(griech.:
amygdala), die als zentrale Elemente unseres
Nervensystems sortieren, was
von den zahllosen aufgenommenen Informationen in unser
"Nervenkostüm"
eingeht und darüber entscheiden, welche dieser Informationen
es sozusagen in
unseren Langzeitspeicher schaffen. Sie sind also zuständig
für den Gefühlshaushalt
der Menschen.
Und dieser Gefühlshaushalt ist bei Lea Singers Protagonistin schwer durcheinandergeraten. Als sie am Tag vor dem Heiligen Abend (!) alleine in ihrem Labor auf die Ergebnisse eines Versuches wartet, beginnt sie vor sich selbst ihr bisheriges Leben in Frage zu stellen und die Grundlagen, auf die sie es aufbaute. Sie ist zutiefst verzweifelt und drauf und dran, sich das Leben zu nehmen. Doch da tritt plötzlich eine Frau in den Raum, sie heißt Lucie (sc. Luzifer!) und verspricht Grace, ihr das größte irdische Glück zu verschaffen. Eine moderne "Faust/Mephisto"-Geschichte beschreibt nun die Aufarbeitung der eigenen, tief religiös und kleinbürgerlich verlaufenden Kindheit und den neurowissenschaftlichen Umgang mit Gefühlen. |
"Was immer Sie über
Sigmund Freud denken, hatte sie ihren Vortrag vor den
Rotariern vor zwei Tagen begonnen, er ist der Urvater der biologischen
Psychologie. Seine Behauptung, alles entstehe zwischen den Ohren, ist
aus Sicht der Neurowissenschaft absolut richtig. Und Freuds Metapher
vom Wunderblock zeigt, dass er das Wesentliche geahnt hat, ohne es
beweisen zu können: So wie jeder Buchstabe, der auf diesem
Block notiert wurde, zwar an der Oberfläche gelöscht
werden kann, aber in einer tieferen Schicht erhalten bleibt,
verhält es sich mit unserem Gehirn. Was wir einmal bewusst
erlebt haben, kann zwar vergessen werden, das heißt, es ist
aus dem Langzeitgedächtnis nicht mehr abrufbar, aber nicht
verloren. Es ist noch da. Leider wissen wir noch wenig über
den Zensor im Gehirn, der für jenes Absinken von Inhalten ins
Unbewusste verantwortlich ist." |
Lea Singer tut das ebenso spannend wie nahe am ursprünglichen
Fauststoff und
dennoch höchst aktuell. "Mandelkern" ist ein spannender Roman
aus
unserer Gegenwart, in der mehr und mehr auch für Frauen gilt:
Karriere ist
alles.
Auch die Protagonistin Grace Eder folgt diesem Wahn, aber irgendwann
genügt ihr
die Karriere nicht mehr. "Mandelkern" beschreibt originell und
passagenweise witzig, den "Faust"-Mythos aufgreifend und
fortführend, den Versuch
dieser Neurowissenschaftlerin, ihrem Leben einen anderen Sinn
zu geben.
Dabei überzeugt Lea Singer nicht nur durch auf hohem Niveau
angesiedeltes
wissenschaftliches Wissen, (sie selbst ist mehrfach promoviert),
sondern ihr
Roman zeugt von großer und tiefempfundener menschlicher
Klugheit.
Und obwohl es einen rasanten Wechsel von unterschiedlichen
Schauplätzen gibt,
bleibt sich Leas Singers Heldin gleich. Jener Drang nach Erkenntnis,
der Drang
auch, alles zu entzaubern, nichts mehr für heilig und einfach
verehrungswürdig
zu halten, man kann ihn "faustisch" nennen, ein Drang, der unsere Welt
an den Abgrund bringt, und der jetzt auch die Frauen erreicht hat.
"Mandelkern" ist ein Roman, den man ohne eine Unterbrechung durchliest
und einer der Geheimtipps des Bücherherbstes 2007.
(Winfried Stanzick; 01/2008)
Lea
Singer: "Mandelkern"
Hoffmann und Campe, 2007. Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Weitere
Bücher von
Eva Gesine
Baur (Auswahl):
"Vier
Farben der Treue"
Jene Sucht, die Sehnsucht heißt
Ein heißer Sommer in Salzburg 1935. Drei Jahre vor dem
Anschluss wirbt die
Festspielstadt damit, sie sei noch eine Insel der Seligen. Auf Schloss
Leopoldskron treffen außergewöhnliche Menschen
zusammen, die nicht nur ihre
durch Hitler bedrohte Gegenwart, sondern auch ihre Vergangenheit
verbindet:
Max
Reinhardt und Helene Thimig,
Alma Mahler-Werfel und Franz Werfel, Eleonora von
Mendelssohn und ihr Bruder Francesco,
Carl
Zuckmayer, Ferenc Molnár und Kurt
Weill. Und der alte, aber sexuell rastlose Maestro Toscanini, Weltstar
und
Frauenheld, Antifaschist und selbst Diktator.
Aus wahren Begebenheiten erschafft Lea Singer ein politisch und
psychologisch
brisantes Kammerspiel, das die Ereignisse jenes Sommers
atmosphärisch dicht und
bedrängend aufleben lässt. (DVA)
Buch
bei amazon.de bestellen
"Das
nackte Leben"
Im Nachhinein beneiden sie viele. Und stellen sich vor, es
müsste verführerisch
gewesen sein, an der Seite des Mannes zu leben, der zum meistgeliebten
Genie des
Planeten wurde. Im nachhinein hassen sie viele, weil sie meinen, sie
habe dem
Genie geschadet. Dieser Neid und dieser Hass haben das Bild der
Constanze Mozart
verzerrt. Doch wer war sie wirklich, die Frau, die mit zwanzig Jahren
Mozart
heiratete und ihn mit neunundzwanzig verlor? Die Frau, die sich auf
einen
unansehnlichen Künstler mit fragwürdigen Manieren und
einem beängstigenden
Mangel an Wirklichkeitssinn einließ. Die Frau, die in hundert
Ehemonaten sechs
Schwangerschaften überstand und vier ihrer Kinder sterben sah.
Aber auch die
Frau, die zwischen allen Sorgen Mozarts Unbeschwertheit teilen konnte.
Lea
Singer erzählt keine Gerüchte nach, sondern lebendig
und aufregend das nackte
Leben der Constanze Mozart. (dtv)
Buch
bei amazon.de bestellen
"Wahnsinns
Liebe"
Matilde, eine stille Frau zwischen zwei genialen Männern - dem
Komponisten
Arnold Schönberg und dem Maler Richard Gerstl.
Sie ist achtundzwanzig Jahre alt, hochmusikalisch, verheiratet mit
einem
mittellosen Genie und führt ein Leben in seinem Schatten.
Mathilde, die Frau
von Arnold Schönberg, glaubt nicht mehr daran, dass sie so
etwas wie Liebe
erfahren wird. Da begegnet sie Richard Gerstl, einem blutjungen Maler,
den viele
für wahnsinnig halten. Das Drama beginnt.
Mit psychologischem Spürsinn begibt sich Lea Singer auf die
Fährte einer
dramatischen und wahren Geschichte im Wiener Künstlermilieu.
Sie zeigt die
Schattenseite jener vermeintlich glänzenden Zeit und
erzählt von einer stillen
Frau zwischen zwei genialen Männern: von Mathilde, der Frau
des Komponisten
Arnold Schönberg, die zur Geliebten des Malers Richard Gerstl
wird. (dtv)
Buch
bei amazon.de bestellen