"Wenn man keine empirische Erfahrung mit den Bezugsobjekten der Wörter hat, kann leicht ein Zweifel aufkommen. Das Resultat wird in großem Umfang vom jeweiligen Bezugssystem abhängen." ¹

"Alles Walser!" (Oder doch nicht?)


Der aktuellen Online-Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist zu entnehmen, dass der Autor Martin Walser gar beabsichtige, nach Österreich auszuwandern, und zwar ins Große Walsertal ... (Es darf gelacht werden, muss aber nicht ...)

In den vergangenen Wochen beanspruchte die Auseinandersetzung um den dürftig inszenierten Skandal modernster Machart (also durfte man selbstverständlich keine kontroversielle Diskussion, sondern ein Ausschlachten diverser Wortmeldungen vom zeitgeistigen Trödelmarkt erwarten) beachtlich viel Raum in den deutschen Feuilletons. Flugs waren da gleichermaßen wuchtige wie sperrige Begriffe - ("Niveaulosigkeit", "Antisemitismus" und dergleichen mehr) - zur Hand, wobei wünschenswert gewesen wäre, manch einer der sich zu Sagern berufen Fühlenden hätte diese Hand zur rechten Zeit auf die eigenen Lippen gelegt, der hübschen Aussage eines österreichischen Spitzenpolitikers eingedenk, dass man nicht in jedes Mikrofon, das sich einem begehrlich zuwende, beißen müsse.

Wieder einmal wurde Gegenstand einer veröffentlichten Debatte, was im Kern der Öffentlichkeit verborgen blieb, da seriöse Fakten nur einigen "Auserwählten", (wer hat diese fatale Auswahl wohl getroffen?), bekannt waren. Wieder einmal fand das beliebte Spiel, Gerüchte in die Welt zu setzen, viele fanatische Teilnehmer, wobei es in der Natur der Sache liegt, dass es letzten Endes weniger um die Positionierung und Thematisierung der auslösenden Faktoren wie auch des Gegenstandes, als um Selbstdarstellungen aller Art ging.

Von außen betrachtet, mag ein solches Geschehen für Unbeteiligte durchaus einen gewissen Unterhaltungswert aufweisen, der Literatur ist ein Rummel wie dieser nicht dienlich.

Es gibt keine Versicherung, welche Autoren vor unzutreffenden Interpretationen bewahrt. Die Stimme des Schriftstellers findet kaum Gehör, wenn und weil die Zeitungsleser-Herden gewissen Leit(artikel)hammeln blind vertrauen. "Mein neuer Roman handelt von der Machtausübung im Literaturbetrieb zur Zeit des Fernsehens", sagte Walser. Und was verlautbart der Verlag? "Der Suhrkamp Verlag hat sich trotz kontroverser Diskussionen und Bedenken, die im Haus bestehen, entschlossen, den Roman 'Tod eines Kritikers' von Martin Walser am 26. Juni 2002 zu veröffentlichen."
Da rührt entweder jemand ganz gekonnt die Werbetrommel, oder dieser Jemand ist außergewöhnlich mutig, wie ein tapferes Schneiderlein ...

Wer Martin Walsers Lesung zweier Kapitel aus diesem Roman im Fernsehen verfolgt hat, wird die Aufregung ohnedies nicht nachvollziehen können! Und gewisse Kritikerpäpste wären gut beraten, selbst eben jene Nehmerqualitäten zu entwickeln, die sie den Objekten ihrer Kritik empfehlen.

"Was nach dem Ende des Gerüchts geschieht, findet wenig Interesse. Scheinbar normalisiert sich alles, und das Leben geht weiter wie zuvor." ¹

Wieder einmal muss betont werden, dass der Leser frei ist, sich sein eigenes Urteil - und zwar nach der Lektüre des Buches - zu bilden.

(Felix; 19.06.2002)


Martin Walser: "Tod eines Kritikers"
Suhrkamp, 2002. 240 Seiten.
ISBN 3-5184-1378-3.
ca. EUR 19,90.
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¹ Zitate aus "Gerüchte. Das ältese Massenmedium der Welt" von Jean-Noël Kapferer.
Gustav Kiepenheuer Verlag, 1996. 360 Seiten. ISBN 3-378-01007-X.