Ich
liebe Tiere. Ich liebe sie allesamt, bis auf diese widerlichen ungefiederten Zweibeiner,
deren Äußeres eine einzige Kahlstelle ist. Nicht, dass ich sie hassen würde. Nein,
in der Tat nicht, man hasst doch nur das Außergewöhnliche, das was die Anstrengung
des Hassens wert ist. Und diese glatzhäutigen Hinterläufigen sind es nicht wert
gehasst zu werden. Sie sind mir nur lästig und widerwärtig, weshalb ich sie nicht
leiden kann.
Das lesende Publikum wird nun meinen, ich sei ein Misanthrop.
Oh ja, so fühl ich mich trefflich bezeichnet! Ich nehme das Stigma entgegen und
trage es gleich einem Orden auf stolz geschwelltem Busen. Dabei bin ich Moralist.
Nicht einer von den vielen und allzu vielen Anständigen und Guten, deren Moral
darin besteht die Nase zu rümpfen, wenn es stark riecht und die selber Fäulnis
verbreiten, unter dem Mäntelchen der Verschwiegenheit. Sie sind Konditionierte,
die genau zu wissen glauben was das Gute und das Böse ist und auf simple Schlüsselreize
hin mit schlatzigem Geifer um sich spritzen.
Haben diese Überzähligen denn
Moral? Nur der freie Geist hat Moral, doch diese haben weder Geist noch Freiheit,
worauf sie auch noch stolz sind. Und ist ihre Moral denn nicht immer nur eine
Forderung an das Handeln der Anderen? Der oder die Nächste wird mit Moral umgarnt.
Ach mir ekelt so davor.
Ich
war nie Maximalethiker. Wem ist denn schon gedient, wenn ich nach einem Schlag
auf meine rechte Backe auch noch die linke Backe hinhalte? Hohngelächter würde
ich ernten; bezweckt wäre solcherart nichts, denn der Aggressor würde mich lediglich
verachten. Und das Verächtliche tritt man ganz beiläufig platt.
Als Student
focht ich für das Gute in der Welt und versäumte dabei den Studienabschluss. Nur,
das tut jetzt nichts zur Sache, will heißen, wer braucht schon einen Philosophen
im Betrieb? Wer braucht schon einen Denker, der Sand ins Getriebe bringt, sobald
er wirklich denkt.
Ja, Gesinnungsethik haben wir alle. Doch wer hat auch Verantwortungsethik?
Wer handelt schon im Sinne des kategorischen Imperativs des von uns allen hoch
geschätzten Philosophen Immanuel Kant, der uns postuliert: Handle nur nach
derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines
Gesetz werde.
In melancholischen Momenten wünsche ich mir, alle mögen
sich doch umbringen, mich eingeschlossen. Es ist also mein Wunsch, der Selbstmord,
den ich gerade noch nicht vollziehe, möge als allgemeine Handlungsmaxime kodifiziert
werden. Davon abgesehen, ist der kategorische Imperativ jedenfalls eine gute Sache
(solange man nicht allzu depressiv ist). Raffael Ferber führt in seinen "Philosophischen
Grundbegriffen" (Beck´sche Reihe) dazu aus: Gut ist, was sich als Regel verallgemeinern
lässt. So gebietet der kategorische Imperativ, nur nach subjektiven Grundsätzen
zu handeln, die intersubjektiv gültig sein können.
Nach diesem Kriterium lässt
sich auch begründen, weshalb Diskriminierung von Menschen aufgrund von Rasse oder
Geschlecht moralisch falsch, Nichtdiskriminierung dagegen richtig ist. Nichtdiskriminierung
ist deshalb richtig, weil diese institutionelle Tatsache verallgemeinerungsfähig
ist, Diskriminierung dagegen ist nicht verallgemeinerungsfähig. Nehmen wir an,
es gäbe ein allgemeines Gesetz, das die Diskriminierung von Rassen oder Geschlechtern
erlaubt. Dann könnte es aber sein, dass nicht nur ich andere Menschen infolge
ihrer Rasse oder ihres Geschlechtes diskriminieren darf, sondern auch, dass andere
Menschen mich infolge meiner Rasse oder meines Geschlechtes diskriminieren dürfen.
Würde ich aber ein Gesetz wollen, nach dem auch ich diskriminiert werden darf,
so würde ich etwas wollen, was ich nicht wollen kann. Denn ich kann nicht wollen,
dass ich diskriminiert werde.
Man
sieht sofort ein, der kategorische Imperativ ist eine gute Sache. Und doch geht
er mir ganz gehörig gegen den Strich. Er regt mich auf, weil sich kein Mensch
daran hält, tut doch jeder nur was ihm gut tut, weshalb wir allesamt schon im
Dreck ersticken. Und eben weil der Mensch außerstande ist nach Vernunftprinzipien
zu handeln, ist er mir zuwider. Die Ethik des Menschen ist viehisch und hat zur
Maxime: Gut ist, was mir gut tut.
Die gleiche Ethik steuert die Moral des Hundes. Nur ist der Mensch zu höherem
berufen, als der instinktgeleitete Hund. Der Mensch hat ein um ein Vielfaches
größeres und entwickelteres Gehirn als der Hund und er hat Schule und Religionsunterricht
und Kirchen mit tausend Gotteshäusern und mehr und Legionen von Pfaffen. Er hat
soviel mehr an Material als der Hund. Ja, das ist seine Schande: Der Mensch hat
nicht mehr Moral als der Hund.
Ich
bin Misanthrop, weil ich ein zutiefst frustrierter Moralist bin. Der empirische
Mensch, wie er sich als Realität verkörpert, konterkariert seinen unmäßigen Anspruch
auf wesenhafte Gottgleichheit. Doch gibt der Mensch diesen Anspruch auf, bleibt
ihm nichts als seine Dekadenz. Als Tier ist er ein Gelächter, als Gott ist er
ein Jammer. Was dann noch bleibt ist eine Kreatur, der die Evolution das Fell über die Ohren gezogen hat.
Da hockt sie nun und blinzelt in das Licht der Sonne, als Abglanz ihrer selbst
der Vorstellung vom vollkommenen Menschen völlig entfremdet. Ihr Anblick empört
mich und erniedrigt mich als ihren Bruder.
Wir allesamt sind Ausgeburten der
einen peinlichen Gattung und doch bin ich nicht einer der ihren. Weder als Mensch
noch Unmensch verwirklicht sich meine Besonderheit in der negativen Abgrenzung
zum Menschen. Als Misanthrop bin ich ganz Geist, ganz Selbstüberwindung jener
Gattungsmerkmale, die mich äußerlich als Mensch kennzeichnen. Meinen Geist liebe
ich, nicht jedoch die Gestalt in die mein Geist eingefasst ist. Und doch genieße
ich das Aufbegehren meiner Leiblichkeit gegen jede gestaltgebende Formung.
Weil
ich bin Misanthrop mit Haut und Haar, und jede Geste der Verneinung löst meine
Glieder und durchströmt mein Fleisch mit wollüstigem Schauer. Es ist hässlich
und feig über einen Einzelnen herzuziehen, ihn schlecht zu machen, doch es ist
schön und heroisch über die Überzähligen herzuziehen, sie schlecht zu machen.
Denn der Einzelne ist in seiner Tragik großartig. Gesellt sich jedoch zu dem Einzelnen
ein Einzelner und noch ein Einzelner hinzu, so verblasst seine Farbenpracht und
die Größe seiner Tragik verkommt zur Erbärmlichkeit.
Das ist auch der Grund
warum ich gesellige Versammlungen hasse. Sie machen das Niedrige niedriger, das
Erbärmliche erbärmlicher und das Dumme dümmer. Noch der brillanteste Geist denunziert
seinen Schwachsinn sobald er sich als Gast einer Fete gebärdet. Bei keiner Gelegenheit
wird meine Misanthropie mehr angestachelt, als wenn ich mich (immer gezwungenermaßen)
in geselliger Runde befinde. Denn in geselliger Runde wird mir der Mensch als
das zweifelhaft, was er von Natur aus ist: Als soziales Wesen. Entschiedener kann
sich Misanthropie nicht mehr äußern, als dass sie den Menschen in seiner Urtümlichkeit
ablehnt. Und das alles nur aus hilflosem Ekel vor diesem nackten Vieh, das sich
seiner Nacktheit schämt.
Wie gesagt, so ist es. Herzlichst, Ihr M.