Wenn ich ein Vöglein
wär,
Ich wüßt wohl, wovon
ich sänge,
Und
auch zwei Flüglein hätt,
Ich wüßt wohl, wohin ich mich schwänge!
«Ei, lustiger Gesell,
du singst ja wie eine Lerche beim ersten Morgenstrahl!» sagte da auf einmal
ein junger Mann zu mir, der während meines Liedes an den Brunnen
herangetreten war. Mir aber, da ich so unverhofft Deutsch sprechen hörte, war
es nicht anders im Herzen, als wenn die Glocke aus meinem Dorfe am stillen Sonntagsmorgen
plötzlich zu mir herüberklänge. «Gott willkommen, bester Herr Landsmann!» rief
ich aus und sprang voller Vergnügen von dem steinernen Brunnen herab. Der junge
Mann lächelte und sah mich von oben bis unten an. «Aber was treibt Ihr denn
eigentlich hier in Rom?» fragte er endlich. Da wußte ich nun nicht gleich, was
ich sagen sollte, denn daß ich soeben der schönen gnädigen Frau nachspränge,
mocht ich ihm nicht sagen. «Ich treibe», erwiderte ich, «mich selbst ein bißchen
herum, um die Welt zu sehen.» - «So so!» versetzte der junge Mann und lachte
laut auf, «da haben wir ja ein Metier. Das tu ich eben auch, um die Welt zu
sehen und hinterdrein abzumalen.» - «Also ein Maler!» rief ich fröhlich aus,
denn mir fiel dabei Herr Leonhard und Guido ein. Aber der Herr ließ mich nicht
zu Worte kommen. «Ich denke», sagte er, «du gehst mit und frühstückst bei mir,
da will ich dich selbst abkonterfeien, daß es eine Freude sein soll!» - Das
ließ ich mir gern gefallen und wanderte nun mit dem Maler durch die leeren Straßen,
wo nur hin und wieder erst einige Fensterladen aufgemacht wurden und bald ein
paar weiße Arme, bald ein verschlafenes Gesichtchen in die frische Morgenluft
hinausguckte.
Er führte mich lange hin und her durch eine Menge konfuser, enger und dunkler
Gassen, bis wir endlich in ein altes, verräuchertes Haus hineinhuschten. Dort
stiegen wir eine finstre Treppe hinauf, dann wieder eine, als wenn wir in den
Himmel hineinsteigen wollten. Wir standen nun unter dem Dache vor einer Tür
still, und der Maler fing an, in allen Taschen, vorn und hinten, mit großer
Eilfertigkeit zu suchen. Aber er hatte heute früh vergessen zuzuschließen und
den Schlüssel in der Stube gelassen. Denn er war, wie er mir unterwegs erzählte,
noch vor Tagesanbruch vor die Stadt hinausgegangen, um die Gegend bei Sonnenaufgang
zu betrachten. Er schüttelte nur mit dem Kopfe und stieß die Tür mit dem Fuße
auf.
Das war eine lange, lange, große Stube, daß man darin hätte tanzen können, wenn
nur nicht auf dem Fußboden alles vollgelegen hätte. Aber da lagen Stiefel, Papiere,
Kleider, umgeworfene Farbentöpfe, alles durcheinander; in der Mitte der Stube
standen große Gerüste, wie man zum Birnenabnehmen braucht, ringsum an der Wand
waren große Bilder angelehnt. Auf einem langen, hölzernen Tische war eine Schüssel,
worauf neben einem Farbenkleckse Brot und Butter lag. Eine Flasche Wein stand
daneben.
«Nun eßt und trinkt erst, Landsmann!» rief mir der Maler zu. - Ich wollte mir
auch sogleich ein paar Butterschnitten schmieren, aber da war wieder kein Messer
da. Wir mußten erst lange in den Papieren auf dem Tische herumrascheln, ehe
wir es unter einem großen Pakete endlich fanden. Darauf riß der Maler das Fenster
auf, daß die frische Morgenluft fröhlich das ganze Zimmer durchdrang. Das war
eine herrliche Aussicht weit über die Stadt weg in die Berge hinein, wo die
Morgensonne lustig die weißen Landhäuser und Weingärten beschien. - «Vivat unser
kühlgrünes Deutschland da hinter den Bergen!» rief der Maler aus und trank dazu
aus der Weinflasche, die er mir dann hinreichte. Ich tat ihm höflich Bescheid
und grüßte in meinem Herzen die schöne Heimat in der Ferne noch viel tausendmal.
Der Maler aber hatte unterdes das hölzerne Gerüst, worauf ein sehr großes Papier
ausgespannt war, näher an das Fenster herangerückt. Auf dem Papiere war bloß
mit großen schwarzen Strichen eine alte Hütte gar künstlich abgezeichnet. Darin
saß die Heilige Jungfrau mit einem überaus schönen, freudigen und doch recht
wehmütigen Gesichte. Zu ihren Füßen auf einem Nestlein von Stroh lag das Jesuskind,
sehr freundlich, aber mit großen, ernsthaften Augen. Draußen auf der Schwelle
der offenen Hütte aber knieten zwei Hirtenknaben mit Stab und Tasche. - «Siehst
du», sagte der Maler, «dem einen Hirtenknaben da will ich deinen Kopf aufsetzen,
so kommt dein Gesicht doch auch etwas unter die Leute, und wills Gott, sollen
sie sich daran noch erfreuen, wenn wir beide schon lange begraben sind und selbst
so still und fröhlich vor der heiligen Mutter und ihrem Sohne knien, wie die
glücklichen Jungen hier.» - Darauf ergriff er einen alten Stuhl, von dem ihm
aber, da er ihn aufheben wollte, die halbe Lehne in der Hand blieb. Er paßte
ihn geschwind wieder zusammen, schob ihn vor das Gerüst hin, und ich mußte mich
nun daraufsetzen und mein Gesicht etwas von der Seite nach dem Maler zu wenden.
So saß ich ein paar Minuten ganz still, ohne mich zu rühren. Aber ich weiß nicht,
zuletzt konnte ichs gar nicht recht aushalten, bald juckte michs da, bald juckte
michs dort. Auch hing mir gerade gegenüber ein zerbrochener halber Spiegel,
da mußt ich immerfort hineinsehen und machte, wenn er eben malte, aus Langeweile
allerlei Gesichter und Grimassen. Der Maler, der es bemerkte, lachte endlich
laut auf und winkte mir mit der Hand, daß ich wieder aufstehen sollte. Mein
Gesicht auf dem Hirten war auch schon fertig und sah so klar aus, daß ich mir
ordentlich selber gefiel.
Er zeichnete nun in der frischen Morgenkühle immer fleißig fort, während er
ein Liedchen dazu sang und zuweilen durch das offene Fenster in die prächtige
Gegend hinausblickte. Ich aber schnitt mir unterdes noch eine Butterstolle und
ging damit im Zimmer auf und ab und besah mir die Bilder, die an der Wand aufgestellt
waren. Zwei darunter gefielen mir ganz besonders gut. «Habt Ihr die auch gemalt?»
fragte ich den Maler. «Warum nicht gar!» erwiderte er, «die sind von den berühmten
Meistern Leonardo
da Vinci und Guido Reni - aber da weißt du ja doch nichts davon!»
- Mich ärgerte der Schluß der Rede.«Oh», versetzte ich ganz gelassen, «die beiden
Meister kenne ich wie meine eigene Tasche.» - Da machte er große Augen. «Wieso?»
fragte er geschwind. «Nun», sagte ich, «bin ich nicht mit ihnen Tag und Nacht
fortgereist, zu Pferde und zu Fuß und zu Wagen, daß mir der Wind am Hute pfiff,
und hab sie alle beide in der Schenke verloren und bin dann allein in ihrem
Wagen mit Extrapost immer weiter gefahren, daß der Bombenwagen immerfort auf
zwei Rädern über die entsetzlichen Steine flog, und» - «Oho! Oho!» unterbrach
mich der Maler und sah mich starr an, als wenn er mich für verrückt hielte.
Dann aber brach er plötzlich in ein lautes Gelächter aus. «Ach», rief er, «nun
versteh ich erst, du bist mit zwei Malern gereist, die Guido und Leonhard hießen?»
- Da ich das bejahte, sprang er rasch auf und sah mich nochmals von oben bis
unten ganz genau an. «Ich glaube gar», sagte er, «am Ende - spielst du die Violine?»
- ich schlug auf meine Rocktasche, daß die Geige
darin einen Klang gab. - «Nun wahrhaftig», versetzte der Maler, «da war eine
Gräfin aus Deutschland hier, die hat sich in allen Winkeln von Rom nach den
beiden Malern und nach einem jungen Musikanten mit der Geige erkundigen lassen.»
- «Eine junge Gräfin aus Deutschland?» rief ich voller Entzücken aus, «ist der
Portier mit?» - «Ja, das weiß ich alles nicht», erwiderte der Maler, «ich sah
sie nur einige Male bei einer Freundin von ihr, die aber auch nicht in der Stadt
wohnt. - Kennst du die?» fuhr er fort, indem er in einem Winkel plötzlich eine
Leinwanddecke von einem großen Bilde in die Höhe hob. Da war mirs doch nicht
anders, als wenn man in einer finsteren Stube die Laden aufmacht und einem die
Morgensonne auf einmal über die Augen blitzt, es war - die schöne gnädige Frau!
- Sie stand in einem schwarzen Samtkleide im Garten und hob mit einer Hand den
Schleier vom Gesicht und sah still und freundlich in eine weite, prächtige Gegend
hinaus. Je länger ich hinsah, je mehr kam es mir vor, als wäre es der Garten
am Schlosse, und die Blumen und Zweige wiegten sich leise im Winde, und unten
in der Tiefe sähe ich mein Zollhäuschen und die Landstraße weit durchs Grüne
und die Donau
und die fernen blauen Berge.
«Sie ists, sie ists!» rief ich endlich, erwischte meinen Hut und rannte rasch
zur Tür hinaus, die vielen Treppen hinunter, und hörte nur noch, daß mir der
verwunderte Maler nachschrie, ich sollte gegen Abend wiederkommen, da könnten
wir vielleicht mehr erfahren! (...)
("Aus
dem Leben eines Taugenichts" von Joseph von Eichendorff;
1788 - 1857)
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