Peter O. Chotjewitz: "Alles über Leonardo aus Vinci"
Nach bestem Gewissen erläutert, mit vielen Zeichnungen und Bildern, Reisenotizen des Autors und einer Autobiografie Leonardos
Gedankensplitter zu einem ambivalenten Genius
Auf welchem Wege soll sich ein Normalsterblicher dem Leben und Werk
eines Genies wie Leonardo da Vinci (15.4.1452-2.5.1519) annähern?
Verherrlichend, den verklärten Blick auf Mona Lisas Mundwinkel
geheftet? Oder vielleicht Fakten ignorierend, dafür aber
spekulationsbeladen der versteckten Zeichen noch versteckterer
Bruderschaften lauernd? Vor Ehrfurcht Erstarrte kommen erst gar nicht
voran. Ignoranten wiederum finden tausend Umwege, um den Verzehr des
letzten Abendmahls aufzuschieben.
Peter O. Chotjewitz hat seinen Pfad gefunden: Frech hüpft er an
Leonardos Apologeten vorbei, umtänzelt spielerisch Löcher in der Vita
des großen Italieners oder benetzt die Fantasie an den am Wegesrand
schillernden Pfützen der Trivialliteratur. Stolpersteine scheint es
keine zu geben. Der Buchtitel verspricht daher unverfroren "Alles über Leonardo aus Vinci". Schelmisch fügt das Kleingedruckte hinzu: "Nach bestem Gewissen erläutert und in feiner literarischer Manier präsentiert".
Abdrucke der Zeichnungen, Bilder und Aufsätze da Vincis verleihen
authentisches Gewicht, Zeittafeln sorgen für den historischen Rahmen.
So dass Chotjewitz noch am Frontumschlag ergänzen kann: "Nach dem neuesten Stand der Wissenschaften". Doch Vorsicht! Allzu viel Wissen kann leicht Leserschwund schaffen, weshalb "einige Kindheitserinnerungen und Reisenotizen des Autors"
die schnell ermattenden Freunde der leichten Lektüre hilfreich bei der
Hand nehmen. Schließlich sollen alle Wege zu Leonardo führen.
Mit "Alles über Leonardo aus Vinci"
labt der Europa Verlag auch das Auge: Farbe und Beschaffenheit der
Seiten erinnern an Skizzen Leonardos. Der Buchdeckel ist im typischen
Rostton der Rötelzeichnungen gehalten. Vom Hinterkopf her wähnt sich
der Leser im Glauben, ein Original der Renaissance in Händen zu halten.
Literarisch betrachtet ist die Art, mit der Peter O. Chotjewitz ans Werk geht, ein so genannter
"word rap".
Vernimm eine Frage - in seinem Fall zu Leonardo aus Vinci - und
schreibe stichwortartig nieder, was dir alles dazu einfällt. Nicht nur
Journalisten und Moderatoren bedienen sich dieses Gesellschaftsspiels,
auch Psychologen loten damit die Tiefen des Unterbewusstseins aus. Was
fällt zu Leonardo da Vinci ein? Viel Widersprüchliches.
Vegetarier soll er gewesen sein, dem Tierquälerei ein Gräuel war.
Dennoch fand sein von Neugier getriebener Geist keinen Anstoß daran,
Frösche am Seziertisch zu malträtieren. Der Meister aus Vinci im O-Ton:
"Von Natur aus sind die guten Menschen wissensdurstig."
Humanist soll er gewesen sein. Trotzdem entwarf er sichelbewährte
Wägen, Splitterbomben und Katapultarmbrüste - Massenvernichtungswaffen
seiner Zeit. Auch ein Panzerbauplan war dabei; allerdings so
konzipiert, dass das metallne Monstrum funktionsuntüchtig gewesen wäre:
die Vorder- und Hinterräder hätten einander blockiert. Schlampiges
Genie oder wohl kalkulierter Fehler?
Ob "Leda" oder "Die Dame mit dem Hermelin", da Vinci
schuf Abbilder vollendet schöner Frauen. Trotzdem soll er weit
mehr dem eigenen Geschlecht zugetan gewesen sein. "Als
ich noch in der Wiege lag, ist ein Nibbio zu mir herabgekommen, hat mir
den Mund mit seinem Schwanz geöffnet und viele Male mit diesem seinen
Schwanz gegen meine Lippen gestoßen." Der in Sachen Libido sehr
fantasiereiche Sigmund Freud witterte in dieser frühesten
Kindheitserinnerung Leonardos homoerotische Tagträume. Es darf im Sinne
des Säuglings jedoch erleichtert ausgeatmet werden: Beim Nibbio
handelt es sich bloß um einen Greifvogel, Gabelweihe oder Milan genannt
(von Freud fälschlich mit "Geier" übersetzt). Weniger phallisch
fixierte Menschen lesen da Vincis frühesten Wunsch heraus, fliegen zu
wollen.
Chotjewitz fasst den einzigen Widerspruch Leonardo so zusammen: "Er
war ein Häretiker, nicht nur in Fragen der kirchlichen Orthodoxie, ein
Geheimniskrämer, im Grunde ein Hermetiker und Hexenmeister, als auch
Naturforscher, Wissenschafter, Philosoph und Künstler."
Selbstbeschreibung gefällig?: "Der
Geist des Malers muss dem Spiegel ähnlich werden, der sich mit
ebensoviel Abbildern füllt, wie er Gegenstände vor sich hat."
(L.d.V.) Müßig zu erwähnen, dass Leonardo sich im Grunde aber gar nicht
so sehr als Maler sah. Vor allem in seiner Zeit am Hofe des Mailänder
Fürsten Ludovico Sforza dominierte der Erfinder technischer
Gerätschaften in ihm.
Apropos Spiegel: Leonardo entwickelte eine wahre Meisterschaft darin,
von rechts nach links zu schreiben - und das noch spiegelverkehrt.
Der Rezensent tut es nun Chotjewitz gleich und fasst bruchstückhaft
zusammen, was ihm nach Leonardos Lektüre sonst noch in den Sinn kommt.
-) Da Vinci las gern und viel von Dante, der wie
er selbst eng mit der Kunsthauptstadt Florenz verbunden war. Dennoch notierte
der Maler, der eigentlich Erfinder sein wollte: "Zwischen Malerei und Dichtung
ist ein Abstand wie zwischen dem Körper und seinem Schatten. Nur die Malerei
kann die volle Wirklichkeit wiedergeben."
-) Sein Meisterwerk, "Il Cenacolo", der deutschen Zunge als "Das Letzte Abendmahl"
geläufig, prangt als Wandgemälde vom Refektorium des Klosters Santa
Maria delle Grazie bei Mailand. Es misst in der Breite fast neun Meter,
in der Höhe beinahe fünf. Leonardo da Vinci musste ein Gerüst bauen, um
es fertig zu stellen.
-) Im Pariser Louvre hängt eine leichherzige Dame aus Öl auf Holz, "La Gioconda", heißt sie. Als "Mona Lisa"
hat sie Weltberühmtheit erlangt. Ihr Lächeln - sofern es überhaupt als
solches gedeutet werden darf - gilt als "enigmatisch". Zwei
verschiedene Gesichtshälften schreiben manche ihr zu. Angeblich wäre
die 1505 farbengeborene Herzensbrecherin ein androgynes Abbild ihres
Schöpfers Leonardo selbst.
-) Das "Turiner Leichentuch", aus Linnen gefertigt, 4,36 mal 1,10 Meter
fassend, 1383 erstmals erwähnt, soll angeblich den Körperabdruck des
getöteten Messias in sich aufgesogen haben. Von vielen Menschen wird es
als Reliquie verehrt. Ernsthafte Forscher gehen mittlerweile der Frage
nach, ob da Vinci bei der Nachbearbeitung des Tuches seine Hand im
Spiel hatte. Es könnte sogar sein, dass das vermeintliche Antlitz
Christi jenes von Leonardo darstellt.
-) Liebhaber von Verschwörungstheorien sehen in Leonardo da Vinci den
geheimen Großmeister einer ultrageheimen Bruderschaft, die bis in
unsere Tage der Aufgabe nachgeht, das
"Blut Christi", seine
Nachkommenschaft (!), zu beschützen.
-) Leonardos Mutter Caterina gibt Rätsel auf. Außer ihrer lapidaren
Erwähnung in einer Steuererklärung von 1457 ist wenig über sie bekannt.
War die Dame nur eine Magd, schämte sich ihr Gatte für sie? Oder war
sie gar eine Sklavin aus dem Kaukasus, eine erbeutete Tscherkessin? Circassische
Frauen waren in Italien damals wegen ihrer Schönheit hochbegehrt.
Sonderbar detaillierte Briefe da Vincis, eigentlich Reiseberichte aus
Syrien und dem Kaukasus, verleiten manch "Leonardologen" zu dieser
Ansicht.
-) 1490 soll es in Mailand eine Werkstatt Leonardos gegeben haben, mit
riesigen Räumen und einer Schar von Schülern und Helfern. Mia fabbrica
nannte er das Atelier, für das er eine Art Aufzug entwarf, um seine
Arbeiten von Etage zu Etage zu transportieren. Der in die Technik
Vernarrte fand sich in der lombardischen Metropole gut aufgehoben;
Chotjewitz: "Mailand war das New York der frühen Neuzeit ...
Mailand liebte die Ingenieure. Wenn sie dann auch malen konnten, umso
besser ..."
-) Für den Dogen von Venedig fertigte da Vinci - ob der Türkengefahr - Pläne für
Vieles mehr gäbe es noch zu sagen, ganze Bücher könnten aus
Gedankensplittern erwachsen. Leonardo da Vincis ambivalente Person mag
wohl bis in alle Zeit geheimnisumflort bleiben, jedem den Zugang
bietend, den er wünscht und versteht - und das ist gut so. Ein Genie
vergeht nicht mit dem leiblichen Tod. Die ihm innewohnenden Ideen und
Mysterien leben fort, beflügeln wie ein Nibbio Generation für Generation Forschung und Fantasie, ganz im Sinne des Meisters selbst: "Wer wenig denkt, irrt sich oft".
(lostlobo; 03/2005)
Peter O. Chotjewitz: "Alles über Leonardo
aus Vinci"
Europa, 2004. 448 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Stefan Klein: "Da Vincis Vermächtnis oder Wie Leonardo die Welt neu erfand"
Leonardo war der erste moderne Mensch. Er entwarf funktionsfähige Roboter,
digitale Computer und baute die erste Herzklappe. Heute verehren wir Leonardo
als Maler, der
die Kunst der Renaissance
revolutionierte. Doch seine Zeitgenossen lobten und umwarben den Forscher in
ihm, der mit seinen bahnbrechenden Entdeckungen ein neues Zeitalter einläutete
- und ein neues Denken erfand. Denn Leonardo da Vinci verknüpfte
unterschiedlichste Wissensgebiete auf nie da gewesene Weise: intuitiv, kreativ
und frei von allen Tabus.
Stefan Klein entschlüsselt das vergessene Vermächtnis des Universalgenies und
zeigt dem Leser, wie man heute mehr denn je von seiner Art zu Denken lernen kann.
Er lüftet das Geheimnis der Mona Lisa, ergründet Leonardos Faszination für
Wasser und erklärt die wahre Bedeutung seines Traums vom Fliegen. Stefan Klein
erzählt die Geschichte eines Mannes, in dem man sich selbst wieder findet, eine
Geschichte von Sehnsucht, Triumph und Scheitern. (S. Fischer)
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Charles Nicholl: "Leonardo da Vinci. Die Biographie"
Maler, Erfinder, Anatom, Musiker und Philosoph: Leonardo da Vinci gilt als einer
der vielseitigsten und genialsten der großen Künstler - und als der
geheimnisvollste. Obwohl er für sein Werk seit Jahrhunderten gefeiert wird,
bleibt seine Person an sich schwer fassbar, verbleibt ein Großteil seiner
Lebensgeschichte im Verborgenen. Historisch genau und zugleich spannend erzählt
das Buch die Geschichte von Leonardos Leben - seiner Kindheit als Waise, den
Lehrjahren in Florenz, seiner Anstellung bei den großen Fürsten seiner Zeit
wie den Medicis
oder Borgias und von seinem Lebensabend im Schloss Clos Lucé bei Amboise im
Dienste Franz I. von Frankreich. (Fischer)
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Henning Klüver: "Leonardo da Vinci für die
Westentasche"
Maler und Zeichner, Naturforscher, Erfinder, Architekt, Schriftsteller,
Festegestalter - bei Henning Klüver erfahren Sie, was Sie unbedingt über
den rätselhaften Renaissancemenschen Leonardo da Vinci wissen müssen.
Als Maler und Zeichner ist der Mann aus Vinci bis heute eine Weltberühmtheit,
dessen Hauptwerke, so das "Abendmahl", genial vermarktet werden. Doch
er war auch als Wissenschaftler, Erfinder und Architekt ein Genie, ausgestattet
mit unbändigem Forscherdrang. Er entwarf und baute Flugmaschinen und Kanäle,
war Schriftsteller und Ausstatter von Festlichkeiten. Sein Leben war spannend
und voller Rätsel. Henning Klüver stellt Leonardo da Vinci (1452-1519) als
Menschen seiner Zeit vor, als das Universalgenie an der Schwelle zur Moderne,
das noch nach Jahrhunderten unsere Fantasie beschäftigt. (Piper)
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Leonardo da Vinci: "Der Esel auf dem Eis"
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Vermeulen: "Der Maler des Verborgenen"
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"Leonardo da Vinci"
Aus der Reihe "Kinder entdecken berühmte Leute" (Ab 8 j.) zur Rezension ...
Weitere Titel aus der Reihe
"Alles über ..." des Europa Verlags (Auswahl):
"Alles über Paris"
Paris war die erste moderne Weltstadt und ist bis heute die Stadt mit der
vermutlich größten Dichte an Sehenswürdigkeiten. Bilder vom Eiffelturm, von
Notre-Dame oder Sacre-Coeur, vom Triumphbogen kommen einem in den Sinn, wenn
nur der Name Paris fällt. Nach wie vor ist Paris ein internationales Zentrum
der Kultur, der Mode, des guten Essens, und auch der Mythos Paris ist nicht
verblasst: Paris die Stadt des Lichts, die Stadt der Liebe. Ulrich Wickert hat
lange Jahre in Paris gelebt, er wuchs in einem Vorort von Paris auf und besuchte
ein französisches Gymnasium. Seit 1969 berichtete er über die Präsidentschaftswahlen
in Frankreich und war zehn Jahre als Korrespondent der ARD
in
Paris tätig.
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"Alles über Alice"
"Alles über Alice" ist ein großes Hausbuch für die ganze
Familie, zum erstmals oder wieder Lesen der
Carroll-Texte und zum Entdecken
zahlreicher, vielfältiger wie anregender Geschehnisse und Geschichten drum
herum.
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"Alles über Huckleberry
Finn"
Mark Twain ist Amerikas berühmtester humoristischer Autor, und die
"Abenteuer von Huckleberry Finn" ist das berühmteste seiner
zahlreichen weltberühmten Bücher. Dies ist das Reisetagebuch von Tom Sawyers
Freund Huck, einem ungebildeten Knaben und Rotzlöffel wie er bislang noch in
keinem Buche stand, der so redet, wie ihm der Schnabel gewachsen ist. Kein
anderes Buch von Mark Twain erregte ein derartiges Aufsehen. Für die Sittenwächter
gehörte es auf den Index (wo es auch landete), für alle Anderen markiert das
Erscheinungsjahr 1884 eine Sternstunde der Weltliteratur. Oder mit den Worten
von Ernest Hemingway: "Die gesamte amerikanische Literatur stammt von einem
Buch von Mark Twain ab, das Huckleberry Finn heißt. Vorher gab es nichts, und
hinterher hat es nichts Vergleichbares mehr gegeben."
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"Alles über den Zauberer
von Oz"
"Der Zauberer von Oz" ist die Krönung des us-amerikanischen Märchens.
Als Dorothy und Toto zum ersten Mal die gelbe Pflasterstraße entlanggingen,
konnten sie nicht ahnen, dass ihre Geschichte ein Phänomen werden sollte, dass
die Kinder und Erwachsenen bis auf den heutigen Tag in den Bann ziehen würde.
"Alles über den Zauberer von Oz" präsentiert die Originalgeschichte,
die in diesem Buch anhand der Ausgabe von 1900 reproduziert wird. Hearns
unterhaltsame Randbemerkungen, die das Resultat von mehr als drei Jahrzehnten
Recherche darstellen, lassen alle wichtigen zeitgenössischen Äußerungen zum
"Oz" zu Wort kommen, würdigen sämtliche Deutungen des Textes und
porträtieren die berühmten Helden in ihrer ganzen Vielschichtigkeit.
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