Leseprobe
Ich
sah trübe in die Zukunft. Juden und Araber waren gegen den Krieg, in der Provinz
murrten die großen Grundbesitzer über die Kosten, die die Durchmärsche verursachten,
und die Städte seufzten unter der Last der neuen Steuern. Bald nach der Rückkehr
des Kaisers brach wie ein Vorbote schweren Unheils ein Erdbeben über uns herein,
das mitten in einer Dezembernacht ein ganzes Viertel von Antiochia niederlegte.
Trajan, der von einem stürzenden Balken getroffen war, half trotz der erlittenen
Quetschung tapfer bei der Bergung der Verwundeten. Als aber der syrische Pöbel
nach einem Sündenbock schrie, beging der sonst so duldsame Kaiser den Fehler,
eine Anzahl von Christen umbringen zu lassen. Ich liebe diese Sekte nicht, muss
aber sagen, dass der Anblick der gepeitschten Greise und hingemordeten Kinder,
ein düsteres Schrecknis in diesem grauen Winter, nicht dazu angetan war, die ohnehin
erregten Gemüter zu beruhigen. Da es an Geld fehlte, um die angerichteten Schäden
sofort zu beheben, lagerten Tausende von Obdachlosen auf den Plätzen. Auf meinen
Besichtigungsreisen erfuhr ich von einer dumpfen Unzufriedenheit und einem glimmenden
Hass im Volk, von denen die Würdenträger im Kaiserpalast sich nichts träumen ließen.
Inmitten der Trümmer arbeitete Trajan unbeirrt an den Vorbereitungen für den kommenden
Krieg weiter. Für die Flöße und Schnellbrücken über den Tigris musste ein ganzer
Wald abgeholzt werden. Mit heller Freude hatte der Kaiser die neuen Ehrentitel
entgegengenommen, mit denen der Senat ihn überhäufte; jetzt eilte es ihm, mit
Asien fertig zu werden, um im Triumph in Rom einziehen zu können. Die geringste
Verzögerung rief Wutausbrüche hervor, die ihn wie ein Krampf schüttelten.
Der Mann, der mit ungeduldigen Schritten die weiten Säle des alten Seleukidenpalastes
durchmaß, die ich, ach so ungern! ihm zu Ehren mit Lobsprüchen und dakischen
Trophäen ausgeschmückt hatte, war nicht mehr der gleiche, der mich vor nun zwanzig
Jahren in
Köln empfangen hatte. Mit den Jahren waren auch seine Vorzüge entartet.
Seine etwas derbe Leutseligkeit, hinter der sich früher echte Güte verborgen
hatte, war zur gewöhnlichen Manier geworden, seine Entschlossenheit zum Eigensinn.
Seine Gabe für das Nächstliegende und Durchführbare hatten sich in geistige
Trägheit verwandelt. Die ritterliche Achtung, die er der Kaiserin entgegengebracht
hatte, und die etwas bärbeißige Zärtlichkeit, die er seiner Nichte Matidia zu
bezeugen pflegte, hatten einer greisenhaften Hörigkeit diesen Frauen gegenüber
Platz gemacht, deren Rat er gleichwohl immer mehr in den Wind schlug. Krito,
sein Arzt, war wegen seiner Leberschmerzen
in Sorge, er selber achtete nicht darauf. Von je wenig wählerisch in seinen
Vergnügungen, sank er in dieser Hinsicht immer tiefer. Dass der Kaiser sich
mit jungen Leuten, die ihm gefielen, Orgien hingab, wie sie die Kaserne kennt,
mochte wenig ausmachen. Schlimmer war, dass der übermäßige Genuss des Weines,
den er nicht vertrug, eine Hofgesellschaft, die immer mehr von zweideutigen
Freigelassenen gegängelt wurde, imstand setzte, alle meine Gespräche mit ihm
anzuhören und meinen Widersachern zu hinterbringen. Bei Tage sah ich den Kaiser
nur während der Stabsbesprechungen, wo ich keine Gelegenheit hatte, meine Ansicht
offen zu äußern. Jedem Beisammensein unter vier Augen wich er aus, wobei der
Wein den wenig findigen Mann stets zu neuen, plumpen Ausflüchten ermunterte.
Entgegen seiner einstigen Zurückhaltung legte er jetzt Wert auf meine Anwesenheit
bei seinen Bacchanalen.
Der Lärm, das Gelächter, die albernen Späße seiner Jünglinge boten ihm willkommenen
Anlass, mir zu bedeuten, dass für ernste Dinge im Augenblick keine Zeit sei.
Er lauerte darauf, mich benebelt zu sehen, bis sich der Saal rings drehte und
die Köpfe der von den Barbaren erlegten Auerochsen mich von den Wänden anzugrinsen
schienen. Krug um Krug kreiste, hier und da schrillte durch das Gegröle
weinseliger Lieder das freche Kichern eines hübschen Pagen. Abgedichtet
hinter den Mauern einer vielleicht zur Hälfte gespielten Trunkenheit, stützte
der Kaiser seine immer zittrigere Hand auf den Tisch, während seine Träume in
die Ferne schweiften, weithin über die Straßen des Orients.
Unglücklicherweise
waren es schöne Träume. Wie glichen sie doch denen, die mich einst gelockt hatten,
jenseits des Kaukasus die unbekannte Weite zu suchen! Der Zauber, dem der gealterte
Kaiser sich nachtwandlerisch hingab, hatte schon einen Alexander bestrickt. Zwar
hatte der Makedonier diesen Traum zum großen Teil verwirklicht, war darüber aber
auch mit dreißig Jahren gestorben. Dass diese kühnen Pläne im Grunde auf vernünftigen
Erwägungen beruhten, erhöhte nur ihre Gefährlichkeit. Wie stets sprach ein Überfluss
an sachlichen Gründen für den Aberwitz und drängte zur Ausführung des Unausführbaren.
Schien es doch angebracht, die asiatische Frage, die uns seit Jahrhunderten beschäftigte,
ein für allemal zu lösen. Unser Warenaustausch mit Indien und dem geheimnisvollen
Seidenland dahinter lag ausschließlich in den Händen der arabischen Reeder und
jüdischen Kaufleute, die in den Häfen und auf den Straßen der Parther Zollfreiheit
genossen. Gelang es uns, das weite, ungewiss verfließende Reich der Arsakiden
zu erobern, grenzten wir unmittelbar an diese gesegneten Länder am Rande der Welt,
und das endlich geeinte Asien wurde zur neuen römischen Provinz. Vom Hafen von
Alexandria aus lief unser einziger Handelsweg nach Indien, der nicht vom guten
Willen der Parther abhing. Dafür hatten wir es auch ständig hier mit den Forderungen
und Treibereien der Judenschaft zu tun. Ein erfolgreicher Heereszug Trajans hätte
es uns ermöglicht, den unruhigen ägyptischen Hafen künftig beiseite zu lassen.
Und doch haben mir alle diese Gründe nie recht eingeleuchtet. Vernünftige Handelsverträge
wären mehr nach meinem Sinn gewesen, schon schwebte mir der Gedanke vor, den ich
später ausführen sollte, als ich Antinoë gründete, nämlich in der Gegend des Roten
Meeres eine weitere griechische Niederlassung zu schaffen, die uns Alexandria
entbehrlicher machte. Allmählich begann ich mich in den verwickelten asiatischen
Zuständen zurechtzufinden. Mit einem Ausrottungskrieg, wie er in Dakien geglückt
war, war es in diesem Erdteil mit seinem mannigfachen, tiefgründigen Leben, der
zudem über so gewaltigen Reichtum gebot, wahrlich nicht getan. Jenseits des Euphrat
lauerte auf uns die trügerische Welt gefährlicher Sinnestäuschungen, wo der Fuß
im Sand versinkt
und die Wege ins Nichts sich verlaufen. Der geringste Rückschlag hätte eine Erschütterung
unseres Ansehens zur Folge gehabt, aus der unsägliches Unheil entstehen konnte.
So waren wir nicht nur gezwungen zu siegen, sondern fort und fort zu siegen, bis
unsere Kraft versagte. Der Versuch war ja schon einmal gemacht worden: mit Grauen
dachte ich an das Haupt des Crassus, das schmählich von Hand zu Hand geflogen
war, bei jener Aufführung der Bacchantinnen
des Euripides, die der Barbarenkönig, stolz auf seine hellenische Bildung,
am Abend seines Sieges über Rom veranstaltet hatte. Wenn Trajan davon träumte,
diese alte Niederlage zu rächen, so kam es mir mehr darauf an, dass sie sich nicht
wiederholte. Ich sah die Zukunft ziemlich deutlich voraus, was nicht so schwer
ist, wenn man sich in großen Zügen über die Gegenwart klar wird. Nutzlose Siege
würden unsere von den entblößten Grenzen fortgezogenen Truppen zu tief nach Asien
hineinlocken. Der sterbende Kaiser würde eitlen Ruhm ernten, uns Überlebenden
aber es überlassen, das Unglück auszubaden und den Knäuel der entstandenen Schwierigkeiten
zu entwirren.
Wie recht hatte doch Caesar, als er lieber der Erste in einem
Dorf sein wollte als der Zweite in Rom. Nicht aus Ehrgeiz und Ruhmsucht, sondern
weil dem Zweiten nur die Wahl bleibt zwischen einem misslichen Gehorsam und einem
misslichen Ungehorsam oder auch der noch schlimmeren Gefahr einer Mischung aus
beidem.
Aus dem Roman "Ich zähmte die Wölfin" von Marguerite Yourcenar
erschienen im dtv- Verlag