Gerda Anger-Schmidt, Renate Habinger: "Neun nackte Nilpferddamen"

Aller Unsinn macht Spaß

"Taghell war's, die Nacht lag dunkel 
auf dem blau vereisten Meer,
als ein Boot im Lichtkarfunkel
unbeleuchtet kam daher ..."


Kommen Ihnen diese Zeilen möglicherweise irgendwie vertraut vor? Oder kennen Sie diese Sportarten: Nanu fahren, Tiefschnee rauchen, Formel Heinz? Wissen Sie, wie der Igelefant, der Okapinguin, das Wildschweinhorn und die Schwantilope leben? Wie innerlich zerrissen der Kamelch (zwei Höcker, Geweih!) zwischen Wüste und Fjorden pendelt?
Oder erinnern Sie sich vielleicht an das "Sprachbastelbuch"?
"Neun nackte Nilpferddamen" kann wohl als direkter Nachfahre dieses Klassikers bezeichnet werden: ein ungeheuer kreatives Sprachbilderbuch nämlich, prall gefüllt mit gehobelten und ungehobelten Reimen, köstlichen Bildern, absurden und komischen Geschichten, witzigen Sprüchen, Anregungen für Spiele (z. B. "Stein zu Stein", "Mumienspiel"), und zwischendurch huscht immer wieder der offenbar fest angestellte Druckfehlerteufel schalkhaft über die Buchseiten, der dafür sorgt, dass beispielsweise bekannt klingende Redensarten und Sprichwörter ("Wer zuerst kommt, zahlt zuerst", "Wer nicht stören will, muss spülen"), Grüße ("Rohe Eiertage!") oder Liedtitel ("Leise wehen meine Mieder"!) schlagartig neue Sinngehalte aufweisen, oder dass eine Speisekarte ungeahnte Köstlichkeiten wie "Französische Bibelsuppe" und "Riesenotto" anführt. Wörtlich Genommenes, mit lustvoll-leichter Hand Dargestelltes ergibt ungemein stimmige Illustrationen (z. B. werden tatsächlich "Nägel mit Köpfen" gemacht, ein Nilpferd jodelt hemmungslos, und auf die Darstellung der Nieswurz wäre zumindest Schmunzelgarantie zu gewähren ...)

Zu jedem Buchstaben des Alphabets bietet das Buch ein Feuerwerk an die Fantasie anregenden Sätzen, einzelnen Wörtern, Bildern, die allesamt unbändige Lust an der Abbildung sprachlicher Kreationen zum Ausdruck bringen. Sprache schafft bekanntlich Wirklichkeit - und "Neun nackte Nilpferddamen" vollbringt das Kunststück, dem Leser/Betrachter auf charmante Art reizvolle Blickwinkel zu erschließen, ihn geradezu mitzureißen, und den mitunter starren Panzer des alltäglichen Sprachgebrauchs durch befreites Lachen zu sprengen.
Wühlen Sie nach Herzenslust im geordneten Chaos oder suchen Sie gezielt nach einem Buchstaben Ihrer Wahl. Genießen Sie den Ideenreichtum, die kindliche Freude am Spontanen! Es macht einfach Spaß, beispielsweise die Tierkreiszeichen einmal etwas anders zu Gesicht zu bekommen: als Möwe, Jungsau, Ritter oder Plage! 

Die mit viel Liebe zum Detail in allerlei Varianten gezeichneten Buchstaben sind Bausteine - auch, um der eigenen Fabulierlust Gestalt zu verleihen. Wer also Geschmack an Sprache und Zeichnungen - sozusagen aus artgerechter Haltung - findet, wird von "Neun nackte Nilpferddamen" bestimmt hingerissen sein und begeistert immer wieder neue Dinge darin aufstöbern. Als Wienerin amüsiert mich der gezeichnete Anstecker mit der Aufschrift "Edel sei der Hund, hilfreich und rund" nachhaltig. Ja, und die neun nackten Nilpferddamen, die warten kokett in einem Suchbild auf Seite 89 darauf, erspäht zu werden!

Optisch erinnert das Buch entfernt an ein Registerheft (alphabetischer Aufbau, mit entsprechender Randleiste). Worte und Zeichnungen ergänzen sich kongenial - wie man es bereits aus "Springt ein Schwein vom Trampolin" kennt. 
Und wo sonst finden Sie einen "Wut-Zettel" mit Gebrauchsanleitung? 

Hoffentlich entdecken Gerda Anger-Schmidt und Renate Habinger nach der Welt der Buchstaben demnächst neue Welten (eventuell jene der Zahlen?) und kartografieren diese ebenso gelungen! "Neun nackte Nilpferddamen" ist ein Buch, das einen mit einem gewissen Bedauern darüber zurücklässt, dass unser Alphabet nicht mehr Buchstaben hat!

(kre; 10/2003)


Gerda Anger-Schmidt, Renate Habinger: "Neun nackte Nilpferddamen"
NP-Verlag, 2003. 124 Seiten. (Ein Buch für jedes Alter!)
ISBN 3-85326-272-4.
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