Ingeborg Gleichauf: "Sein wie keine andere"
Simone de Beauvoir
Denken,
Leben und Schreiben
Simone de Beauvoir: Philosophin, Schriftstellerin und
Gesprächspartnerin
Sartres.
Ingeborg Gleichauf nähert sich einer Schriftstellerin an, "der
man
zuschauen kann beim Schreiben" und einer Philosophin, "der
man
zuschauen kann beim Denken."
Am 9. Januar 2008 wäre Simone
de Beauvoir 100 Jahre alt geworden. Die französische
Philosophin und
Schriftstellerin wuchs in einer Zeit auf, in der Frauen keine Autonomie
kannten.
Die "Tochter aus gutem Hause" durchbrach dieses Muster. Sie
gehörte
zu den Ersten, die durch ihren Bildungsweg finanzielle
Unabhängigkeit von den
Eltern erlangten und ihr Leben jenseits aller bürgerlichen
Konventionen lebten.
Leben und Werk dieser außergewöhnlichen Frau haben
das intellektuelle Leben
Frankreichs und Europas im 20. Jahrhundert entscheidend und
unvergesslich
mitgeprägt.
Simone de Beauvoirs 100. Geburtstag bietet die Chance einer
Neuentdeckung, die
Entdeckung einer Frau, die schon als junge Studentin ein klares Ziel
hatte: "Sein
wie keine andere."
Mit ihrem Lebensgefährten
Jean-Paul Sartre führte sie eine symbiotische Beziehung, die
jeglichen Rollen-
und Beziehungsmodellen der Epoche widersprach. Im Alter von
einundzwanzig Jahren
schloss sie mit dem zwei Jahre älteren Philosophen einen, im
Umfeld der dreißiger
Jahre skandalös und provozierend wirkenden, "Pakt". Als
Gegenentwurf
zur konventionellen Ehe definierte er eine neue Form von Paarbeziehung,
die
erotische Freizügigkeit ein-, dafür jedoch jede Form
von Heuchelei ausschließen
sollte, eine Partnerschaft von gleich zu gleich und auf allen Gebieten.
Die Autorin Ingeborg Gleichauf,
die Philosophie und Germanistik studiert und bereits mehrere
Philosophinnen und
Dichterinnen porträtiert hat, ist überzeugt, dass
Simone de Beauvoir jungen
Menschen auch heute noch etwas zu sagen hat. Und wirklich: Die Leser
lernen eine
faszinierende Persönlichkeit kennen, die in ihrem Engagement
und ihrer
Leidenschaft immer noch Vorbild sein kann. Mutig und konsequent ging
Simone de
Beauvoir ihren Weg, angetrieben von ihrer immensen Neugierde auf die
Welt.
Flaneurin des Geistes
De Beauvoir war eine Flaneurin des Geistes, deren große
Bedeutung bis heute
auch nicht annähernd gewürdigt worden ist. Sie lebte
ihr Leben sperrig,
widerständig, rebellisch und war eine großartige
Denkerin. Sie hat
scharfsinnig über die Rolle der Frau nachgedacht und in den
philosophischen
Fragen ihrer Zeit unüberhörbar mitgeredet.
Freiheit, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung betrachteten
Jean-Paul Sartre
und Simone de Beauvoir als die Fundamente aller Werte: erst durch seine
Handlungen definiert sich der Einzelne; es komme darauf an, sich zu
entscheiden,
ohne sich hinter Traditionen und Religionen, Doktrinen und Ideologien
zu
verstecken - auch wenn die Verdammung zur
Freiheit Angst hervorrufe.
Die Annäherung an de Beauvoir
gestaltet Ingeborg Gleichauf sehr persönlich. Sie holt eine
faszinierende und
streitbare Persönlichkeit an die Oberfläche. Dabei
steht in diesem Buch nicht
der wissenschaftliche Anspruch im Vordergrund. Die
Perspektive, aus der
dieses Porträt geschrieben wurden, ist fast mit einem Tagebuch
aus de Beauvoirs
Feder vergleichbar, die ihre Lebensgeschichte dem Leser chronologisch
erzählt
und erklärend beleuchtet.
Die Freiburger Publizistin Ingeborg Gleichauf versetzt sich ganz tief
in de
Beauvoirs Denk- und Verhaltensweisen, zeigt aber wiederum mit
eigenständigem
Blick, mit welcher Wachheit und Energie Simone de Beauvoir auf
gesellschaftliche
und politische Veränderungen reagierte und wie sehr sie mit
ihrem Leben und
Werk noch immer zu faszinieren vermag.
Schlaglichtartig treten
einzelne Facetten ihrer Persönlichkeit hervor: ihre Jugend,
die Rebellion gegen
die bürgerliche Moralvorstellung ihres Elternhauses, ihr Weg
zur Philosophin
und Schriftstellerin, die Zeit des Zweiten Weltkrieges, ihre
Beziehungen
(philosophischer und erotischer Natur) zu Jean-Paul Sartre,
zu Nelson Algren, zu
Claude Lanzmann und zu Sylvie le Bon.
Irrtümer werden nicht
ausgespart
Ein ganz großer Pluspunkt des Buches ist, dass es zwar mit
viel Sympathie für
die Protagonistin geschrieben wurde, sie aber weder vereinnahmt, noch
zur Heldin
verklärt.
Der Leser erfährt nicht nur vieles über de Beauvoirs
Schwächen, ihre
Selbstzweifel, ihre Niederlagen, die sie in der Regel auch selbst
schonungslos
reflektiert hat. Auch ihre - aus heutiger Sicht - Irrtümer
werden nicht
ausgespart.
Wir erleben eine Frau, die ihre tiefgründige Bindung an Sartre
mit viel Verständnis beleuchtet und ihre selbst
gewählten sexuellen
Freiheiten, die doch auch nicht schmerzfrei waren, kritisch analysiert
hat.
Es ist ein Vergnügen, der
Lebensgeschichte der aus bourgeoisen Verhältnissen stammenden
Rebellin zu
folgen, ihre Entwicklung von der zunächst politisch
desinteressierten, aber
geistig ungemein beweglichen jungen Frau zur engagierten
Frauenrechtlerin mit
sozialistischen Tendenzen zu begleiten.
Gleichwohl macht die Autorin Lust darauf, sich Simone de Beauvoir noch
intensiver zu nähern: ihre Bücher zu lesen und vor
allem zu entdecken. Denn,
so Gleichauf, "man kann eine Frau kennenlernen, deren
gesamtes Werk nur
in Verbindung mit ihrem Leben verstanden werden kann und deren Leben
ohne ihr
Werk ebenfalls unverständlich bleibt."
Gute und schwungvoll erzählte
Biografie
Das Buch liest sich leicht, fast wie ein Roman, und ist doch sehr
detailgenau
und differenziert. Gewissermaßen erlebt man de Beauvoirs
Leben - jede Reise,
jede Liebschaft, jede neue Erfahrung, jedes Buchprojekt - noch einmal
mit ihren
eigenen Augen. Es ist Ingeborg Gleichauf sehr gut - das heißt
ohne waghalsige
Spekulationen, aber durchaus mit kritischem Abstand - gelungen, de
Beauvoirs
einzelne Lebensabschnitte mit ihren jeweiligen Romanen und
philosophischen
Schriften zu verzahnen.
"Sein wie keine
andere" ist eine gute und schwungvoll erzählte Biografie, in
welcher der
Leser noch viele Seiten von Simone de Beauvoir entdecken kann, die
bislang noch
nicht bemerkt wurden. "Das Buch ist eine gute
Möglichkeit, sich de
Beauvoir auf eine Weise zu nähern, die ungewohnt ist und die
sie aus ihrer
Erstarrung herausnimmt und ihr etwas Neues und Lebendiges gibt.",
sagt
die Autorin selbst.
Eine Zeittafel mit den
wichtigsten Lebensdaten sowie zahlreiche Bilder ergänzen das
Werk. Beigefügt
ist außerdem ein Pariser Stadtplan, auf dem de Beauvoirs
wichtigste Adressen,
Cafés, Bibliotheken, Parks etc. verzeichnet sind; geradezu
prädestiniert, sich
dieser bemerkenswerten Frau ganz persönlich, also vor Ort, zu
nähern.
Ein Buch für all jene, die neugierig sind auf das Leben und
Werk von Simone de
Beauvoir. Also auch für all jene, die die Denkerin noch gar
nicht kennen. Und
es spricht gleichfalls ganz konkret auch jugendliche Leser an.
Fazit
"Sein wie keine andere" ist die durchgehende geschickte Verflechtung
von Beschreibung und Analyse mit Zitaten aus de Beauvoirs
Tagebüchern, Briefen
und Werken; ein absolut authentisches Werk, das sich stellenweise wie
eine
Autobiografie liest.
Damit setzt die Autorin genau
das um, was de Beauvoir einmal selbst über sich gesagt hat: "Mein
Werk
ist mein Leben."
(Heike Geilen; 01/2008)
Ingeborg
Gleichauf: "Sein wie keine andere. Simone de Beauvoir"
dtv junior, 2007. 298 Seiten. (Ab 14 J.)
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Weitere
Buchtipps:
Simone de Beauvoir: "Ein sanfter Tod"
Im Alter von 77 Jahren stürzt die Mutter von Simone de
Beauvoir im
Badezimmer und wird in die Klinik gebracht. Dort stellen die
Ärzte eine
fortgeschrittene Krebserkrankung fest. Eine Diagnose, die den
Freundeskreis der
heiteren Frau, vor allem aber die beiden Töchter
Hélène und Simone erschüttert.
Die Lektüre dieser sehr intimen und schonungslosen
Aufzeichnungen, die weit über
ein Protokoll des langsamen Sterbens hinausgehen, ist lohnenswert. Der
Tod eines
geliebten Menschen konfrontiert nicht nur mit der eigenen
Vergänglichkeit, er
kann auch als eine Chance begriffen werden, sich auf den Sinn und die
Kostbarkeit eines jeden Augenblicks zu besinnen.
Die liebende Begleitung der sterbenden Mutter wird zu einem Geschenk
für beide.
Für die Mutter, der durch die Fürsorge
unnötige Qualen erspart werden, und für
die Tochter, die einen neuen Zugang zu ihrer Mutter findet, gegen deren
Religiosität und Lebenseinstellung sie sich lange gesperrt
hatte. (Edition
Ebersbach)
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Alice Schwarzer: "Simone de Beauvoir. Ein Lesebuch mit Bildern"
Für Generationen von Frauen war die französische
Autorin Vorbild und
Wegbereiterin: als eine Frau, die Emanzipation praktisch lebte und
zugleich mit
ihren Büchern die theoretischen Grundlagen dafür
lieferte. Und heute? Was ist
geblieben von den Einsichten und Forderungen einer Frauenbewegung, die
viele
positive
Veränderungen erreicht hat in unserer Gesellschaft?
Welche Texte der
Autorin Beauvoir haben Bestand? Alice Schwarzer, die mit Simone de
Beauvoir gut
befreundet war, zieht Bilanz und liefert ein ganz persönliches
Porträt der
französischen Kollegin: mit einer Auswahl ihrer wichtigsten
Texte, einem
eindrucksvollen Fototeil und einem ausführlichen Essay
über die Frage, welche
aktuelle Bedeutung Simone de Beauvoir heute und in Zukunft hat.
(Rowohlt Reinbek)
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Alice
Schwarzer: "Simone
de Beauvoir. Weggefährtinnen im Gespräch"
"Dieses Buch wird helfen, die Sache, der ich so tief verbunden
bin,
besser zu verstehen." Simone de Beauvoir
Alice Schwarzers Gespräche mit Simone de Beauvoir sind das
Herzstück dieses
Buches. Sie wurden in den so bewegten Jahren 1972 bis 1982
geführt und damals
weltweit veröffentlicht und diskutiert. Die Gespräche
gelten als Schlüssel
zum politischen Teil von Simone de Beauvoirs Werk und Leben. Die
Einheit von
Werk und Leben machte Simone de Beauvoir zum Modell der engagierten
Intellektuellen unserer Zeit ("Ich hielt mich nicht
für eine 'Frau',
ich war ich.")
Die Gespräche sind - für die als sehr scheu und
spröde bekannte Simone de
Beauvoir - von einer ungewöhnlichen Offenheit und
Intimität. Was der persönlichen
Beziehung der beiden Frauen zu verdanken ist: Alice Schwarzer war
politische
Weggefährtin und Freundin. Die Fragen, die darin aufgeworfen
werden - Identität,
Macht, Liebe, Kinder, Politik - sind hochaktuell. (KiWi)
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Hazel
Rowley: "Tête
à tête - Leben und Lieben von Simone de Beauvoir
und Jean-Paul Sartre"
Die gegen viele Tabus öffentlich gelebte Beziehung der beiden
Intellektuellen währte
über 50 Jahre und beeinflusste ganze Generationen. Anhand
privater
Aufzeichnungen von Gesprächen und bisher
unveröffentlichten Korrespondenzen
enthüllt Hazel Rowley in diesem spektakulären
Doppelporträt die Realität
dieses Paares hinter seiner öffentlichen Fassade: Allzu
menschliche Gefühle
wie Eifersucht, eine Vielzahl von Liebschaften, die benutzt und wieder
abgelegt
wurden, Heuchelei, Begehren aber auch Gefühlskälte
treten dabei zutage. So
prahlte Sartre mit neun erotischen Verhältnissen, die er
gleichzeitig
unterhielt, und Beauvoirs Liebhaber, der Chicagoer Schriftsteller
Nelson Algren,
erfuhr die Wahrheit über seine Beziehung erst, als er ihre
Memoiren las. Doch
die Autorin verurteilt das Paar nicht, dessen Werke so tief im Leben
der beiden
Personen wurzeln. Denn es war genau dieses private Experimentfeld, das
den Weg
öffnete von der Leidenschaft hin zu einer intellektuellen
Schärfe, die unser
Denken bis heute prägt. (Parthas Verlag)
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