„Wollen wir so tun,
als wenn wir zusammen leben?“ fragte ich.
Mark guckte mich verdutzt
an, ohne seine Hand von meinem Oberschenkel zu nehmen. Ich blickte so erwartungsvoll
ich konnte zurück, zog mein Kinn leicht nach unten, vergrösserte meine Augen,
und schlug ein paar Falten in die Stirn.
„Na?“ fragte ich wieder.
Wieso antwortete er denn jetzt nicht? Ist doch eine ganz einfache Frage!
„Wie – zusammenleben!
Ich meine, warum willst Du das!?“
„Ich weiss ja eben nicht,
ob ich es will.“ erklärte ich ihm so behutsam ich konnte, während ich seine Hand
meine nackte Haut hinauf bis zu meiner Wange schob, die ich ihm seicht in die
Handmulde legte.
„Ich will nur so tun.
Das ist dann sozusagen eine Probe für uns.“ Ich schloss die Augen, und legte mich
schief in die Mulde, während ich tief durchatmete. Auf einmal fing Mark an, zu
lachen.
„Du bist bescheuert.“
„Wieso?“
„So tun, so tun. Willst
Du mich testen?“
„Ich will
uns testen.“
Ich
öffnete meine Augen, sah ihn an, und legte mich tiefer in die Mulde.
„Von mir aus.“ sagte
Mark. „Ich weiss zwar nicht, was das soll, aber Du wirst bestimmt Deinen Spass
haben.“
„Es geht hier doch nicht
um Spass. Es geht hier um Wahrheit spielen.“
Ich setzte seine Mulde
ab, und legte mich unter meine Bettdecke. Das fing ja gut an. Glaubte er, ich
würde mit ihm einfach so zusammen ziehen, mit dem vollen Risiko, dass nach kurzer
Zeit alle Möbel, alle Bilder, alles gemeinsam Gekaufte wieder aufgeteilt werden
konnte? Ich wollte mir einfach sicher sein, das konnte doch nicht zu viel verlangt
sein!
„Gute Nacht.“ sagte
ich. „Schlaf gut.“
„Willst Du mich gar
nicht berühren? Hast Du irgendwas?“
Ich spürte, wie Mark
versuchte, sich einen Weg durch meine Bettdecke zu bahnen. Ich aber war schneller,
und kappte seinen Annäherungsversuch, indem ich mich auf den Rand der Decke legte.
„Wir leben doch jetzt
zusammen. Da haben wir uns sowieso jeden Tag.“ Ich robbte ein wenig weiter in
Richtung Bettkante, und murmelte mich ein wie ein Schlaftier.
Vielleicht sollte ich
ihm die ganzen sagen wir nächsten vier Wochen den Beischlaf verweigern, dann werde
ich ja sehen, worauf es ihm ankommt. Dann kommt die Wahrheit ans Tageslicht. Vielleicht
ist er dann nicht mehr der Verständnisvolle wie jetzt. Vielleicht verschieben
sich dann kurzfristig seine Prioritäten.
Der aufgebrühte Kaffee
umsäumte meine Nase, und liess in mir ein brodelndes Gefühl von warmer Geborgenheit
aufsteigen. Nur zu gerne wollte ich auf diesem Stuhl in der Küche sitzenbleiben,
um den ganzen Tag in einer Frauenzeitschrift nach der anderen zu blättern. Es
tat mir gut, diese Artikel zu lesen, zumindest merkte ich, dass sie mir nicht
wirklich schadeten, da sie keinen schalen Geschmack wie bei politischen oder anderen
Aufsätzen hinterliessen. Nach der Lektüre blieb einfach ein klares, sanftes Bächlein,
das portioniert und gefällig kleine Tropfeinheiten in den bescheiden bepflanzten
See hinein rieseln liess. Ein überschaubarer See, der den anderen Seen sehr ähnlich
war, und sich darum mal hier und mal da eine Kleinigkeit auszuborgen pflegte.
Ich legte meine Füsse
hoch. Und ich genoss es, mir über meine noch halb schlafende Kopfhaut zu streicheln.
„Guten Morgen.“ Ich
zuckte zusammen, hatte ich doch für einen kleinen Augenblick vergessen, dass ich
nicht alleine war. Seit sieben Jahren wohnte ich alleine. Und jetzt stand am frühen
Morgen, in Shorts und verwaschenem T-Shirt auf einmal ein Mann vor mir. Ich hatte
sonst nur am Wochenende Männer bei mir schlafen lassen. Und jetzt, da ich Mark
so sah, fielen mir seine kleinen Augen auf, die so schmal wie die eines Chinesen
waren. Und als er gähnte, konnte ich sehen, wie sich seine Mandeln im Rachen breit
machten.
„Wie siehst Du denn
aus?“
Kann er sich nicht vorher
anziehen?
Ich pustete so kräftig
in meinen Kaffee, dass ein paar Tropfen überschwappten, und auf meinem nackten
Oberschenkel stumm zischten. Mein eingelaufenes Nachthemd zog ich so weit es ging
nach unten, bis über meine Knie. Mein Nachthemd. Ich hätte mir etwas anziehen
sollen. Zudem mein Nachthemd noch nicht einmal vorzeigefähig war. Aber er schien
ihn gar nicht zu stören. War es ihm egal, wie ich aussah? Oder guckte er mich
am Ende gar nicht richtig an?
„Guten Morgen.“ sagte
er wieder.
„Morgen.“ Mir fielen
seine falsch angeschraubten Beine auf. Noch ein Grund, warum er sich hätte anziehen
sollen. Bevor mir noch weitere Details ins Auge stechen konnten, begann Mark,
nacheinander die Schranktüren zu öffnen.
Wenn er was braucht,
soll er‘s mir doch sagen.
Ich widmete mich wieder
meiner Frauenzeitschrift, und erblickte zwei Frauen, die einander berührten, dabei
lachten, und einen kessen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatten. Mark hatte anscheinend
immer noch nichts gefunden.
„Was suchst Du?“
„Tee.“
„Wieso fragst Du mich
nicht.“ Die Frauen miauten mich an.
„Ich bin noch müde.
Ich rede morgens nicht so gerne.“
„Aha.“ Die Frauen zeigten
mir jetzt ihre Krallen. Scharfe Krallen, die grazil und gleichzeitig gefährlich
waren.
„Ich habe keinen Tee.“
fügte ich hinzu. Die Krallen hatten kleine Mosaikmuster, bis ins kleinste Detail
waren diese Frauen zurechtgemacht. Mark plumpste auf den zweiten Stuhl am Tisch.
„Hast Du mir denn noch
etwas Kaffee übriggelassen?“
Was glaubt er? Dass
ich ihn bediene? Die weiblichen Monster zeigten mir ihre scharfen Zähne. Sie sahen
gut aus. Schlanke Beine.
„Hast Du noch Kaffee
für mich?“ fragte Mark wieder.
„Nein!“ ich klappte
die beiden Frauen zu, und legte sie unsanft auf den Tisch.
„Was ist denn los?“
„Nichts.“
„Jetzt sag’s mir schon.“
„Du bist jetzt eh zu
müde.“
„Also dann ist doch
was.“
„Nein!“
Seine sich mir nähernde Hand lehnte ich durch ruppiges Aufstehen ab. Wie jeden
Morgen stellte ich mein dreckiges Geschirr in die Spüle, und liess einen brausenden
Wasserstrahl darüber laufen.
„Ich brauche morgens
meine Ruhe. Und ich mag...“ Als ich mich umdrehte, stachen mir die Schlafkügelchen
an seinen inneren Augenwinkeln entgegen. Was für ein armseliger Anblick. Wenn
er mich nicht anguckte, war das sein Problem. Aber ich würde nie über so etwas
hinwegsehen.
„Wenn das jetzt schon
so losgeht. Wie soll das denn dann werden, wenn wir wirklich zusammenleben?“
„Was geht jetzt schon
los!“
„Guck Dich doch mal
an.“
„Was ist mit mir!“
Es hatte keinen Zweck.
Der Wasserfall hinter mir rauschte in straffer Monotonie. Und genauso sah er mich
an.
„Ich werde Dir auch
bestimmt nicht den Kaffee morgens kochen. Ich bin keine Hausfrau. Und schon gar
nicht Deine!“ Damit schaltete ich den Wasserfall ab, und schritt aus der Küche,
ohne mich umzudrehen.
„Mein Gott, was ist
denn los? Was hast Du denn mit dem Kaffee? Das ist doch... Ich versteh das nicht!“
Es war klar, dass er
es nicht verstand. Warum machte ich mir nur immer und immer wieder diese albernen
Illusionen? Still lauschte ich, ob er sich bewegte. Aber kein Laut war zu hören,
bis auf ein leises Seufzen.
Er wird mich doch wegen
so einer Kleinigkeit nicht... Nein, das muss er verstehen. Oder wenigstens hinnehmen.
Man muss doch im Vorwege alle Fronten klären. Dann kann es gar nicht zu Missverständnissen
kommen. Ich tu das nur für uns. Und er wollte mich, wie ich bin. Also will er
eine Frau, die nicht abhängig ist. Nicht im Geringsten abhängig. Mit der Zeit
gehend. Für sich selbst – für sich ganz allein sorgend! Das versteht er doch.
Vielleicht sollte ich ihn noch schnell fragen? Aber nein, das ist selbstverständlich.
Jede Frage hierzu ist doch redundant.
Auf den äussersten Zehenspitzen
schlich ich ins Schlafzimmer, zog mich schnell an, und packte meine Sachen. Genauso
schnell schickte ich ihm einen Luftkuss, warf ihm ein „Tschüss“ und ein „Bis nachher“
hin, und lächelte gekonnt. Das war meine grosse Stärke: Lächeln, wenn mir nicht
nach Lächeln zumute war. Ich freute mich auf meine neun Stunden Arbeit, in meinem
kleinen Büro, das ich ganz nach meinem Gusto eingerichtet hatte.
„Mark? Mark?“ Die letzten
zwei Stunden im Büro vergingen wie zwei Tage, so sehr hatte ich mich auf ihn gefreut.
Ich wollte ihm in die Arme fallen, und den restlichen Abend darin liegen,
mich mal nach links, mal nach rechts drehen. „Mark?“ Die Möbel gähnten
mir ihr müdes, stilles Echo entgegen. Vielleicht hatte er sich versteckt? Er wollte
mich bestimmt überraschen. Er hatte mir vielleicht eine Blume mitgebracht, und
hatte vielleicht vor, mir einen schönen Abend zu bereiten. Es war unser erster
offizieller Abend in unserem Zu Hause. Da hatte er sich bestimmt etwas einfallen
lassen. Ich blieb wie angewurzelt stehen, und wartete. Kein Laut, keine Regung.
Was soll’s, er wird
schon aus seinem Versteck kommen.
„Ich hab Kaffee mitgebracht!“
Kein Laut.
Auf dem Tisch in der
Küche stand ein Aschenbecher mit zwei ausgedrückten Zigaretten, ein dreckiges
Glas, ein dreckiger Teller mit Krümeln, die über den halben Tisch verteilt waren.
Immer noch kein Laut.
Gut, dann werde ich
so tun, als wüsste ich es nicht, dass er sich hier irgendwo versteckt. Dann kann
ich in der Zeit gleich noch eine Front klären.
Auf einen Zettel schrieb
ich „bitte eigen verursachten Dreck selbst entfernen“, und legte ihn auf den Teller.
Sorgfältig schob ich das Geschirr und die Krümel zusammen.
Keinen Finger werde
ich rühren. Auch nicht, wenn er mir noch so viele Rosen mitbringt.
In
dem Moment hörte ich die Wohnungstür, und zwei Männerstimmen. Schnell zerriss
ich den Zettel, und liess ihn im Mülleimer verschwinden, als ein fremder Mann
meine Küche betrat.
„Hallo. Ich bin Lasse.“
sagte er, und brachte den Qualm seiner Zigarette mit.
„Hi.“ Schnell öffnete
ich das Fenster.
„Aline. Hallo. Das ist
Lasse.“ Mark legte seinen Arm um meine Taille, und versuchte, mich auf den Mund
zu küssen.
„Bäh.“ Ich wehte mit
meiner Hand vor seinem Mund hin und her. Ein fahler, übler Biergestank kam mir
entgegen gehaucht.
„Hab nur ein Einziges
getrunken. Wie war denn Dein Tag?“
„Gut.“
„Ja?“ Er grinste mich
an, und setzte sich.
„Ja.“
Meine beiden Hände fielen
mir auf, die mir auf einmal so nutzlos erschienen. Was konnte ich jetzt Schlaues
damit machen? Reden wollte ich auf jeden Fall nicht.
Der Teller. Der dreckige
Teller. Und das Glas!
Ich stellte das Glas
auf den Teller, und sah, wie sich das Deckenlicht darin brach. Als ich das Glas
etwas hin und her bewegte, spürte ich ein stummes Knirschen darunter. Die Krümel
wurden allmählich zermalmt. Doch nach kurzer Zeit verstummten sie, nur noch feines
Pulver blieb übrig. Ich wollte noch mehr zermalmen, aber es war einfach nichts
mehr zum zermalmen da.
Der Kühlschrank. Vielleicht
bekomme ich ja Appetit, wenn ich darein schaue.
Ich sah den Salatkopf
und die Gurke, die Möhren und den Joghurt. Die Möhren waren schon halb braun.
Das Möhrengrün war etwas matschig. Ich ging mit meiner Nase näher heran, es roch
moderig und leicht faulig. Ich vernahm ein Stuhlrücken und die Männerstimmen hinter
mir, und sah mir die verschiedenen Sorten Joghurt an. Ich konnte mich entscheiden
zwischen Joghurt Vanille, Joghurt Himbeere, Joghurt Natur, Joghurt Kirsch und
Joghurt Marzipan. Vielleicht wollte ich doch lieber etwas Herzhaftes?
„Ich dachte, ich zeige
Lasse mal mein neues Zu Hause. Und da ich heute mit ihm verabredet war...“ Marks
Stimme verhallte im Kühlschrank. Ich griff mir den Joghurt Kirsch, schmiss die
Kühlschranktür zu, nahm mir einen Löffel, und lehnte mich gegen die Spüle vor
den stummen Wasserfall.
Ein sehr leckerer Joghurt.
Aber eigentlich mag ich ja lieber Vanille. Der hat dieses gewisse Cremige. Fruchtig
ist auch gut. Aber das hinterlässt so eine leichte Säure auf der Zunge. Der Vanille
Joghurt ist irgendwie milder. Nicht, dass Mark den isst.
Ich entschloss mich
dazu, nach dem Joghurt Kirsch den Joghurt Vanille zu essen.
„Haben wir noch Wein
da?“ fragte Mark, und lächelte mich an.
Was für ein unverschämtes
Lächeln. Er kann sich doch seinen Eigenen holen.
„Ich weiss nicht. Aber....“
ich tat so, als würde ich überlegen. „Ich glaube, ich hab noch einen. Ich guck
mal. Vielleicht in meinem Eckschrank.“
In meinem
Wohnzimmer. In meinem Schrank.
Die Zeitdehnung ist
es, die mich zur Weissglut bringt. Warum dehnt sich die Zeit jetzt so unerträglich
langsam? Warum trinkt Lasse nicht einfach etwas schneller?
Es stand bereits die
zweite Flasche auf dem Tisch, und auch die war schon fast leer getrunken. Mit
einem langen Zug, in dem ich fünf Mal schlucken musste, überwältigte ich den restlichen
Inhalt meines Glases, schenkte sofort wieder nach, und stellte die leere Flasche
auf den Boden. Es konnte noch ungefähr zehn Minuten dauern, bis Lasse sein Glas
leer getrunken hatte, und ich dachte mir, dass ihm ohne die Option auf ein wärmendes
Getränk eventuell seine Müdigkeit klar werden würde.
Mark kramte in seiner
Hosentasche herum.
„Ich hab noch ein bisschen
Geld hier. Dann geh ich wohl mal noch einen Wein besorgen. Ihr kommt ja fünf Minuten
ohne mich aus, nicht?"
Wie von einer Nadel
gestochen, sprang ich auf, und versuchte, nett zu lächeln.
„Ich wollte grade ins
Bett. Muss morgen früh aufstehen. Du doch auch bestimmt, oder?“
Mark nickte, zog mich
zu sich heran, und gab mir einen feuchten Kuss auf die Wange. Richtig, das hatte
ich ihm auch noch nicht gesagt. Ich verabscheute diese nassen Küsse. Wenn schon
feucht, dann bitte auf den Mund.
„Ich komm gleich nach.“
hauchte er mir ins Ohr, und gab mir noch einen Kuss, diesmal auf die Ohrmuschel.
Das ging nun wirklich zu weit. Wollte er mich taub machen? Warum küsste er mich
nicht einfach auf den Mund?
Mein Blick erhaschte
das schmutzige Geschirr und die zermalmten Krümel.
„Du brauchst heute auch
nicht mehr Deinen Kram abzuwaschen, ist ja schon so spät. Es reicht, wenn Du es
morgen früh machst. Gute Nacht.“
Ich nickte Lasse noch
schnell an, und liess die Küchentür hinter mir zufallen.
Auf einmal wurde es
blitzartig hell, und grelles Licht drängte sich in meinen Traum, das meine Augen
anblitzte, als ich diese öffnete. Ich wurde Marks Silhouette gewahr, die sich
gerade die Hose ab streifte, und diese auf dem Boden liegen lies, während sie
sich zum Wecker hinunter beugte.
„Du kannst die Hose
auch über den Stuhl da legen, der ist noch frei.“ flüsterte ich. Die verschwommene
Silhouette nickte mit ihrem Kopf und blieb vor dem Wecker knien. Kalter, fahler
Geruch von alten Zigaretten brannte sich langsam in meine Nase ein. Ich zog die
Bettdecke bis zu meinen Augen.
„Den hab ich extra für
Dich frei gemacht.“ sagte ich. Die Silhouette stand auf, und legte die Hose über
die Stuhllehne, während mein Blick klarer wurde, und ich nun Mark erkannte.
„Ich wollte Dich nicht
wecken, ich war so leise ich konnte.“ sagte er, und machte das Licht aus, bevor
er sich neben mich ins Bett legte.
Jetzt hätte er es auch
anlassen können. Jetzt bin ich wach.
„Ich wache immer auf,
wenn das Licht angeht.“
„Das wusste ich nicht.“
sagte Mark, und legte seinen Arm auf meine Bettdecke.
Ich seufzte einmal laut,
und reagierte nicht auf seine Hand.
„Ich kann das nächste
Mal auch im Wohnzimmer schlafen, dann merkst Du es nicht.“
„Spinnst Du?“
„Wieso.“
„Dann kannst Du gleich
wieder bei Dir schlafen.“
Ich drehte mich auf
die Seite, mit dem Rücken zu Mark, und überlegte, an welcher Stelle mein Traum
aufgehört hatte. An dessen Anfang befand ich mich mit einem Kanarienvogel in einem
kleinen Käfig. Marks Hand öffnete diesen, nahm mich behutsam auf seinen Ringfinger,
und zog mich ins Freie. Mit seiner anderen Hand streichelte Mark meinen Bauch,
während er leise mit seiner Zunge schnalzte. Ich bemühte sich, meine Füsse von
seiner Fingerhaut zu trennen, doch bemerkte, dass sie festgeklebt waren. Da wurde
ich meiner Flügel gewahr, und schlug schnell mit diesen aus, doch kam einfach
nicht von der Stelle. Mark hörte nicht auf, mit seiner Zunge zu schnalzen. Da
drängte sich auf einmal grelles Licht in meinen Traum. Wie sollte es jetzt weitergehen?
Ich konnte die Fortsetzung
der Geschichte einfach nicht finden.
„Mark?“ Fassungslos
stand ich an der Türschwelle des Wohnzimmers, und starrte auf den Fernseher. „Mark!“
„Was ist denn?“ rief
er aus der Küche.
„Komm mal her!“ Der
Fernseher hatte meine Augen in seinem Bann.
„Geht’s auch freundlicher?“
„Wo sind meine Holzfiguren?“
„Welche Holzfiguren?“
„Meine Holzfiguren!
Meine fünf Holzfiguren!“
Sie waren alle von Mami
geschnitzt, kurz bevor sie uns verliess. Sie hatte das Kaminholz genommen, und
tagelang nur geschnitzt. Unsere ganze Familie. Und Jedem hatte sie eine andere
Farbe gegeben. Die fünfte Holzfigur war von mir geschnitzt. Sie stellte Mami dar.
Fünf Stunden hatte ich gebraucht, um ihr Haar in diese schöne Wellenform zu bekommen.
„Die hab ich in das
grosse Bord gestellt, ich hab gestern nacht noch fern geguckt, und da haben die
mich halb zur Weissglut gebracht! Die glotzen einen so an!“
Erleichtert erblickte
ich sie. Doch sie waren lieblos hintereinander auf dem obersten Brett aufgestellt.
Ich spürte eine Bleikugel
in meinem Bauch, die immerzu an meine Magenwand stiess, und ein pochendes Zucken
in meinen Hals schickte. In Windes Eile stellte ich die Holzfiguren zurück auf
den Fernseher, nebeneinander, etwas versetzt, damit auch alle darauf passten.
Dann stampfte ich in die Küche. Es roch nach frisch aufgebrühtem Kaffee.
Mit Wucht öffnete sie die Tür des Hängeschranks, holte einen Becher heraus, knallte
die Tür wieder zu, und donnerte den Becher auf den Tisch. Blut stieg mir in den
Kopf, während ich die Kanne anhob, die ich mit einem Ruck beinahe in die Luft
schmiss, da sie unerwarteter Weise leicht war.
„Du kannst von mir noch
einen Schluck.“ sagte Mark, der behutsam in den Kaffee in seinem Becher pustete.
„Du hättest ja auch
mehr Kaffee machen können.“ fauchte ich, und setzte neues Wasser auf. Mein Blut
pulsierte im Kopf.
„Ich wusste nicht, wann
Du genau aufstehst.“ entgegnete Mark, mit einer Stimme, die eine besondere Nonchalance
zu demonstrieren schien.
„Ja, und? Der Kaffee
bleibt doch warm! Das hier“ – ich zeigte mit meinem spitzem, geradem Zeigefinger
auf die Thermoskanne, die ich dabei in die andere Hand nahm, „ist eine Ther –
mos – kanne! Thermo! Also Warmhaltekanne! Du verstehen?“ Ich wollte die Kanne
am liebsten an seinen Kopf schmeissen. Wie er da sass. Ganz entspannt, mit dem
Rücken an der Lehne, seine Beine überkreuzt, in den Kaffee pustend. Als wolle
er mich damit provozieren! Ich knallte die Warmhaltekanne wieder zurück auf den
Tisch, und holte Kaffeepulver aus dem Schrank.
„Sag mal, hast Du schlecht
geschlafen? Was war denn gestern morgen?! Hast Du mir Kaffee gemacht?“
„Das ist ja wohl eine
Frechheit!“
Das Kaffeepulver verstreute
sich in alle Richtungen auf dem Boden. Ein kurzer Moment, in dem ich vergass,
dass ich es in der Hand gehalten hatte. Mein Blut im Kopf war an der Schwelle
angelangt, wo es nicht mehr pochte, sondern siedete, still und zugleich ungestüm.
„Zu Deiner ersten Frage:
Ja, ich hab schlecht geschlafen. Das ist auch bestimmt kein Zufall. Zu Deiner
zweiten Frage: Da wusste ich noch nicht, dass Du Kaffee trinkst. Ausserdem brauchst
Du mir den Ball nicht gleich zurück zu spielen. Du weisst, dass ich Kaffee trinke.
Und ich dachte, dass man aneinander denkt, wenn man zusammen ist.“
„Wie oft waren wir schon
zusammen Kaffee trinken?“
„Ach!“ stiess mein Rachen
hervor. „Wie Du mir so ich Dir, oder was!“
Mark legte seinen Kopf
in seine Handgruben, stützte seine Ellenbogen auf den Tisch., und lächelte. Er
lächelte. Noch ein Indiz dafür, dass er mich provozieren wollte.
„Da fällt Dir nichts
mehr ein, was?“ sagte ich. „Aber was mir einfällt, ist, das Du nicht fähig bist,
mit einer Frau zusammen zu leben!“
„Aline! Wir leben seit
eineinhalb Tagen zusammen! Und das nur aus Spiel!“ Schon wieder diese Nonchalance
in seiner Stimme.
„Und schon benimmst
Du Dich vollkommen daneben! Nicht nur die Holzfiguren, nicht nur Dein rücksichtsloses
Verhalten gestern nacht, nicht nur der Wein, nicht nur der Kaffee, nicht nur die
Zigaretten! Nicht nur die ganzen anderen Dinge! Nein! Ich war gestern eigentlich
verabredet, und hab es Deinetwegen abgesagt! Es hätte Dir doch nicht gepasst, wenn ich
mich gleich am ersten Abend verabredet hätte, oder?! Und dann schleppst Du mir
hier irgendeinen von Deinen Freunden in die Wohnung!“
„Du wolltest sagen:
In Deine Wohnung.“ sagte er.
Das
Wasser fing an zu kochen, der Wasserkocher schaltete sich ab. Ich hockte mich
hin, und fegte mit der Hand das Kaffeepulver zusammen, das zwischen dem Boden
und den Fingern durchrieselte. Ich fing an, zu schaben, und zu kratzen, aber das
Pulver setzte sich immer mehr im Boden fest.
„Es ist ganz klar. Ich
muss am besten immer zu Hause sein, sollte mich besser nicht verabreden, und überhaupt
muss ich mich ganz nach Dir richten, immer und überall, aber Du kannst tun und
lassen, was Du willst.“
Bevor ich weiterreden
konnte, fiel die Frauenzeitschrift mit den fauchenden Frauenmonstern auf das Kaffeepulver.
Gerade wollte ich den Mund aufmachen, um ihm zu verbieten, so mit meinen Sachen
umzugehen, als ich Schritte vernahm, die sich von mir entfernten. Ich zuckte zusammen.
„Mark?“ Ich hörte keine
Antwort, und keine Schritte.
„Mark?“ Das Blut kroch
aus meinem Kopf in mein Herz und verursachte dort ein leises Stechen.
„Mark?“ Das wimmernde
Zittern in meiner Stimme versuchte ich zu verbergen.
„Mark?“
Lein Laut. Nicht noch
einmal wollte ich Mark rufen, obgleich ich nun das Bedürfnis hatte, diesen Namen
immer und immer wieder auszusprechen, mit einer Lieblichkeit, die ich aus Untiefen
heraus meine Adern herauf rieseln spürte. Er würde mich doch nicht verlassen?
Wir haben doch noch
gar nicht richtig angefangen.
Ich hatte noch nie mit
irgend jemandem richtig angefangen. Aber jetzt war das Glück doch so nah, oder?
Leise stand ich auf, und schlich auf Zehenspitzen zur Küchentür. Keinen Laut hörte
ich.
Will er mich doch nicht,
wie ich bin?
Ich schämte mich meiner
aufkommenden Gedanken. Niemandem würde ich diese mitteilen können, alle würden
sich darüber lustig machen, dass ich schon wieder nach so kurzer Zeit das Gute
zum Bösen führte. Aber Mark war es jetzt doch wirklich. Ich hatte ihn gefunden.
Er war einfühlsam, liebevoll, zärtlich, respektvoll, geduldig...
Und er wird nie laut.
Er hat Respekt. Ich muss mich bei ihm entschuldigen. Und die Holzfiguren werde
ich eigenhändig in das Bord stellen. Nebeneinander aufgereiht. Und morgen früh
werde ich ihm einen guten, starken Kaffee machen. Und eine Kerze anzünden. Heute
abend werde ich kochen, etwas ganz Besonderes, was er niemals wird vergessen können.
Ich werde mich danach ganz gehen lassen, mich in seine Arme fallen lassen. Und
er wird mir helfen, meine Füsse von seinem Zeigefinger zu entfernen. Ja, das wird
er.
Leise atmete ich ein
und aus. Plötzlich vernahm ich Schritte, gleich danach die sich öffnende Wohnungstür.
„Ich ziehe aus!“ Mark liess die Tür hinter sich ins Schloss fallen.