Jahrmarkt
Das war in München beim Oktoberfeste,
da die Theresienwiese voll vom Schrein
und Schwall der Schauer ist. Da bunte Gäste
aus der Provinz der Kunst der Rindermäste
verständnisvoll ein Mund voll Worte leihn.
Die meinen Mädchen, flüchtig ihrem Neste,
durchschwirren keck den lauten Tag zu zwein,
und Bursche mit der bunten Lodenweste
und ziere Stadtherrn bengeln hinterdrein.
Dazwischen drängen Wagen und betreßte,
urdumme Kutscher, blinzelnde Lakaien,
Fuhrleute dann, die ihre längst genäßte
gepichte Kehle tüchtig spülen. Kein
Verdroßner stört, und allen schien´s das
Beste,
daß man sich prall und gar so prächtig
preßte
durch diese bauernbunten Budenreihn.
Bier gabs und Wein in Strömen allerorten,
und viel Verständge prüften dran; es ließ
die Blume gelten der und der die Borten.
Marktschreier prahlten an den Bretterpforten
und priesen ihre Wunder weit mit Worten,
als wären sie mit Noah
und Konsorten
zurückgekehrt ins echte Paradies.
An kleinern Ständen bot man Trauben, Torten
und Würste aus;
geduldige Hühner
schmorten
sich einen goldnen Panzer an am Spieß.
Und drüben stand bewehrt ein schwarzer Teil,
ein Wilder, und vergaß das Schreienmüssen
vor lauter Gieren nach den Kokosnüssen.
Da schob ein Zwerg, ein drolliger Gesell,
mit Grinsemiene sich vorüber, schnell
war dort die ganze Menge hingerissen
zur Wellenschaukel und zum Karussell.
Und wo sie eine rote Fahne hissen,
dort reißt auf grell verhangenem Gestell
dummdreiste Witze der Polchinell.
Die große Trommel hat er durchgeschlissen
und trommelt jetzt trotz tausend Hindernissen
mit seinem unverschämten wilden Wissen
dem lieben Publikum das Trommelfell.
Laut lachend ließ gefallen sichs ein jeder.
Auch ich ging ziellos durch das Weggeäder
und blinzte müßig in das volle Licht,
und manchmal fuhr ich wie so mancher Wicht
der Schönen, die just kam, ins Angesicht
mit meiner kühnen, kecken Pfauenfeder.
Und hinterher konnt´ noch ein Silberkichern
von blütenfrischen Lippen mir versichern:
die liebe Kleine grollte nicht.
Dann gabs ein Ängsten, wenn wo Fässerfuhren
mit plumpen Pferden furchten den Weg entlang:
Die Menge drängte in die Räderspuren,
da schrie ein Kind, ein Bursche sang, da sprang
ein Mädel, dem entfernter Walzertouren
ersehnter Zauber in die Beine drang.
Und was nur immer klingen konnte, klang,
vom Waldhornsolo bis zum Bumerang
dort vor den Buden mit den Wachsfiguren.
Wie ich mich so durch
das Getümmel wand,
da stand ich plötzlich all der Wiese Rand
vor einer Bude. Überm Eingang stand
in kargen Lettern zaghaft und bescheiden:
"Das Leben Jesu Christi und sein Leiden."
Und - ich weiß nicht warum, ich trat hinein.
Schon hielt ich in der Hand den blauen Schein,
der für zehn Pfennig Einlass mir gewährte.
Ich fragte mich, was den Besitzer nährte;
denn in der Bude war ich ganz allein.
Wer mochte dem auch hier sein Denken weihn,
dem Mann, von dem der Katechet ihm lehrte,
daß Buße er gepredigt und Kastein
und daß ein großes Leiden ihn verzehrte.
Da sah ich nun des heilgen Kinds Geburt
und dann die Flucht, da Josef durch die Furt
des Flusses lenkt das Maultier mit Marien,
den Tempel dann, drin ob der Theorien
des Knaben mancher Pharisäer murrt,
und dann den Einzug in Jerusalem,
wo er, - zu fragen meidet er, bei wem
bei schlichten Leuten unter Sünden wohnt
und jeden Willen reich mit Wundern lohnt.
Dann jener Tag, da er sein deo natus
dem Volk entgegenschleudert, und Pilatus
sogar den Richtern Milde rät,
bis, weil das Volk zu sänftigen zu spät,
des Bleichen dornbekränzte Majestät
schmerzedel auf der Balustrade steht,
daß Mitleid selbst des Römers Herz durchweht
und er verwirrt sein "Ecce homo" fleht.
Umsonst. Es brüllt der Pöbel ungestüm:
Ans Kreuz mit ihm!
Dann kamen alle Gräuel jenes Tags,
da er, verurteilt von des Reichs Verwesern,
ans Holz geheftet wurde wilden Schlags:
Nacht brach herein, und in den Wolken tags
wie Racherufe von Posaunenbläsern,
und fremde Vögel gierten nach den Äsern,
und statt des Taus war Blut an allen Gräsern.
Jetzt starrten beide Schächer hier so gläsern
mich an; es glänzte ihrer Stirnen Wachs.
Doch Christi Auge, klufttief, todesdunkel,
erlohte in so täuschendem Gefunkel,
daß alles Blut mir heiß zum Herzen schoß;
Der gelbe Wachsgott öffnete und schloß
das Lid, das, bläulich dünn, den Blick
verhängte;
der enge, wunde Brustkorb hob und senkte
sich leise, leise, und die schwammgetränkte,
todblasse Lippe schien ein Wort zu fassen,
das sehnend sich durch starre Zähne drängte:
"Mein Gott, mein Gott - was hast du mich
verlassen?"
Und, wie ich zu entsetzt, daß ich des Sinns
des dunkeltiefen Dulderworts verstände,
nur steh und steh und nicht das Auge wende,
da lösen leise seine weißen Hände
sich von dem Kreuze, und er stöhnt: "Ich bins."
Lang lausch ich nach, und es verklingt sein Spruch,
ich schau die Wände rings von grellem Tuch
bedeckt und fühle diesen Jahrmarktstrug
mit seinem Lampenöl- und Wachsgeruch.
Da haucht es wieder her:
Das ist mein Fluch.
Seit mich, von ihrem eitlen Glaubensprahlen
betört, die Jünger aus dem Grabe stahlen,
gibst keine Grube mehr, die mich behält.
So lang aus Bächen Sterne widerstrahlen,
so lang die Sonne zu erlösten Talen
den Frühling ruft mit seinen Bacchanalen,
so lange muß ich weiter durch die Welt.
Von Kreuz zu Kreuze muß ich Buße zahlen:
wo sie ein Querholz in den Boden pfahlen,
dort muß ich hin auf blutigen Sandalen
und bin der Sklave meiner alten Qualen,
mir wachsen Nägel aus den Wundenmalen,
und die Minuten pressen mich ans Kreuz.
So leb ich, ewig
sterbend, meines Heuts
maßlose Reue. Krank und lang entkräftet,
da in der Kirche Kälte festgeheftet,
dort in dem Prunk profaner Jahrmarktsbuden;
ohnmächtig heut und doch gebetumschmachtet,
ohnmächtig morgen und dabei verachtet,
ohnmächtig ewig in der Sonnenhelle
des Kreuzwegs wie im Freien der Kapelle.
So treib ich wie ein welkes Blatt umher.
Kennst du die Sage von dem Ewigen Juden?
Ich selbst bin jener alte Ahasver,
der täglich stirbt um täglich neu zu leben;
mein Sehnen ist ein nächtig-weites Meer,
ich kann ihm Marken nicht noch Morgen geben.
Das ist die Rache derer, die verdarben
an meinem Wort. Die opfernd für mich starben,
sie drängen hinter mir in weiten Reihn.
Horch! Ihre Schritte! - Horch! Ihr kreischend Schrein.
Doch eine große Rache nenn ich mein:
Ich weiß, bei jedem neuen Herbste warben
die Menschen um den Saft, den feuerfarben
die roten Reben ihrer Freude leihn.
Mein Blut fließt ewig aus den Nagelnarben,
und alle glauben es: mein Blut ist Wein,
und trinken Gift und Glut in sich hinein.
Mich hielt das fürchterliche Prophezein
in bangem Bann. Aus hilfloser Hypnose
riß mich die Menge, die vorüberschwamm.
Ein Schwarm trat ein und fand sich mit Getose
bei jener ersten Gruppe just zusamm,
und vor mir hing der gelbe regungslose
Gekreuzigte in wächsner Jahrmarktspose
an seinem Stamm.
(von Rainer Maria Rilke; 4.2.1875 - 29.12.1926)